UNRWA-Finanzierung: Unwürdiges Gezerre
Die Mitteilung ist nüchtern, ihr Inhalt schockierend. Sollten die Kämpfe in Gaza nicht bald enden und humanitäre Hilfe weiter kaum die israelischen Kontrollen passieren, droht eine Hungersnot. Das schreiben die Expert:innen des IPC-Netzwerks, das die Ernährungssicherheit auf der Welt kartografiert. Über neunzig Prozent der Bevölkerung von Gaza – rund 1,95 Millionen Menschen – seien bald von «akutem Hunger» betroffen.
Umso unwürdiger ist vor diesem Hintergrund das bürgerliche Gezerre um die Schweizer Unterstützung für die UNRWA. Im September hatte der Nationalrat einem SVP-Vorstoss zugestimmt, der die Einstellung der Beiträge an das Palästinenser:innenhilfswerk der Uno fordert. Es geht um zehn Millionen Franken fürs laufende Jahr. Ende Woche berät die aussenpolitische Kommission des Ständerats das Anliegen. Ob das bürgerlich dominierte Gremium Humanismus vor Ideologie stellt, ist fraglich.
Dabei wäre die Aussetzung der Zahlungen, darin ist sich die Fachwelt einig, verheerend. «Ein Kollaps könnte zu einer massiven Fluchtbewegung führen, Zehntausende Kinder wären ohne Schulen, und die humanitäre Krise würde sich weiter verschärfen», schreiben Amnesty International, Alliance Sud und andere in einem offenen Brief an die Ständerät:innen. Alarm geschlagen hatte zuvor schon die frühere Chefanklägerin der Uno, Carla Del Ponte. «Wir sind besorgt um die humanitäre Tradition unseres Landes», zitierte der «Blick» aus einem Schreiben prominenter Diplomat:innen. Auch sie fordern vom Ständerat, den nationalrätlichen Entscheid zu korrigieren.
Anfang Jahr hatten mehrere wichtige Geldgeber ihre Zahlungen an die UNRWA vorübergehend eingestellt, nachdem die israelische Regierung Mitarbeitern des Hilfswerks eine Beteiligung am Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 vorgeworfen hatte. Inzwischen haben die meisten davon die Geldflüsse, verbunden mit Auflagen, wieder in Gang gebracht – gerade dieser Tage gab die EU-Kommission den Transfer der letzten Tranche für das aktuelle Jahr bekannt.
Unabhängig davon, wie man zum Palästinenser:innenhilfswerk steht: Keine andere Organisation kann die UNRWA derzeit in Gaza und dem Libanon ersetzen – je weniger Gelder sie zur Verfügung hat, desto mangelhafter die Versorgung der kriegsgeplagten Zivilist:innen. Würden die Bürgerlichen nach ihrem eigenen Credo der vielbeschworenen «Hilfe vor Ort» handeln, müssten sie deshalb für mehr Unterstützung plädieren, statt diese aussetzen zu wollen. Schliesslich befinden sich in Gaza und dem Libanon schon jetzt Hunderttausende auf der Flucht – es dürften noch viel mehr werden.
Womit man sich in Bern offenbar nicht befassen will, haben die Mächtigen in Brüssel längst erkannt. In einem Brief an die EU-Mitglieder warnte Ursula von der Leyen vor Fluchtbewegungen aus dem Nahen Osten Richtung Europa. Man müsse an «Notfallplänen» arbeiten, so die Kommissionspräsidentin. Näher ins Detail wollte sie nicht gehen – humanitäre Visa und sichere Fluchtrouten dürfte sie allerdings nicht im Sinn haben.
Stattdessen liess sie sich letzte Woche in trauter Runde mit rechtspopulistischen Abschotter:innen ablichten – von Viktor Orbán über Giorgia Meloni bis zum niederländischen Premier Dick Schoof. Im Vorfeld eines EU-Gipfels redeten sie jeder noch so radikalen Verschärfung das Wort. Ob «Rückkehrzentren» in Drittstaaten, die Aussetzung des Asylrechts oder Ausschaffungen ins kriegsversehrte Syrien: Geht es ums Fernhalten ungewollter Menschen, hält keine der einst selbst gesetzten roten Linien stand.
Möglich wäre, das sollte vor lauter Abschreckungsdiskurs nicht vergessen gehen, auch eine andere Politik. Bezogen auf die Schweiz, hiesse das: Statt der UNRWA das Geld zu streichen, könnte sie die Zahlungen erhöhen. Auch einen «Notfallplan» könnte der Bund schmieden – für die Aufnahme Flüchtender aus Gaza und dem Libanon. Platz gibt es. Gerade kündigten die Behörden an, neun Asylzentren wegen tiefer Auslastung zu schliessen.