Erfolgsprämien bei Paralympics: Wenn Medaillen nicht gleich viel zählen

Nr. 44 –

Bei den diesjährigen Sommerspielen waren die Schweizer Parasportler:innen so erfolgreich wie lange nicht mehr. Doch während Aufmerksamkeit und Anerkennung zunehmen, ist es bis zur Gleichstellung noch ein weiter Weg.

Foto von Athleten und Athletinnen an der Eröffnungsfeier der Paralympics Ende August in Paris
«Ich sehe die Entwicklung alles in allem sehr positiv»: Marcel Hug (rechts) an der Eröffnungsfeier der Paralympics Ende August in Paris.    Foto: Ennio Leanza, Keystone

Freudestrahlend blickten sie am vergangenen Montag in die Kamera: die Schweizer Athlet:innen, die bei den Olympischen und Paralympischen Spielen in Paris diesen Sommer ausgezeichnet wurden. Gemeinsam mit EM- und WM-Medaillengewinner:innen wurden sie bei einem Empfang im Bundeshaus geehrt. «Sie alle gehören zu den Besten der Besten. Das verdient Respekt und Anerkennung», sagte Bundespräsidentin Viola Amherd am Anlass. Doch so gleichgestellt wie an jenem Abend sind die Athlet:innen nicht immer.

Dabei können die Parasportler:innen auf starke Monate zurückblicken: Bei den Marathons in Berlin und Chicago diesen Herbst siegten die Rollstuhlsportler:innen Catherine Debrunner und Marcel Hug beide Male, bei der Radweltmeisterschaft in Zürich holten die Schweizer Paracycler:innen insgesamt 9 Medaillen. Und bei den Paralympics konnte das Schweizer Team im Sommer ganze 21 Medaillen gewinnen, darunter 8 goldene – die beste Bilanz seit 26 Jahren. Die Euphorie war gross, die Medienberichterstattung umfangreich und das Wort Inklusion in Paris schon in der Eröffnungsrede der Spiele omnipräsent. Tatsächlich aber hinkt die Schweiz bei der Gleichstellung im Vergleich zu so manchen anderen Staaten noch ordentlich hinterher.

Während Länder wie Spanien, Frankreich, Deutschland oder Belgien die Erfolgsprämien für olympische und paralympische Medaillengewinner:innen angeglichen haben, und das teils schon länger, klaffen diese hierzulande noch deutlich auseinander. So konnten die olympischen Athlet:innen im Einzelsport für eine Goldmedaille mit 50 000 Franken rechnen – 40 000 waren es für Silber und 30 000 für Bronze –, während die paralympischen Spitzensportler:innen für Gold nur 18 000 Franken bekamen, 12 000 für einen zweiten und 9000 für einen dritten Platz.

Ungleicher Zugang zu Lotteriegeld

«Der Parasport befindet sich heute auf gleichwertiger Stufe mit den Regelsportarten. Die Athlet:innen sind absolute Spitzensportler:innen, die genauso viel trainieren, investieren und leisten», sagt Conchita Jäger, die Geschäftsführerin von Swiss Paralympic. «Warum sollte eine Goldmedaille für eine Catherine Debrunner oder einen Marcel Hug da weniger wert sein als etwa für die Schützin Chiara Leone?»

Jäger sitzt mit Swiss Paralympic eigentlich an der Spitze jener Organisation, die für genau diese Frage zuständig ist: Die Stiftung, gegründet von den beiden Parasportvereinen PluSport und Rollstuhlsport Schweiz, organisiert die Teilnahmen der Schweizer Parasportler:innen an Paralympics, Welt- und Europameisterschaften und treibt die dafür erforderlichen Gelder auf. Sie legt auch die Erfolgsprämien für paralympische Medaillen fest. Und doch, sagt Jäger, könne Swiss Paralympic eine Prämienangleichung nicht allein bewirken.

Bei den Olympics und Paralympics geben die internationalen Komitees und Sportverbände mit grosser Mehrheit keine Preisgelder aus. Wie die Teilnehmerstaaten die Erfolge ihrer Athlet:innen honorieren, ist ihnen überlassen, wobei es deutliche Unterschiede gibt. Während etwa Norwegen oder Grossbritannien gar keine Erfolgsprämien zahlen, bewegen sich diese bei asiatischen Staaten laut Medienberichten schon mal im sechsstelligen Bereich.

Auch die Finanzierung der Prämien ist unterschiedlich. In der Schweiz läuft dies für Olympiapreisträger:innen über Swiss Olympic, den Schweizer Dachverband des Sports und das nationale Olympische Komitee. Die Mittel dafür bezieht Swiss Olympic neben Sponsoring massgeblich aus Lotteriegeldern – ein Vorteil, von dem Parasportler:innen nicht in gleicher Weise profitieren. Ihre Prämien richtet Swiss Paralympic aus. Die Stiftung erhält von Swiss Olympic zwar finanzielle Unterstützung für einen grossen Teil der Missionskosten. Darunter fällt auch eine zweckgebundene Pauschale für Erfolgsbeiträge. Bis vor kurzem belief sich diese aber auf nur 50 000 Franken, vor Paris wurde sie auf 75 000 Franken erhöht. Wollte die Stiftung ihre Erfolgsprämien an jene der olympischen Athlet:innen angleichen, könnte sie damit nicht mehr als eineinhalb Goldmedaillen finanzieren.

Swiss Olympic stellt sich auf die Position, dass Swiss Paralympic die Gelder für höhere Prämien anderswo generieren könne: «Als eigenständige Organisation kann Swiss Paralympic sich und seine Athlet:innen frei vermarkten und Partnerschaften im Spenden- und Sponsoringbereich eingehen», erklärt Ralph Stöckli, der Delegationschef für Paris. Eine höhere Pauschale für paralympische Medaillenprämien werde zwar immer wieder diskutiert, bisher habe man sich aber dagegen entschieden.

Conchita Jäger kann dieses Argument schwer nachvollziehen. «Swiss Olympic hat durch den direkten Zugang zu den Lotteriegeldern eine völlig andere Ausgangslage. Swiss Paralympic hingegen finanziert sich als kleine Stiftung bereits heute zu rund siebzig Prozent über Sponsoring und Spenden. Für Paris haben wir die Preisgelder nach der Erhöhung der Pauschale auf 75 000 Franken ebenfalls proportional angehoben.» Bei den vielen Medaillenerfolgen der Athlet:innen sei es der kleinen Stiftung durch eigene Mittel aber unmöglich, diese so zu honorieren, wie sie es gerne würde. «Wir wurden vom eigenen Erfolg überrollt.»

Wie sehr sich der Schweizer Parasport in den vergangenen Jahren professionalisiert hat, haben wohl wenige so eindrücklich miterlebt wie Heinz Frei. Der 66-Jährige, der seit einem Unfall im Jahr 1978 querschnittsgelähmt ist, gilt als Pionier des Rollstuhlsports. Frei startete das erste Mal 1984 bei den Paralympics, er hat in seiner jahrzehntelangen Karriere zahlreiche Medaillen gewonnen, darunter fünfzehn Mal paralympisches Gold in den Disziplinen Leichtathletik, Handbike und Langlauf. Erst an der diesjährigen Rad-WM in Zürich hat er seinen internationalen Rücktritt erklärt. «Die Olympiamedaillen waren schon immer viel mehr wert als jene, die ich gewann», sagt er. Bei seinen ersten Spielen seien Prämien sowieso noch kein Thema gewesen. «Ich habe mich darüber nie so richtig beschwert», schliesslich habe er erst daran mitgearbeitet, den Parasport auf das heutige Niveau zu bringen.

Portraitfoto Heinz Frei
Heinz Frei, fünfzehnfacher Olympiasieger Foto: Swiss Paralympic/ Gabriel Monnet

Mit der Professionalisierung stiegen die Aufmerksamkeit und die Wertschätzung. Auch bei der Sportförderung habe sich viel getan, über Kader und die Schweizer Sporthilfe. Seit 2021 können auch Parasportler:innen eine achtzehnwöchige Ausbildung an der Spitzensportrekrutenschule der Armee in Magglingen absolvieren. Dort nutzen sie die Infrastruktur, erhalten Erwerbsersatz und einen regulären Sold. Um die Gleichstellung noch weiter zu führen, wäre eine Vereinheitlichung der Erfolgsprämien aber ein wichtiges Symbol, sagt Frei. «Ich bin absolut der Meinung, dass eine Angleichung an den Regelsport stattfinden sollte.» Dabei sieht er Swiss Olympic in der Verantwortung.

Unter den diesjährigen Preisträger:innen sind die Ansichten etwas differenzierter. «Zu einer Prämienerhöhung würde sicher niemand Nein sagen», sagt Flurina Rigling am Telefon, «und als Vertreterin der Athlet:innen bei Swiss Paralympic fände ich eine Annäherung an den Regelsport zeitgemäss und erstrebenswert.» Die 28-Jährige hat seit ihrer Geburt ein Handicap an Händen und Füssen: Sie ist in ihrer Grifffähigkeit eingeschränkt und kann ihre Wadenmuskulatur nicht einsetzen.

Rigling zählt zur Spitze des Schweizer Radsports, an der WM in Zürich wurde sie Weltmeisterin im Strassenrennen und Zeitfahren, von Paris kehrte sie mit einer Silber- und einer Bronzemedaille heim. Wichtiger als höhere Paralympicsprämien findet sie aber Partnerschaften, die den Sportler:innen die ganze Zeit über eine Unterstützung bieten. «Ich suche mir meine Sponsoren selbst, was nicht einfach ist.» Wobei sie im Vergleich zu anderen Athlet:innen noch den Vorteil habe, von der Sportförderung der Armee zu profitieren. So kann sie sich, anders als viele andere, quasi vollumfänglich dem Profisport widmen.

Portraitfoto Flurina Rigling
Flurina Rigling, Radrennfahrerin Foto: Swiss Paralympic/ Gabriel Monnet

Wichtig seien Ressourcen- und Chancengleichheit, sagt Rigling. Dabei müsse man auch darüber nachdenken, die Parasportler:innen stärker in die diversen Verbände der Regelsportarten zu integrieren. «Schön wäre ein noch stärkerer Austausch, gemeinsame Trainingslager – sofern die Strukturen dafür gegeben sind – und mehr gemeinsame Events, Sportdialoge, Galas», sagt sie. «Das trägt dazu bei, den Parasport auf natürliche Art sichtbar zu machen.» Die Rad- und Paracyling-WM in Zürich, die erstmals als inklusive Sportveranstaltung mit gemeinsamem Programm, gemeinsamer Ziellinie und gemeinsamer Delegation abgehalten wurde, sei in dieser Hinsicht ein wichtiges Symbol gewesen.­

«Da habe ich gestaunt»

«Ich sehe die Entwicklung alles in allem sehr positiv», sagt auch Marcel Hug bei einem Treffen nach seinem Training im Paraplegikerzentrum Nottwil. Der 38-Jährige, mit offenem Rücken geboren, hat als Rollstuhlleichtathlet schon so ziemlich alles gewonnen, was man gewinnen kann. In Paris holte er vier Medaillen, darunter Gold im Marathon. «Es ist sicher erstrebenswert, möglichst viele Sachen anzugleichen.» Man dürfe aber nicht vergessen, dass die Konkurrenz bei den allermeisten paralympischen Sportarten nicht die gleiche sei wie im olympischen Bereich. «Schliesslich gibt es viel weniger Sportler:innen mit Behinderung als ohne», sagt Hug. «Auch wenn das Leistungsniveau wahrscheinlich vergleichbar ist und ich einen ähnlichen Trainingsaufwand habe.»

Portraitfoto Marcel Hug
Marcel Hug, Leichtathlet Foto: Swiss Paralympic/ Gabriel Monnet

Für mehr finanzielle Sicherheit im Parasport sieht Hug die Erfolgsprämien aber als falschen Hebel: «Man muss ja erst einmal zu einem Medaillengewinn kommen.» Dazu brauche es schon viel früher die entsprechende Förderung. Hug ist sich bewusst, dass er aus einer privilegierten Position spricht: Er zählt im Parasport zu den Grossverdiener:innen, was massgeblich an den World Marathon Majors, den grossen Städtemarathons in Tokio, Boston, London, Berlin, Chicago und New York, liegt. Anders als bei den allermeisten Wettkämpfen erhalten Paraleichtathlet:innen dort ein Preisgeld, noch dazu ein verhältnismässig hohes. Auch die Medienaufmerksamkeit ist gross, was es leichter macht, Sponsoren zu akquirieren.

Am Ende des Gesprächs kommt Hug auf die Rennen zu sprechen: Eine Entwicklung habe ihn da kürzlich besonders beeindruckt. «Beim Marathon in London haben reguläre Athleten und Parasportler dieses Jahr zum ersten Mal das genau gleiche Preisgeld erhalten. Obwohl es viel mehr Läufer auf der Welt gibt als Rollstuhlfahrer.» Er hält kurz inne. «Da habe ich gestaunt», sagt er dann, «das war schon ein starkes Zeichen.»