Finanzplatz: Der Zwerg mit den grossen Geldschleusen
Was Bundesrat und Parlament eigentlich längst tun müssten, will nun eine Initiative erzwingen: Mit dem Finanzplatz soll einer der grössten Klimasünder in die Verantwortung genommen werden.
Es gehört zu den verblüffendsten Eigenarten der Schweiz, dass sie sich in ihrem Selbstbild wahlweise zum Riesen aufzublähen oder aber zum Zwerg zu schrumpfen vermag. So auch in der Klimapolitik: Da zählt man sich vollmundig zu den Musterschüler:innen, verweist auf den hohen Anteil erneuerbarer Quellen am Strommix, auf die engmaschige ÖV-Infrastruktur. Aber macht sich winzig klein, wenns ums Anerkennen der tatsächlichen Verantwortung geht – etwa um die «grauen Emissionen», die im gängigen Konsumverhalten stecken. Oder um die Öl-, Gas- und Kohlegeschäfte, die in Genf oder Zug täglich getätigt werden.
Und vor allem: wenn es um den Schweizer Finanzplatz geht. Gemäss einer Berechnung des internationalen Unternehmensberaters McKinsey ist dieser mit seinen Investitionen und Kreditvergaben für Treibhausgasemissionen verantwortlich, die bis zu achtzehnmal dem schweizerischen Inlandsausstoss entsprechen. Oder sogar «noch mehr, wenn man weitere Aktivitäten wie zum Beispiel Investitionen in Staatsanleihen» einbeziehe, heisst es im McKinsey-Bericht von 2022.
Breite Allianz
Auf diese vielleicht grösste Leerstelle im klimapolitischen Bewusstsein zielt ein Unterfangen, das am Dienstag in Bern der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Hinter der «Initiative für einen nachhaltigen und zukunftsgerichteten Finanzplatz», wie sie offiziell heisst, steht eine breite Allianz: Im Komitee sind neben WWF, Greenpeace und Politiker:innen von SP bis FDP auch Leute aus der Wirtschaft vertreten. Die Initiative fordert, dass Banken, Versicherungen, Vermögensverwalter und Pensionskassen dazu verpflichtet werden, ihre Geschäfte mit den internationalen Klima- und Biodiversitätszielen in Einklang zu bringen.
Bislang unterstehen diese in der Schweiz keiner verbindlichen Regulierung. Finanzdienstleister machen zwar gern vollmundige Nachhaltigkeitsversprechen, die gemeinhin aber vor allem ihre eigenen Marketingabteilungen zu interessieren scheinen: Schon lange stehen Anlageoptionen mit dünnem grünem Anstrich in der Kritik. Aber nicht einmal hier will der Bundesrat wirksame Massnahmen einführen, wie er in diesem Sommer erneut entschieden hat: Geht es um Greenwashing, belässt er es beim Prinzip der Selbstregulierung. Und wer ohnehin kein Klimagewissen hat, darf sein Geld weiterhin in «konventionelle Anlagen», also auch profitträchtig in fossile Geschäfte investieren.
Beispielhaft für das Emissionsproblem des schweizerischen Finanzplatzes stehen zwei Giganten der Branche: UBS und Zurich, die grösste Bank und der grösste Versicherungskonzern des Landes. Einem umfangreichen Bericht mit dem Titel «Banking on Climate Chaos» der US-Umweltorganisation Rainforest Action Network ist zu entnehmen, dass die UBS seit 2016 über 210 Milliarden US-Dollar in fossile Industrien gesteckt hat und damit international auf Rang zehn liegt. Und entgegen allen Ankündigungen gehöre Zurich noch immer zu den weltweit führenden Versicherern von Öl- und Gasprojekten, erklärt Peter Bosshard, der jahrzehntelang als Klimacampaigner in der Schweiz und in den USA gearbeitet hat. «Im Jahr 2021, im Vorfeld der Klimakonferenz in Glasgow, haben Zurich und UBS grosse Klimaversprechungen abgegeben», sagt Bosshard. «Seither haben sie sich aber darum foutiert, genau wie so viele andere Finanzinstitutionen auf der Welt.» So habe die Zurich-Versicherung in diesem Jahr etwa einen Fahrplan zum Ausstieg aus dem fossilen Geschäft vorgelegt, der voller grosser Schlupflöcher sei.
Bosshard, der heute pensioniert ist, engagiert sich im Komitee der Finanzplatz-Initiative. Diese will dem Bund nun Werkzeug in die Hand geben, um künftig fossile Finanzgeschäfte zu unterbinden: Zur Durchsetzung sieht sie eine Aufsichtsstelle mit Verfügungs- und Sanktionskompetenzen vor. Und als geeignetes Instrument empfehlen die Initiant:innen sogenannte Transitionspläne: Unternehmen sollen ihren Ausstieg aus der Fossilwirtschaft mit messbaren Zwischenzielen aufzeigen müssen.
Unwilliger Bundesrat
Im Initiativkomitee sitzt auch SP-Kopräsidentin Mattea Meyer. Jahrelang habe man bereits versucht, den Finanzplatz auf parlamentarischem Weg in die klimapolitische Pflicht zu nehmen, sagt Meyer nicht ohne Frust, «dort sind wir aber durchwegs auf taube Ohren gestossen». Sie nennt ein Beispiel aus der Frühlingssession: In einer Motion hatte Grünen-Nationalrat Gerhard Andrey, der ebenfalls Teil des Initiativkomitees ist, eine kooperative Regulierung von Finanzflüssen durch Bund und Finanzakteure gefordert. Sogar der Bundesrat stimmte dem Vorstoss zu – aber am Ende verwarf ihn der Nationalrat. «Unter diesen Umständen bleibt uns bloss noch der sehr viel aufwendigere Weg über eine Volksinitiative», sagt Meyer.
Tatsächlich hat sich die Schweiz eigentlich bereits im Rahmen des Pariser Klimaabkommens 2015 dazu verpflichtet, Geldflüsse in emissionsarme Bahnen umzulenken. Diesen Auftrag hat die Stimmbevölkerung seither noch bekräftigt: Schon einleitend benennt das Klimaschutzgesetz, das im Juni 2023 deutlich angenommen wurde, die «Ausrichtung der Finanzmittelflüsse auf eine emissionsarme und gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähige Entwicklung» als übergeordneten Zweck. Und in Artikel 9 heisst es: «Der Bundesrat kann mit den Finanzbranchen Vereinbarungen zur klimaverträglichen Ausrichtung der Finanzflüsse abschliessen.»
Der Bundesrat aber hat sich bisher ganz einfach aus der Verantwortung gestohlen. Als er im Januar seinen Verordnungsentwurf zur Umsetzung des Klimaschutzgesetzes präsentierte, war darin über den Finanzplatz nichts zu lesen (siehe WOZ Nr. 17/24). «Wir machen diese Initiative nicht zum Spass», sagt Meyer. «Sie ist nötig, weil es die SVP- und FDP-Mehrheit im Bundesrat nicht für nötig befindet, ihre Arbeit zu machen.»
Ein weiter Weg
Wer die politische Choreografie in der Schweiz ein bisschen kennt, erahnt bereits die Reaktionen auf die neue Initiative: Die Linke wolle wieder pauschal auf den Finanzplatz schiessen und damit dem Wirtschaftsstandort Schweiz ins Bein. Ihre Initiative sei auch in der Branche und im bürgerlichen Lager breit abgestützt, sagt dazu aber Mattea Meyer. «Viele Player haben längst kapiert, dass es endlich vorwärtsgehen muss», so die SP-Politikerin. «Und auch die Bevölkerung hat zuletzt in vielen Fällen für klimapolitische Verantwortung gestimmt.»
Die Initiant:innen haben sich für die Ausarbeitung ihrer Vorlage viel Zeit genommen, nämlich zwei Jahre. Um eine Initiative zu formulieren, die sowohl weitreichend als auch effektiv umsetzbar sei, wie sie sagen. Für sie spricht auch, dass ihre Allianz politisch durchaus vielfältig verankert ist, womit sie an die Konzernverantwortungsinitiative erinnert – bloss das Ständemehr verhinderte vor vier Jahren deren Annahme und damit eine Sensation. Der Weg für die Finanzplatz-Initiative ist demgegenüber noch sehr weit: Bis im Frühling 2026 müssen zuerst einmal die notwendigen Unterschriften gesammelt werden.