Durch den Monat mit Ursi Aeschbacher (Teil 1): Warum Berlin?
Die Verlegerin Ursi Anna Aeschbacher über die BH-Pflicht bei K-Gruppen, die Einsamkeit als Alleinerziehende und warum der Name «die brotsuppe» in der Schweiz provozierte.
![Ursi Anna Aeschbacher schaut aus dem Fenster](https://www.woz.ch/files/styles/480w/public/text/2024/2449_14_Ursi_Aeschbacher_tk.jpg?itok=DjxrdqSi)
WOZ: Ursi Anna Aeschbacher, Ihr Verlag «die brotsuppe» feiert dieses Jahr sein zwanzigjähriges Bestehen …
Ursi Anna Aeschbacher: Das Zwanzig-Jahr-Jubiläum betrifft nur die Jahre in der Schweiz: Gegründet habe ich den Verlag bereits vor 25 Jahren in Freiburg im Breisgau.
Warum gründeten Sie damals einen Verlag?
Da muss ich etwas ausholen. Ich habe 1973 als 22-Jährige Biel verlassen und bin nach Berlin gegangen.
Warum Berlin?
Unbedingt Berlin! Ich wollte das Abitur nachholen und dann studieren. Ich hatte gelesen, dass das in Berlin kein Problem sei. Hinzu kam, dass ich Berlin einfach super fand: Das Grips-Theater, Rainer Langhans und seine Kommune – das zog mich an. Aber ich kam dann in einer Zeit dort an, in der die ganzen K-Gruppen gegründet wurden, und es war gar nicht mehr so witzig. Es gab in der Stadt etwa sieben verschiedene kommunistische Parteien und mega viel Stalinismus. In einer Gruppe, in der ich war, wurde zum Beispiel beschlossen, dass wir Frauen nun wieder BHs tragen müssten – wir hatten schon lange keine mehr an –, da die Arbeiterinnen auch BHs trügen. Ich bin also in eine schwierige Situation geraten (lacht).
Aber ich habe in Berlin das Abitur nachgeholt und beim Propyläen-Verlag gearbeitet. Mein Chef dort war ein strenger, alter Mann – also er war wohl etwa vierzig Jahre alt –, aber er hat mich sehr gefördert, ohne dass ich das gross gemerkt hätte. Er liess mich auch die Bücher gestalten.
Warum gingen Sie von Berlin nach Freiburg?
Ich habe einen behinderten Bruder in Biel, und Berlin war einfach zu weit weg. In Freiburg arbeitete ich am Öko-Institut. Ich verliebte mich in einen Physiker und wurde schwanger. Kurz nach der Geburt meines Sohnes trennte ich mich und begann, als Freiberuflerin in diversen Verlagen zu arbeiten.
Wie lief das damals mit der Kinderbetreuung?
Da gab es gar nichts. Mein Sohn war einfach immer bei allem dabei. Es ging gar nicht anders: Ich war ja sogenannt alleinerziehend und hatte kein Geld. Zum Glück hatten wir eine wunderschöne Wohnung in einer alten Villa für 150 Mark im Monat. Als ich schwanger war, hatte ich gedacht, es würde alles so werden, wie es in meiner Berliner Wohngemeinschaft gewesen war: Dort lebten drei Kinder, alle haben sich um sie gekümmert. Aber in Freiburg war alles ganz anders, hier waren alle vereinzelt, die Zeiten hatten sich geändert.
Waren Sie einsam?
Ich weiss noch, wie ich einmal gebügelt und dazu den Eurovision Song Contest geschaut habe. Und ich dachte: Das ist jetzt das Oberhärteste. Immer wenn ich nun den Song Contest schaue, muss ich lachen. Denn so schlimm wars ja nicht. Wir hatten zwar kein Geld, aber wir hatten Freunde, die uns halfen …
Wie kamen Sie schliesslich zu Ihrem Verlag?
Ich habe beim Lambertus-Verlag das Lektorat von Sachbuchübersetzungen gemacht. Dann durfte ich auch Bücher gestalten und das Lektorat deutschsprachiger Bücher übernehmen. Irgendwann dachte ich: Ich möchte selber entscheiden, was ich verlege. Das Gute war ja, dass ich die zwei Dinge konnte, die man für die Verlagsarbeit unbedingt braucht.
Welche sind das?
Gestaltung und Lektorat – das muss man einfach können. Und dann hat mir ein Freund, der in England an der Uni war, das Manuskript von «Gender and Nation» der Geschlechterforscherin Nira Yuval-Davis geschickt. Ich musste sofort zusagen, ob ich das auf Deutsch herausgeben wolle, es hiess, es gebe noch einen anderen Interessenten. Auf jeden Fall wollte ich zusagen und brauchte sofort einen Verlagsnamen.
Wie fanden Sie den?
An diesem Tag hatte ich im Kino «Babettes Fest» gesehen. Eine der Protagonistinnen kocht darin eine richtig gute Brotsuppe. Und ich dachte, der Name ist perfekt: Im Film geht es auch um die Talente der Frauen, die nicht erkannt werden, ausser wenn sie sich als Mann verkleiden. Es geht darum, dass man auch eine Brotsuppe richtig gut kochen kann mit dem richtigen Rezept. Ausserdem sind die Protagonistinnen im Film arm – es hat einfach gepasst. In Deutschland fanden sie den Namen merkwürdig, aber gut. Doch als ich nach Biel zurückkehrte, wurde er kritisiert.
Warum?
Gewisse Autoren meinten, sie würden niemals in einem Verlag erscheinen wollen, der so heisse. Als ich an die Literaturtage Solothurn eingeladen wurde mit einer Übersetzung von Jean-Luc Benoziglio, kam so ein Literaturoberchef von einer Uni aus der Romandie und sagte zu Benoziglio, der zuvor bei Rowohlt herauskam: «Wie kannst du nur in einem Verlag veröffentlicht werden wollen, der ‹soupe de pain› heisst!» Ich dachte: O Gott, jetzt geht das schon wieder los. Und Benoziglio antwortete: «Ha, ich finde das super, ich habe drum Kaviar nicht gern.» (Lacht.) Doch im Grunde ging es bei der Kritik gar nicht um den Namen: Diese Männer ärgerten sich, dass ich mir als Frau anmasste, ganz alleine ein Verlag zu sein.
Ursi Aeschbacher (72) hat in Berlin alles Mögliche studiert, sie musste nachholen. In Freiburg machte sie bei einem Piratensender mit, weswegen sie eine Zeit lang überwacht wurde.