Biodiversität: Ein Land ohne Plan

Nr. 45 –

In Kolumbien fand die Biodiversitätskonferenz der Uno statt. Hat das in der Schweiz jemand gemerkt?

Bundesrat Albert Rösti hat CO₂-Emissionen vermieden. Anders als die Umweltminister:innen vieler anderer Länder flog er diesen Herbst nicht nach Kolumbien. Er nahm nicht an der 16. Uno-Biodiversitätskonferenz teil. Stattdessen blieb er zu Hause und warb für den Autobahnausbau.

Die Biodiversitätskonvention der Uno geht auf den sogenannten Erdgipfel in Rio de Janeiro von 1992 zurück. Vor zwei Jahren wurde im kanadischen Montreal ein neues Rahmenwerk mit 23 Zielen verabschiedet (siehe WOZ Nr. 50/22). Die Konferenz in Cali, die am Samstag zu Ende ging, sollte überprüfen, ob dieses Rahmenwerk umgesetzt wird.

Die Ziele von Montreal wären eine gute Grundlage, um mit dem Biodiversitätsschutz vorwärtszumachen. Das bekannteste wird «30 by 30» genannt: Bis 2030 sollen dreissig Prozent der Land- und Meeresoberfläche so geschützt sein, dass ihre natürliche Vielfalt erhalten bleibt. Dabei müssen die Rechte von «indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften» beachtet werden. Die Staaten sollen auch die Verschmutzung mit Chemikalien reduzieren, den nachhaltigen Konsum fördern, biodiversitätsschädigende Subventionen abschaffen und mehr Geld für den Artenschutz bereitstellen. Das Dokument betont, dass Profite aus genetischen Ressourcen fair geteilt gehören und traditionelles Wissen nur mit «informierter Zustimmung» verwendet werden darf, dass Umweltaktivist:innen Rechtssicherheit brauchen, und es pocht auf Geschlechtergerechtigkeit.

Wie beim Klima fühlt sich auch bei der Biodiversität jeder Staat vor allem für das verantwortlich, was auf seinem Territorium geschieht. Und wie beim Klima verzerrt dieser Ansatz die Realität: Laut Bundesamt für Umwelt fallen siebzig Prozent des hiesigen «Biodiversitäts-Fussabdrucks» im Ausland an. Die Schweiz hat also eine grosse Verantwortung gegenüber den Ländern, in denen ihre Konsumgüter hergestellt werden und ihre Konzerne wirtschaften. Doch sie schafft es nicht einmal, die Biodiversität im eigenen Land zu erhalten.

Albert Röstis Vorgängerin Simonetta Sommaruga machte noch aktiv Biodiversitätspolitik: Sie setzte sich etwa für einen ambitionierten indirekten Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative ein – den der Ständerat versenkte. Rösti macht Biodiversitätspolitik, indem er behauptet, das Thema ernst zu nehmen, und es gleichzeitig sabotiert. Die Schweiz hat es nicht einmal geschafft, ihren überfälligen neuen Aktionsplan Biodiversität – der die Umsetzung der Montreal-Ziele konkret machen müsste – rechtzeitig zur Konferenz in Cali auszuarbeiten. Ein Zeichen dafür, wo die Prioritäten liegen. Die Budgets für die Pflege der Schutzgebiete sind in der Schweiz so knapp, dass sich ihr Zustand teils verschlechtert. Und von den 162 biodiversitätsschädigenden Subventionen, die Wissenschaftler:innen 2020 gefunden haben, hat der Bund erst 8 genauer angeschaut.

Die Konferenz in Cali endete ohne Schlusserklärung. Zwar gelang es, einen ständigen Ausschuss indigener Vertreter:innen zu beschliessen. Ausserdem stimmte die Konferenz einem Fonds zu, der die Gewinne gerechter verteilen soll, wenn genetische Daten von Lebewesen kommerziell genutzt werden. Der Entscheid über einen Biodiversitätsfonds, der ärmeren Ländern ermöglichen soll, den Artenschutz zu finanzieren, wurde hingegen vertagt. Er wäre dringend nötig – auch um die Schäden anzugehen, die reiche Länder im Ausland anrichten.

Aus Anlass der Konferenz hat die kolumbianische Aktivistin Karen Ulchur von den indigenen Nasa mit der deutschen «tageszeitung» gesprochen. Als sie gemerkt hätten, dass sie zu viel abholzten, hätten die Nasa Änderungen beschlossen: Sie stellen keine Holzkohle mehr her, pflanzen Wald rund um die Quellen und fangen in der Regenzeit Wasser auf, um nicht mehr auf Tanklaster angewiesen zu sein. Dass es einer indigenen Gemeinschaft gelingt, mit einfachsten Mitteln den Wald zu schützen und die eigene Versorgung zu verbessern, während die reiche Schweiz nicht einmal rechtzeitig ein Papier zustande bringt: Das ist beschämend.