Ein Traum der Welt: Ein Fussballfest am Rand

Nr. 48 –

Annette Hug schöpft wieder Mut

In der Welt des Fussballs hat sich einiges verändert, dachte ich. Da muss sich kein Mädchen mehr als Junge ausgeben, um dann mit gefälschter Lizenz bei den Junioren zu kicken. Heute können auch Schweizerinnen früh anfangen und Profis werden. Und ganz selbstverständlich ging ich davon aus, dass das Team, bei dem die fabelhafte Ramona Bachmann gespielt hat, im Stade des Princes antritt.

Erst beim Ausdrucken der Tickets wurde klar: Der Match Paris Saint-Germain gegen Dijon findet um 21 Uhr auf dem Campus des PSG am Rand von Poissy statt, das heisst: vierzig Minuten S-Bahn in die Banlieue und dann den Bus nehmen, vorbei an einem Friedhof und einer Schule, die nach Corbusier benannt ist.

Im Dunkeln sind die Überbauungen nicht zu sehen, der Bus wird immer leerer, irgendwann sind wir allein mit zwei deutschen Fans. Als Viererpulk wagen wir uns über eine mehrspurige Schnellstrasse – der Campus liegt in einem Autobahndreieck. Es ist schweinekalt. Wir erwarten schon nicht mehr viel, wobei ich (54) gute Stimmung machen will mit der Vorhersage, im Publikum seien bestimmt lauter coole junge Frauen. Meine Begleiterin (15) wettet darauf, dass wir uns in einer Gruppe von Vätern mit Bierdosen in der Hand wiederfinden, alles verhinderte Trainer, die unflätig aufs Feld schreien.

Es kommt anders: Wir sitzen auf der prallvollen kleinen Tribüne, und mir ist pudelwohl. Um mich herum sitzen richtig coole Mütter. Wie die meisten auf und neben dem Platz könnten sie als afro, maghrebinisch, asiatisch gelesen werden, weiss ist hier auch nur eine Variante – anders als in den meisten Vierteln von Paris, die irgendwie nach Schicht und Aussehen der Leute sortiert sind, scheint hier alles locker durcheinanderzugehen.

Die Mutter hinter mir erzählt stolz, dass ihre Tochter eine berühmte Spielerin geheiratet hat, und Maman neben mir versichert lachend, dass sie kein Problem damit habe, wenn wir plötzlich nicht mehr für PSG fanen, sondern für Dijon. Als linken Flügel der Gäste hat meine Begleiterin nämlich Meriame Terchoun entdeckt: Die ist aus Zürich, hat dort mit Juniorinnen verschiedener Klubs Penaltys geübt, wir rufen «Hoppe Meriame», sie winkt freundlich zu uns hoch. Was für ein Fest. Wir kriegen sieben Tore zu sehen, leider die meisten für die Pariser:innen.

Den Heimweg treten wir trotzdem in bester Stimmung an. Mit den roten PSG-Fähnchen, die wir geschenkt bekommen haben, lässt sich der Verkehr auf der Schnellstrasse leichter stoppen, und in der S-Bahn fällt mir jetzt auf, dass wir durch Nanterre fahren. Da steht doch die Uni, die sie in den sechziger Jahren in die Banlieue verlegt haben, wo sich dann der Mai 68 zusammenbraute, wo Dominique Tabah für die Bewohner:innen studentischer Unterkünfte auftrat. Sie hatte festgestellt: Den Jungen waren Besuche auch nach 22 Uhr erlaubt, den Mädchen aber nicht. Ihr Arbeitsleben verbrachte sie nach dem grossen Aufstand als engagierte Bibliothekarin in Vorstädten.

So war diese S-Bahn gegen Mitternacht eine andere als vor dem Spiel. Das war am Samstag. Am Sonntag kams noch besser. Da hat eine Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung den Ausbau der Autobahnen verhindert. Die Trumpist:innen aller Länder marschieren jetzt also doch nicht einfach durch. Merci.

Annette Hug ist Autorin und Übersetzerin, zurzeit in der Cité internationale des arts in Paris.