Stephan Wittwer (1953–2024): Ein Rebell – mitunter gegen sich selbst

Nr. 43 –

Stephan Wittwer liebte das Bad in der Menge: Er trieb sich gerne in der Punkszene rum – statt sich ausschliesslich in intellektuellen Freejazzkreisen zu bewegen. Bereits als Siebzehnjähriger überraschte der Gitarrist auf dem Undergroundklassiker «Von Goldabfischer (1970)» von Anton Bruhin, einem frühen Mundartalbum. Ein nächster wichtiger Schritt fand 1974 statt, mit «Neun improvisierte Stücke», wieder mit Bruhin, als B-Seite von «Rotomotor». Legendär sind auch die zwei Platten «Trumblin’» (1976) sowie «Und?» (1978).

Im Frühling 1980 spielte er unter der Regie von Werner Düggelin eine hervorragende Version der «Dreigroschenoper», die hohe Wellen warf. Wittwer hatte eine Affinität zu lauten Rocktrios: Unvergessen der Auftritt von Sludge 5-0 mit den US-Amerikanern Jim Meneses (Drums) und Keith Macksoud (Bass) im besetzten Wohlgroth-Areal im November 1991. Die Band stand kurz vor dem Durchbruch. Dann warf Wittwer das Handtuch.

Danach begann langsam der Rückzug. Mehrere Anfragen für Reprints seines Schlüsselwerks «Der rechte Weg» (1983), dem Fischli/Weiss-Filmsoundtrack, schickte er bachab. Mitten in der Produktion zum Film «Markus Raetz» (2007) von Iwan Schumacher, zu dem er die Musik verantwortete, tauchte er für fünf Tage unter. Wittwer war ein Enfant terrible und ein Rebell – mitunter gegen sich selbst. Während eines Duokonzerts mit Christoph Gallio drehte er seinen Verstärker weit auf und rief theatralisch nach «Christoph!», den er nicht mehr hören konnte, und warf Koffer durch den Raum. Wahrhaft eine dadaistische Performance.

Wittwer war vielleicht resigniert, aber keineswegs verbittert. In den letzten Jahren hatte ich Gelegenheit, dank fünf gemeinsamer Mittagessen, organisiert von der Ethnologin Katrin Trümpy, den schalkhaften Humor Stephan Wittwers nochmals zu geniessen. In Hochform parodierte er die beiden grauhaarigen Grantler Waldorf und Statler, die in der «Muppet Show» von der Loge aus alles kommentieren.

Es passte zur Bescheidenheit von Wittwer, dass seine Todesanzeige nur ganz klein in der Zeitung erschien. Anfang Oktober fanden sich rund 35 Unentwegte bei strömendem Regen auf dem Friedhof Hönggerberg ein. Der Cineast Edi Winiger, unter anderem Kameramann bei «Der Fall» von Kurt Früh, meinte zum Trost: «In der Hälfte aller Spielfilme regnet es bei Beerdigungen.»