TV-Serie: Der wahre Zürcher «Tatort»
Ausgerechnet die deutsche ARD sendet den besten Schweizer Krimi. Ein Lob für Ermittler Thomas Borchert.

«Der Zürich-Krimi»: Der Titel klingt so aufregend wie «Der Barcelona-Krimi», «Der Wien-Krimi» oder «Der Flensburg-Krimi», die allesamt jeweils am Donnerstagabend im ersten deutschen Fernsehen ARD zu sehen sind. Und doch erfreut sich ausgerechnet der «Zürich-Krimi» enormer Beliebtheit. Mehr als sieben Millionen Zuschauer:innen schalteten während der Ausstrahlung der letzten Folge zu, das bedeutete fast dreissig Prozent Marktanteil in Deutschland. Nun stehen die Jubiläumsfolgen an. Höchste Zeit also für ein Fanbekenntnis aus der Schweiz: Gewiss, es handelt sich beim «Zürich-Krimi» um einen konventionellen Fernsehfilm, nicht um avantgardistische Filmkunst. Aber die einzelnen Folgen sind gut erzählte und noch besser gespielte Kriminalfälle – und darüber hinaus präzise Annäherungen an die grösste Stadt der Schweiz.
Von oben und unten
Mit Krimis ist es bekanntlich so eine Sache. So riesig die Auswahl ist, ob geschrieben oder gar verfilmt, so viele ärgerliche Versuche finden sich darunter. Sie erschöpfen sich, gerade im Genre des Regionalkrimis, oft in seitenlangen Beschreibungen kulinarischer Köstlichkeiten oder örtlicher Wetterphänomene. In den filmischen Varianten wiederum können überfrachtete Erzählungen und ein übermotivierter Einsatz technischer Hilfsmittel das Vergnügen erheblich stören, auch der Zürcher «Tatort» von SRF bildet leider keine Ausnahme.
Fast schon simpel wirkt dagegen die Ausgangslage im «Zürich-Krimi», die auf die Hauptfigur zugeschnitten ist, Anwalt Thomas Borchert. Der hat sich in Deutschland an einem Bestechungsskandal mitschuldig gemacht und ist in seine Heimatstadt Zürich geflüchtet, wo er sich nun als Anwalt ohne Lizenz eine neue Existenz aufbaut. Einer dieser einsamen Wölfe also, wie sie durch so viele Krimis schleichen, wohnhaft in einem Wohnwagen neben dem Elternhaus, seinerseits Sinnbild für ein zwiespältiges Verhältnis zur eigenen Vergangenheit. Aber dieser Borchert, gespielt vom Schweizer Schauspieler Christian Kohlund, nervt fast nie: Er ist charmant, aber nicht peinlich, altersweise, aber selten belehrend – und bleibt ohne Zynismus auf der Suche nach Gerechtigkeit. Unterstützt wird er von der jungen Anwältin Dominique Kuster (Ina Paule Klink), die eine Karriere in der Kanzlei ihres Vaters, eines renommierten Wirtschaftsanwalts, ausgeschlagen hat.
Dieser Reto Zanger wiederum, gespielt von Robert Hunger-Bühler, hat eine Schlüsselfunktion in der Serie. Wenn Borchert und Kuster nicht weiterkommen, hilft er bei der Beurteilung von Finanztransaktionen oder von Wirtschaftsnetzwerken – und das Zürich von unten und das von oben finden selbstverständlich zusammen. Wobei diese Stadt bekanntlich auch ihr Ganz-Unten hat, wie es etwa in der elften Folge, «Borchert und der Mord im Taxi», gezeigt wird: Sie handelt von einer Stiftung mit dem schönen Namen «Unser Herz für Afrika», deren Honoratioren in Tat und Wahrheit eine Mine in der Demokratischen Republik Kongo betreiben. Unrealistisch an der ganzen Serie wirkt bloss, zumindest aus Sicht der Gewaltenteilung, dass Anwältin Kuster eine Liaison mit dem Polizeihauptmann hat, dem sie und Borchert mit ihren Ermittlungen ständig in die Quere kommen. Wobei man das auch als Witz über die Schweiz der kurzen Wege verstehen kann.
Spur nach Klagenfurt
Ausgeheckt werden die Geschichten über Zürich aus sicherer Distanz. Die Produktionsfirma hat ihren Sitz in Klagenfurt im österreichischen Kärnten. Hier erarbeitet Annemarie Pilgram mit Drehbuchautor:innen und einem Team von der ARD die Folgen. «Die Schweiz ist total transparent, was Kriminalfälle betrifft. Man findet alle im Netz», erzählt sie auf Anfrage und lobt insbesondere das Portal polizei.ch als Inspirationsquelle. Ein Drehbuchautor habe gar vier Schweizer Zeitungen abonniert, und für alle juristischen Finessen könne man auch auf einen Zürcher Anwalt zurückgreifen. Gedreht werden übrigens nur die Aussenaufnahmen in Zürich – alle Innenaufnahmen sowie die Szenen um Borcherts Wohnwagen werden in Prag aufgezeichnet. Der Grund passt zu einem «Zürich»-Krimi: Es sind die Kosten. Entstanden ist die Serie, um Publikumsstar Christian Kohlund nach dessen Engagement in «Traumhotel» eine tiefer schürfende Rolle zu geben. Solange der Erfolg anhalte, berichtet Pilgram, würden jährlich zwei weitere Folgen gedreht.
Jetzt aber wird das Jubiläum gefeiert: Nummer 20 und 21 sind als Doppelfolge mit dem Titel «Stadt in Angst» ausgestaltet. Bei allem Lob muss man sagen: Es sind nicht die gelungensten in der Borchert-Reihe. Die Ermittlung einer Mordserie ist für einmal tatsächlich etwas überfrachtet – und es wird ein erzählerischer Fehler gegen das eigene Prinzip begangen. Der Polizeihauptmann bittet die Anwält:innen gleich von Beginn weg um ihre Mithilfe, wodurch alle zusammen als Team agieren. Für die typische «Borchert-Atmosphäre», die von dessen Eigenwilligkeit lebt, bleibt wenig Platz. Immerhin zieht im zweiten Teil die Spannung merklich an. Und sowieso ist Zürich wieder so zu sehen, wie es das SRF mit seiner Obsession für alles Ländliche und Folkloristische leider nur selten hinbekommt: als Stadt.
«Stadt in Angst» wird am 5. und 12. Dezember 2024 um 20.15 Uhr von der ARD ausgestrahlt, alle Folgen der Borchert-Serie gibt es in der Mediathek.