Durch den Monat mit Ursi Anna Aeschbacher (Teil 3): Wie merken Sie, dass Sie ein Buch publizieren wollen?

Nr. 51 –

Verlegerin Ursi Anna Aeschbacher freut sich, dass ihre Welt so reich geworden ist durch die Lektüre vieler Bücher – und sie wünscht sich mehr Geld für die Kultur.

Ursi Anna Aeschbacher mit einem Strauss Blumen
«Ausschlaggebend ist, was ein Text mit mir macht»: Ursi Anna Aeschbacher.

WOZ: Ursi Anna Aeschbacher, wenn man mit Verleger:innen spricht, bekommt man manchmal das Gefühl, die Buchbranche sei seit jeher in der Krise …

Ursi Anna Aeschbacher: Nein, das ist nicht der Fall. Als ich vor 25 Jahren in Deutschland meinen Verlag «die brotsuppe» gründete, verkaufte ich pro Titel ungefähr 5000 Stück, das war damals üblich. Heute sind es noch 300 bis 400. Natürlich ist der Markt in der Schweiz kleiner als in Deutschland. Aber als ich vor zwanzig Jahren nach Biel zurückkam, verkaufte ich hier noch etwa 1000 Exemplare pro Buch. Der Verkauf ging jedes Jahr zurück.

Auch während der Coronapandemie?

Leider ja. Es ging bei jenen nach oben, die sowieso schon bekannt waren. Wir kleinen Verlage – ich mache pro Jahr ungefähr vierzehn Bücher – sind darauf angewiesen, dass wir besprochen und unsere Bücher sichtbar werden. Doch die Situation in den Medien hat sich extrem verändert, das wissen Sie ja selber auch. Bei meinen ersten Büchern «räbelte» es Rezensionen: im Radio, in der FAZ, in der «Süddeutschen». Das passiert heute nicht mehr. Rezensionen bekommen online kaum Klicks. Es werden allgemein weniger Titel besprochen, und wenn, dann besprechen alle die gleichen Bücher. Der Punkt ist: Die Medien stecken genauso in Schwierigkeiten wie die Buchbranche.

Seit 2016 gibt es in der Schweiz eine Verlagsförderung. Inwiefern hilft die?

«Die brotsuppe» bekommt 7500 Franken im Jahr – das sind gerade mal die Druckkosten für im besten Fall anderthalb Bücher. Eine kontinuierliche Förderung, die nicht auf Selbstausbeutung basieren und zum Beispiel einen Teil der Herstellungskosten hier in der Schweiz übernehmen würde, wäre hilfreich. Alle, die in unserem Bereich arbeiten, haben existenzielle Probleme.

Sie haben viele Schweizer Autor:innen im Programm, immer wieder sind Abgänger:innen des Schweizer Literaturinstituts darunter. Wie hat das Institut Ihren Verlag geprägt?

Wir sind beide in Biel – die Nähe verbindet. Die Autor:innen und ich kennen uns vom Sehen. Vor ein paar Jahren habe ich mit einigen von ihnen das «Schundromanprojekt» gemacht, das war ein Abenteuer. Wir waren dreizehn Leute, die unter festgelegten Bedingungen je einen Schundroman schrieben … und wir haben gemerkt, dass das nicht einfach ist. Wir wollten natürlich eigensinnig bleiben.

Ich gehe stets an die Lesungen der Studierenden im Institut, und dann denke ich manchmal: Das möchte ich publizieren.

Was macht es aus, dass Sie das denken?

Keine Ahnung. Ich bin mir jeweils ganz sicher, dass ich es will, aber ich kann nicht genau sagen, was es ausmacht. Es gibt Kolleg:innen, die meinen, sie wissen sofort, was gute Literatur ist. Ich würde sagen, ich weiss das auch, aber ausschlaggebend ist, was ein Text mit mir macht, wenn ich ihn lese. Ich könnte es nie versachlichen, denn es spielen so viele verschiedene Dinge mit.

Welche zum Beispiel?

Ich finde es toll, wenn die Art und Weise, wie eine Geschichte erzählt wird, speziell ist. Und wenn ein Buch nicht langweilig ist. Wenn ich am Ende einen neuen Gedanken mitnehmen kann, ist das super. Noch besser ist, wenn ich zwei neue Gedanken habe. Wenn du eine Geschichte liest, geht es ja auch darum, was mit deinem Vorstellungsvermögen passiert. Und das hat wiederum mit deiner Lebenswelt zu tun. Es kann sein, dass ein Buch bei mir etwas ganz anderes auslöst als bei jemand anderem. Meine Welt ist so reich geworden durch all diese Bücher, die ich gelesen habe. Aber ich möchte noch etwas Wichtiges sagen.

Gerne.

Das alles hätte ich nicht machen können ohne meine Autor:innen, meine Übersetzer:innen und Verlegerkolleg:innen – auch emotional nicht. Unter Verleger:innen haben wir uns immer gegenseitig geholfen und uns nie als Konkurrenz empfunden. Sonst wäre das alles unerträglich gewesen. Gleichzeitig ist dieser Buchbetrieb ja immer noch total machomässig.

Wie bekommen Sie das zu spüren?

Zum Beispiel mit dummen Sprüchen, wenn mein Verlag «Bioverlag» genannt wird oder wenn sich andere Verleger überrascht darüber äussern, dass ich ja eine lustige Person sei. Wobei ich dann natürlich sofort nicht mehr lustig bin. So das Übliche: Frauen sind lustig, sympathisch. Aber sie können auch was. Nur wird darüber weniger gesprochen.

Haben Sie sich in all der Zeit nie gefragt: Warum tue ich mir diese Selbstausbeutung an?

Nein, das habe ich wirklich nie gedacht. Und ich will ja auch nicht jammern. Ich hatte immer Freude an meiner Arbeit. Natürlich muss man das Gefühl haben, dass man etwas Sinnvolles für die Welt macht. Ich glaube, das ist der Punkt: Wenn du dieses Gefühl hast, kann dir nichts passieren. Und ich dachte jeweils: Es musste einfach sein, dass diese Bücher erscheinen, wäre doch voll blöd gewesen für die Welt, wenn die nicht erschienen wären. Das ist natürlich überhaupt nicht wahr, aber es ist ein Gefühl. Und wenn du das verlierst, kannst du das alles nicht mehr machen.

Ursi Anna Aeschbacher lebt und arbeitet in Biel. Letzte Woche wurde sie 73 Jahre alt. Auf Ende Jahr gibt sie ihren Verlag «die brotsuppe» ab, macht jedoch weiter Bücher.