Fethullah Gülen (1941–2024): Bis zum offenen Bruch

Nr. 43 –

Fethullah Gülen ist in seinem Exil im US-Bundesstaat Pennsylvania gestorben. Mit Beharrlichkeit hat er seine Ansichten der türkischen Gesellschaft eingepflanzt.

Dass Fethullah Gülen einmal als prominentester türkischer «Landesverräter» in den USA sterben würde, hätte wohl kaum jemand gedacht. Als Sohn eines Imams und einer Koranlehrerin kommt er 1941 im erzkonservativen Erzurum, im anatolischen Hochland im Nordosten der Türkei, zur Welt. Gülen wächst dort in frommer Umgebung auf und entdeckt früh die Schriften des Gelehrten Said Nursî, der mit seiner reformislamischen Nurculuk-Bewegung den laizistischen Nationalstaat Atatürks nach westlichem Vorbild ablehnt und einen panislamischen Staat fordert. Gülen selbst macht es sich fortan zur Lebensaufgabe, den Laizismus im Land zurückzudrängen.

Mit seiner Hizmet-Bewegung arbeitet Gülen ab den sechziger Jahren mit viel Ausdauer an dieser Aufgabe. Mit der gezielten Förderung von talentierten jungen Menschen und der Finanzierung ihrer Bildung soll ein Gegengewicht zur säkular-laizistischen Machtelite des Landes herangezogen werden. Über die Jahrzehnte hinweg baut die Bewegung ein Netzwerk auf, das weit in den türkischen Staat hineinreicht. Ende der neunziger Jahre wird ihr Einfluss so gross, dass Gülen vorgeworfen wird, das Land durch die Hintertür islamisieren zu wollen.

Ein Erfolg zu viel

Präventiv und um einer drohenden Verurteilung auszuweichen, verlässt Gülen 1999 die Türkei und lebt danach in den USA. Doch seine Bewegung gewinnt insbesondere durch die Platzierung von Mitgliedern in der Justiz, den Medien, dem Militär und der Polizei weiterhin an institutioneller Macht. Dass 2002 parallel zu dieser Entwicklung Recep Tayyip Erdoğans AKP erstmals an die Macht gelangt, wird als gemeinsamer Erfolg gewertet: Sowohl Gülen als auch Erdoğan sehen sich als Vertreter einer islamisch-konservativen Opposition gegen die kemalistisch-republikanische Elite des Landes. Es ist dann auch dieser Erfolg, der der Gülen-Bewegung einen weiteren Schub verleiht. Rückblickend ist es einer zu viel gewesen.

Ab 2010 verschlechtert sich das Verhältnis zwischen Erdoğan und Gülen nämlich fundamental: Der Hauptgrund für die Entfremdung sind Machtkämpfe zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung, hauptsächlich um die Kontrolle über den Staatsapparat. Erdoğan beginnt, die zunehmende Macht der Gülen-Bewegung als Bedrohung für seine eigene Herrschaft wahrzunehmen. Ein Wendepunkt ist dabei die Korruptionsaffäre im Jahr 2013. Staatsanwälte und Polizeikräfte, von denen viele als Anhänger der Gülen-Bewegung gelten, leiten Ermittlungen gegen Erdoğan und führende AKP-Politiker:innen wegen Korruptionsvorwürfen ein. Erdoğan sieht diese Ermittlungen als Versuch, seine Regierung zu stürzen, und beschuldigt die Gülen-Bewegung, einen Parallelstaat innerhalb der türkischen Institutionen aufgebaut zu haben.

Ziel erreicht

Zum offenen Bruch zwischen den beiden Lagern kommt es nach dem vereitelten Militärputsch im Juli 2016. Es gilt als gesichert, dass der Putschversuch von jenen verbliebenen hochrangigen Befehlshabern innerhalb des türkischen Militärs angeführt wird, die damals Teil von Gülens Hizmet-Bewegung sind. Die Gülen-Bewegung wird danach in der Türkei offiziell als terroristische Organisation eingestuft, und Erdoğan verlangt später mehrfach die Auslieferung von Gülen aus den USA. Nach dem Putschversuch werden Hunderttausende Menschen, die verdächtigt werden, mit der Gülen-Bewegung in Verbindung zu stehen, inhaftiert, verlieren ihre Jobs und müssen die Türkei verlassen. Die Auswirkungen dieser Verfolgung sind auch in der Schweiz spürbar: Ein grosser Teil der aktuellen Asylgesuche aus der Türkei kommt von Personen, die der Gülen-Bewegung nahestehen.

Gülen, der seit 1999 im selbstgewählten Exil in den USA gelebt hat, bestreitet bis zum Ende jegliche Beteiligung am Putsch. Sein Einfluss und seine Bewegung verlieren nach der gescheiterten Revolte an Bedeutung. Sein Ziel jedoch, den Islam in der Türkei präsenter zu machen, hat er erreicht.