Biodiversität: Ein bisschen Paris für Montreal

Nr. 51 –

Am Montag wurde bei der Uno-Biodiversitätskonferenz in Kanada ein neues Abkommen beschlossen. Trotz einiger Schwachstellen ist ein insgesamt überraschend weitreichendes Regelwerk entstanden.

Zwei Jahre später als geplant steht seit Wochenbeginn das neue Kunming-Montreal-Biodiversitätsabkommen. Die Verhandlungen dazu, die ursprünglich in China hätten stattfinden sollen, wegen Corona aber mehrmals verschoben wurden, wurden während der vergangenen zwei Wochen in der kanadischen Grossstadt Montreal geführt. Die Resultate sind beachtlich.

Beim neu ausgearbeiteten Global Biodiversity Framework (GBF) handelt es sich um einen 23-Punkte-Plan, um den Biodiversitätsverlust zu stoppen und «nature-positive» zu werden, also Arten- und Lebensraumvielfalt zurückzugewinnen. Unterzeichnet haben das Uno-Abkommen die 195 Vertragsstaaten des Übereinkommens zum Schutz der Biologischen Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD).

Es fehlen konkrete Massnahmen und das Geld, um die Schutzziele zu erreichen.

Ein Kernstück des neuen GBF ist die Einigung auf das «30 by 30»-Ziel: Bis 2030 sollen ganze dreissig Prozent der weltweiten Landflächen und der Ozeane für den Erhalt der Biodiversität geschützt sein. So wird das Übereinkommen als Meilenstein im Kampf gegen die Umweltzerstörung und als «Paris-Moment» der diesjährigen Biodiversitätskonferenz gefeiert – in Anlehnung an das historische Pariser Abkommen zur Begrenzung der Klimaerhitzung 2015.

Der WWF sprach von einem «Durchbruch, um den Biodiversitätsverlust zu stoppen», während Greenpeace die Wichtigkeit des verankerten «30 by 30»-Ziels betonte. «BirdLife» gratulierte den Vertragsstaaten zum Beratungsmarathon, der in einer Nachtschicht bis in den frühen Montagmorgen gipfelte: Tatsächlich konnten in den letzten Verhandlungsstunden einige Punkte des vorgelegten Entwurfs noch deutlich verbessert werden. So einigte man sich – in einer von den Delegationen aus der Schweiz und Grossbritannien vorangetriebenen Diskussion – etwa auf ein konkretes Ziel zum Pestizidgebrauch: bis 2030 nur noch halb so viel zu versprühen wie heute.

Wie soll das gehen?

Haben sich die Uno-Staaten auf erfreulich viele explizite und messbare Ziele geeinigt, bleibt ein Abkommen nur so gut wie seine Umsetzung. Doch hier setzt die grösste Kritik an: Es fehlten konkrete Massnahmen, um die Schutzziele zu erreichen. Und auch das Geld dafür.

Immerhin wurde der versprochene Gesamteinsatz der Regierungen für ihren Biodiversitätsschutz zwar verdoppelt, doch seien die neu dreissig Milliarden US-Dollar, die bis 2030 jährlich zum Schutz von Arten und Lebensräumen in Entwicklungsländer fliessen sollen, gemäss «BirdLife» und Greenpeace niemals genug. Auch stören sich Umweltorganisationen an vage formulierten Passagen, etwa daran, dass im Text zum «30 by 30»-Ziel Schlüsselgebiete der biologischen Vielfalt fehlen. Dabei handelt es sich um Gebiete, die gemäss standardisierten Kriterien für Tier- und Pflanzenarten essenziell sind. Würden sich Staaten nicht ausdrücklich zu deren Schutz verpflichten, könnten sie neue Biodiversitätsflächen für das Erlangen des «30 by 30»-Zieles einfach in anderen, billigeren Gebieten einrichten, so die Befürchtung.

Weiter bleiben Fragen zur Verantwortlichkeit unbeantwortet: Werden die Länder verbindliche Gesetze zur Umsetzung der Biodiversitätsziele erlassen? Wer überprüft, ob diese erreicht werden – und was ist, wenn nicht? Wie können umweltschädliche Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden?

Die Rechte der Indigenen

Im Vorfeld der Konferenz hatten auch Vertreter:innen von indigenen und lokalen Gruppen befürchtet, dass ihre Rechte und Bedürfnisse in den neuen Paragrafen zu wenig explizit erwähnt würden und sie aus Schutzgebieten ausgeschlossen werden könnten. Ihr unermüdlicher Einsatz bei den Verhandlungen hat sich aber gelohnt: Die traditionelle Nutzung, die zum Erhalt der Biodiversität beiträgt, kann in den dreissig Prozent angestrebter Schutzflächen explizit weiterbetrieben werden.

«Dies ist ein historischer Moment zum Feiern», schloss eine Vertreterin des Internationalen Forums indigener Gruppen zur biologischen Vielfalt (IIFB) am Montag in Montreal und lobte den finalen Abkommenstext. Die Welt realisiere langsam, dass indigene Gesellschaften einen echten Beitrag zum Erhalt der Biodiversität leisteten. Sie seien sehr zufrieden mit den beschlossenen Paragrafen, nun gehe es darum, in den Ländern die Umsetzung anzupacken.

Wie genau jedoch die Regierungen in weniger als einem Jahrzehnt den Verlust der biologischen Vielfalt aufhalten wollen, wenn sie weiterhin auf gängige Wirtschaftsmodelle mit Wachstum und Überkonsum setzen, bleibt abzuwarten.