Literatur: Chancen und Risiken von Verjüngung

Wie wäre es, ein Medikament zur Verfügung zu haben, das nicht nur Alterungsprozesse verlangsamt, sondern sogar einen Mechanismus der Zellverjüngung in Gang setzt? Genau diesem Mittel kommt der etwas verschrobene Professor Martin Mosländer an der Berliner Uniklinik Charité per Zufall auf die Spur. Seine experimentelle Medikamentenstudie umfasst vier Proband:innen – oder eigentlich sechs, da auch er selbst das Medikament schluckt und es seinem Hund verabreicht. Ursprünglich hatte die Studie zum Ziel, den unheilbar herzkranken Teilnehmenden zur Genesung zu verhelfen.
Den Verjüngungseffekten, die das Medikament bei den Proband:innen auslöst, folgt der deutsche Schriftsteller Maxim Leo in seinem neusten Roman «Wir werden jung sein». Sie alle sind mit je eigenen Begrenzungen ihrer Möglichkeiten konfrontiert: Der jugendliche Jakob lebt seit Geburt mit einem Herzfehler; Jennys Herzkrankheit verunmöglicht ihr eine Schwangerschaft; der Unternehmer Wenger hat eigentlich bereits seine eigene Abschiedsparty veranstaltet, bevor er selbstbestimmt aus dem Leben scheiden möchte; und die Olympiaschwimmerin Verena hat keinerlei Chancen mehr auf eine Medaille. Die Einnahme des Medikaments stellt ihre Leben gehörig auf den Kopf. Und natürlich das von Mosländer, der ob seiner eigenen Entdeckung total aus dem Häuschen ist.
Schliesslich rufen die Ereignisse neben den Medien auch die Ethikerin Miriam Holstein auf den Plan: Wie ist es zu beurteilen, wenn einige sich qua Medikamenten mehr Lebenszeit kaufen können? Gleichzeitig stellen sich die Proband:innen die Frage, was ihnen die Behandlung überhaupt bringt. Die Schwimmerin Verena realisiert etwa, dass ihr Körper nun zwar jünger ist, die jugendliche Begeisterung und Neugierde deswegen aber nicht zurückgekehrt ist. Leos Roman oszilliert zwischen Glaubwürdigkeit und Absurdität, realistisch beschriebenen Innenwelten der Figuren und dystopischer Gesellschaftskritik. Das regt zum Nachdenken an und ist gleichzeitig beste Unterhaltung.