Konzernverantwortung: Gewalt auf dem Brachland

Nr. 46 –

Im Südosten Kenias werfen Anwohner:innen einer ­Zementfirma Landraub, Vertreibung und physische Übergriffe vor. Die Firma ist eine Tochter von Holcim. Wie reagiert der Konzern aus Zug auf die Vorwürfe?

Zugang zum von der Holcim-Tochter Bamburi Cement beanspruchten Landstück
Wo ist der ursprüngliche Pachtvertrag? Zugang zum von der Holcim-Tochter Bamburi Cement beanspruchten Landstück. Fotos: Edwin Okoth

Dies ist die gewaltvolle Geschichte eines Stücks Land in Denyenye, einer Küstenregion im Südosten Kenias, rund eine Autostunde von der grossen Hafenstadt Mombasa entfernt. Eine Geschichte, die vor siebzig Jahren begann und von kolonialen und wirtschaftlichen Machtstrukturen geprägt ist. Gemäss Anwohner:innen werden diese auch mit Schlägen, scharfen Hunden und sexualisierter Gewalt durchgesetzt. Im Kern geht es dabei um eine eigentlich simple Frage: Wem gehört das Stück Land, das in vier Parzellen aufgeteilt ist und insgesamt 1500 Hektaren umfasst?

Auf der einen Seite steht ein Schweizer Unternehmen: Holcim. Der weltweit grösste Baustoffkonzern, der letztes Jahr einen Umsatz von 27 Milliarden Franken erzielte, hat seinen Hauptsitz in Zug. Sein kenianisches Tochterunternehmen ­Bamburi Cement PLC beansprucht das Land seit 1954 unter dem Namen «Diani Estate» für sich. Dabei hat die Firma bis heute keinerlei kommerzielle Aktivität darauf entwickelt, es liegt brach. Trotzdem unternimmt die Zementproduzentin enorm viel, um die lokale Community davon fernzuhalten.

Wem gehörts?

Auf der anderen Seite sagen Bewohner:innen der umliegenden Dörfer, dass dies ihr traditionelles Ahn:innenland sei. «Chikuyumtole» nennen sie es. Jahrhundertelang hätten sie das Land bearbeitet, ihr Vieh dort geweidet, Feuerholz gesammelt und im Meer gefischt. Das möchten sie weiterhin tun. Es gibt also zwei Versionen dieser Geschichte, einmal von oben und einmal von unten her erzählt. Welche ist wahr? Und lässt sich der Konflikt lösen?

G4S – der Sicherheitsriese

Die Firma G4S ist ein Gigant im globalen Sicherheitsbusiness und in rund neunzig Ländern aktiv, bisher jedoch nicht in der Schweiz. Das ursprünglich britische Unternehmen wurde 2021 für 3,8 Milliarden Pfund vom US-amerikanischen Sicherheitskonzern Allied Universal übernommen. Dieser beschäftigt insgesamt rund 800 000 Mitarbeitende und setzt jährlich 20 Milliarden US-Dollar um. Namhafte Investitionen in Unternehmensteile von Allied Universal tätigte auch die Partners Group, eine Private-Equity-Firma aus Baar im Kanton Zug.

G4S steht nicht nur in Kenia, sondern auch in einer Reihe anderer Länder wegen Korruption, Missbrauch und Menschenrechtsverletzungen unter Beschuss. Es gibt einen eigenen Wikipedia-Eintrag zu den vielen Skandalen um den privaten Sicherheitsdienstleister.

Um das herauszufinden, hat die WOZ gemeinsam mit der niederländischen Investigativplattform Follow The Money, der kenianischen Tageszeitung «The Nation» sowie den beiden panafrikanischen Plattformen ZAM Magazine und The Africa Report intensiv vor Ort recherchiert und mit über einem Dutzend Dorfbewohner:innen gesprochen, Polizeirapporte und Bildmaterial ausgewertet und sich auf die Suche nach amtlich überprüfbaren Dokumenten zu den Besitzverhältnissen des Landstücks gemacht. Die Recherchekooperation hat auch die Gegenseite kontaktiert und konfrontiert: Holcim, Bamburi Cement sowie die involvierten «Sicherheitskräfte».

Es droht Amputation

Shee Mbimbi lebt in Denyenye und arbeitet als Steinhauer in einem regionalen Steinbruch. Er sitzt vor seinem Gehöft, umgeben von Kokosnuss- und Mangobäumen. Am 29. August letzten Jahres ist er auf seinem Heimweg von der Arbeit durch einen Wald gelaufen, um Brennholz zu sammeln. Der Wald gehört zu jenem Landstück, das Bamburi für sich beansprucht. Das Brennholz sei eine wichtige Energiequelle für die in Armut lebenden Menschen vor Ort, erzählt Mbimbi. Da tauchten plötzlich zwei Wächter der privaten, von Bamburi Cement engagierten Sicherheitsfirma G4S (vgl. Kasten «G4S – der Sicherheitsriese») auf. «Sie stellten mich zur Rede und fragten mich, was ich da mache.» Ein Wachmann habe begonnen, ihn mit einem Schlagstock zu malträtieren, aber er habe versucht, sich zu wehren, so Mbimbi. «Der andere Wachmann liess dann einen Hund auf mich los, der mich biss. Sie eskortierten mich nach Hause und warnten mich davor, jemandem zu erzählen, dass ich von einem Bamburi-Hund gebissen worden war.»

Foto von Shee Mbimbi, Steinhauer
Shee Mbimbi, Steinhauer

Er suchte daraufhin ein örtliches Spital auf, konnte sich aber keine medizinische Behandlung leisten, nicht einmal eine Tollwutimpfung. Er zeigt Handyaufnahmen, die unmittelbar nach dem Angriff gemacht worden seien. Darauf ist Mbimbi zu sehen, wie er auf dem Rücken liegt und sein blutiges, verletztes Bein hält. «Sie brachten mich nicht auf die Polizeiwache», sagt er zur filmenden Person. «Sie sagten mir auch, ich solle andere davor warnen, auf diesem Land Feuerholz zu sammeln, sonst würden sie ihre Hunde loslassen, um zu töten.» Vor kurzem untersuchte ein Arzt Mbimbis septische Wunde und stellte fest, dass die Sepsis bis zum Knochen vorgedrungen ist und sein Bein höchstwahrscheinlich amputiert werden muss.

Furcht vor der Polizei

Shee Mbimbi ist kein Einzelfall. Bereits Ende letzten Jahres dokumentierten mehrere kenianische NGOs, darunter die Kenyan Human Rights Commission und die Kwale Mining Alliance, in Berichten und Videobeiträgen weitere gewalttätige Übergriffe von Sicherheitskräften auf dem von Bamburi Cement beanspruchten Landstück. Die darin aufgeworfenen Vorwürfe sind teils gravierend; sie reichen von Vergewaltigungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen mit Todesfolge durch Sicherheitskräfte. Dabei ist ein Punkt relevant: Auf dem Gelände sind nicht nur G4S-Leute im Auftrag von Bamburi tätig, sondern seit knapp zwei Jahrzehnten auch die berüchtigte staatliche paramilitärische Polizeieinheit General Service Unit (GSU)*. Das Oben in dieser Geschichte besteht folglich nicht nur aus Holcim, sondern auch aus Teilen des kenianischen Staatsapparats.

Die WOZ hat mit über einem Dutzend Betroffenen Gespräche geführt. Etwa mit der 69-jährigen Mishi Juma, die 2017 von einem GSU-Beamten begrapscht worden und deren Sohn als junger Erwachsener Mitte der nuller Jahren an den Folgen von Schlägen durch Sicherheitsbeamte verstorben sei. Oder mit dem 34-jährigen Hamad Juma Dari, der zusammen mit zwei Freunden von drei GSU-Beamten attackiert und eine Stunde lang verprügelt worden sei, während ein G4S-Securitymann tatenlos zugesehen habe. Beide Betroffenen wollen bewusst mit ihren richtigen Namen hinstehen.

Die Aussagen der Dorfbewohner:innen sind in sich schlüssig und deuten in den sich wiederholenden Mustern auf eine Systematik hin. Die Dokumentation der Übergriffe ist aber nicht immer von der gleichen Qualität wie im Fall von Shee Mbimbi, der die Bisswunde unmittelbar nach der Attacke per Handyvideo protokollierte. Und mehrere Fälle liegen teils schon Jahre bis Jahrzehnte zurück. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass viele Dorfbewohner:innen der lokalen Polizei nicht trauen. Jahrelang hätten sie versucht, der Polizei Missbrauch und Gewalt auf dem Landstück in Denyenye zu melden, sagen sie. Diese habe nie etwas unternommen. Das hat sich durch die Unterstützung der NGOs und der damit verbundenen Öffentlichkeit geändert. Mittlerweile sind zwölf Anzeigen bei der örtlichen Polizei deponiert.

Kein Kontakt, keine Gespräche

Die WOZ hat die Vorwürfe per Fragebogen sowohl Bamburi Cement, Holcim und G4S wie auch der GSU und der für sie zuständigen staatlichen Behörde vorgelegt. Während die letztgenannten Instanzen trotz mehrmaliger Nachfrage stumm blieben, beantworteten die private Sicherheitsfirma, die kenianische Tochter und die Zuger Mutterfirma wenigstens einen Teil der zahlreichen Fragen.

«Wir nehmen Menschenrechtsvorwürfe jeglicher Art äusserst ernst, und in diesem Fall flog ein Mitglied des Menschenrechtsteams nach Kenia, um Nachforschungen anzustellen und unsere Kollegen vor Ort zu unterstützen», schreibt Holcim. Dies sei ein Beispiel für ihre Standardpraxis bei Menschenrechtsfragen; alle Vorwürfe würden sofort und gründlich untersucht. Und weiter: «Die Untersuchung ergab, dass es sich um frühere Anschuldigungen gegen den staatlichen Dienst GSU und den Bamburi-Dienstleister G4S handelte»; es hätten sich «nach der Durchführung von Überprüfungen und Nachforschungen keine Beweise für Fehlverhalten gefunden». Es habe zwei registrierte Vorfälle gegeben, die gründlich untersucht worden seien: «Einer wurde der örtlichen Polizei gemeldet und von dieser bearbeitet; bei dem anderen konnten die Vorwürfe nicht erhärtet werden», so Holcim. Der Konzern engagiere sich stark für die Gemeinden, in denen er tätig sei, und unterstütze sie im Rahmen seiner sozialen Verantwortung mit verschiedenen laufenden sozialen Initiativen, «die von Bildung, Umwelt und Wasser bis hin zu Abwasserentsorgung, Beschäftigung und Infrastruktur reichen».

Deutlich knapper fällt die Rückmeldung von G4S aus: Die Sicherheitsbeamten, die bei Bamburi Cement arbeiteten, würden nach einem hohen Standard geschult, unter anderem mit den «Freiwilligen Grundsätzen für Sicherheit und Menschenrechte der Rohstoff- und Energiebranche». «Wir haben einen Sicherheitshund vor Ort, der nur nachts von einem ausgebildeten Hundeführer eingesetzt wird und an einer doppelten Leine geführt wird», schreibt G4S weiter und bilanziert: «Wir sind der Ansicht, dass die von Ihnen erhobenen Vorwürfe unbegründet sind.»

Gerne hätte die WOZ mehr über den Auftrag von Bamburi an das umstrittene Sicherheitsunternehmen G4S erfahren: Wie viel er kostet und wie viele Mitarbeitende er umfasst. Ob es ein Monitoring des Auftrags gibt. Und ob Holcim auch an anderen Standorten mit G4S zusammenarbeitet. Die Fragen blieben allesamt unbeantwortet.

Sammelklage ist eingereicht

Die Ursache des Konflikts ist und bleibt die Frage, wem das Land tatsächlich und rechtmässig gehört. Die WOZ hat diesbezüglich sowohl Bamburi Cement und Holcim wie auch mehrere staatliche Behörden angefragt: Kein einziger Akteur war – trotz wiederholter Aufforderungen – in der Lage, den ursprünglichen Pachtvertrag von 1954 vorzulegen. In Bezug auf aktuelle Verträge konnte das kenianische Landministerium lediglich für zwei Grundstücke Besitzurkunden vorlegen. Und Bamburi Cement lud die WOZ zwar in den privaten Capital Club in der Hauptstadt Nairobi ein, um dort auf eine Leinwand projizierte Dokumente vorzulegen, doch dort vermerkte Abmessungen und weitere Details stimmten nicht mit den vom Landministerium vorgelegten Dokumenten überein. Schliesslich war nicht zweifelsfrei und transparent nachvollziehbar, dass die Beanspruchung des Landes durch Holcims Tochterfirma völlig rechtens ist.

Holcim selbst sieht das anders. «Bamburi Cement ist Eigentümer aller vier Parzellen des Grundstücks und hat den vollen Rechtsanspruch darauf», inklusive einer Genehmigung zum Bau einer Klinkerproduktionsanlage «in voller Übereinstimmung mit den staatlichen Vorschriften». Das Land sei ab August 2001 für fünfzig Jahre von der kenianischen Regierung gepachtet, das könne beim Landministerium überprüft werden.

Unterdessen geht die Menschenrechtskampagne weiter. Bislang hat die Polizei die zwölf Berichte über Gewalt nicht weiterverfolgt, aber Emmanuel Mwangi, ein Menschenrechtsanwalt, nutzt sie nun für eine Sammelklage von elf Gemeindemitgliedern vor dem Kwale High Court. Neben der Klage wegen Verletzungen, Todesfällen und Traumata geht es dabei auch um die Landfrage. «Die neue kenianische Verfassung von 2010 enthält sehr starke und fortschrittliche Bestimmungen zum Thema Land», sagt Faith Alubbe, CEO der Kenya Land Alliance. «Die Betroffenen vor Ort verdienen Gerechtigkeit.»

Diese Recherche wurde zusätzlich vom Pulitzer Center unterstützt (www.pulitzercenter.org).

*Präzisierung vom 14. November 2024: Diese Polizeieinheit operiert unabhängig von Bamburi auf dem Gelände. Zwischen der Zementfirma und GSU gibt es keine Zusammenarbeit. 

Recherchierfonds

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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