Literatur: Ein sicherer Hafen in der toten Sprache

Nr. 41 –

Buchcover von «Griechischstunden»
Han Kang: «Griechischstunden» (Original: 2011). Aus dem Südkoreanischen von Ki-Hyang Lee. Aufbau Verlag. Berlin 2024. 204 Seiten. 34 Franken.

Man muss die Verzweiflung der Figuren aushalten können, wenn man in die Welt von Han Kang eintaucht. Auf «Die Vegetarierin» (Original: 2007), die erst das Fleisch und zunehmend die Nahrung grundsätzlich verweigerte, folgen in «Griechischstunden» erneut zwei Versehrte. Er leidet an Sehschwäche, kann nur noch Flächen voneinander unterscheiden und wird bald ganz erblinden. Sie hat vor einem Jahr die Sprache verloren, ist mitten im Unterricht vor ihrer Schulklasse verstummt. Er kann gebärden (aber nur auf Deutsch), Braille hingegen hat er nie gelernt. Sie wiederum glaubt, sich mit den Augen verständlich machen zu können. Dass die beiden Namenlosen, die sich als Lehrer und Schülerin jeden Donnerstagabend in den Griechischstunden begegnen, für einen flüchtigen, zärtlichen Moment zusammenfinden werden, ist so unwahrscheinlich wie ein Wunder, auf das man beim Lesen trotzdem hofft.

Nicht, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen – so, wie sie in ihrer je eigenen Monotonie feststecken. Er gibt sich Erinnerungen an seine jungen Jahre in Deutschland hin, an die gescheiterten Beziehungen, vielleicht imaginiert er die Briefe an seine Schwester Ran sogar nur. Die Namenlose hat den Sorgerechtsstreit um ihren neunjährigen Sohn verloren und streift seither schlaflos durch das nächtliche Seoul, als bewegte sie sich in einem gläsernen Panzer zwischen Lichtreklamen, blinkenden Ampeln und Betrunkenen. Was beide eint, ist ihre Flucht in die Komplexität der altgriechischen Grammatik: Sie hofft, so ihre Sprache wiederzufinden, ihm ist das Altgriechisch ein sicherer Hafen, weil es nicht mehr gesprochen wird.

Ein Paradoxon, eigentlich, aufgehoben in der Sprache des Romans, ihrerseits so lyrisch wie verrätselt. Koreanische Schriftzeichen finden sich darin, mitunter in ihre Einzelstriche zerlegt, auch altgriechische Zeilen kommen immer wieder vor. Dazwischen kursiv gesetzte Passagen – sind es ihre Gedanken, ihre Wünsche? Er spricht in Ich-Form, aber nicht immer. Alles ist Übersetzung, bleibt lückenhaft, verletzlich und ambivalent, bis zum Ende.