Sachbuch: Der Gedächtnisort des Patriarchats
Wie ein unsichtbarer Gast im Haus: In ihrem erzählerischen Essay über intime Formen von Gewalt verbindet Barbara Peveling ihre eigene Geschichte mit feministischer und ethnologischer Reflexion.
Das Haus, hat die US-Schriftstellerin und Utopistin Joanna Russ einmal geschrieben, sei die wichtigste Institution des Patriarchats. In ihrem neuen Buch «Gewalt im Haus» geht die deutsche Ethnologin Barbara Peveling dem Haus als Grundlage und Konzept der heterosexuellen Kleinfamilie, aber auch als wirkmächtige kollektive Denkfigur nach. Die eigenen Erfahrungen mit patriarchaler Gewalt bilden die Basis für ihre Reflexion, die sie mit theoretischem Wissen anreichert.
Für Peveling ist das Haus der «Gedächtnisort» des Patriarchats: Hier überdauern kulturelle Geschlechtervorstellungen und Normen, sie werden über Generationen weitergegeben und äussern sich darin, auf welche Weise sich bestimmte Körper im Haus bewegen (können), mit welchen Erwartungen und Ansprüchen sie bedacht werden – und wie das gesellschaftlich gutgeheissen, ja gefördert wird. Dem Haus, so die Autorin, ist die «Manifestation intimer Dominanz» immer schon eingeschrieben.
Barbara Peveling ist in einem Haus, in dem es Gewalt gab, aufgewachsen. In der Nacht fürchtete sich das Kind vor einem Löwen, der hinter einer Glastür im Haus tobte – dem Vater. Der gewalttätige Vater begeht Suizid, als Peveling noch ein Kind ist. «Dieses Buch ist entstanden aus der Nacht, in der das Gewehr in unserem Haus gebraucht wurde», schreibt sie. Das Kind wünscht sich den Vater zurück, auch wenn das hiesse, weiterhin mit einer Atmosphäre der Gewalt im Haus leben zu müssen. Was das Kind in seiner Wahrnehmung ungleich stärker quält, ist das Gefühl der Scham, jetzt, ohne Vater, der Vorstellung einer «normalen», vermeintlich glücklichen Familie nicht mehr entsprechen zu können.
Vom Traum zum Trauma
In ihrem sorgfältigen, offenen und auch unbequemen Nachdenken über die Gewalt im Haus kommt Peveling immer wieder auf dieses Fantasiebild der glücklichen Kleinfamilie zurück, das auch in den romantischen Beziehungen ihres Erwachsenenlebens «vom Traum zum Trauma» werden wird. Es richtet die Menschen und ihre Körper innerhalb eines familialen Gefüges geschlechtsspezifisch zu, verweist sie an einen bestimmten Platz und ist damit selbst gewaltvoll. Dieses sich beharrlich haltende Glücksversprechen erschwert es auch, dass Menschen, die sich in gewaltvollen Beziehungen befinden, sich diese Gewalt eingestehen oder sie überhaupt registrieren können. Peveling macht klar, dass es keine Schläge braucht, um gewaltvoll zu sein: Auch Männer, die die Körper ihrer Partnerinnen bemängeln, handeln gewaltvoll.
In ihren unterschiedlichen Facetten schleicht sich die Gewalt in den Alltag, die Familie, das Haus ein und ist zu diesem Zeitpunkt bereits zu einer Gewohnheit geworden: «Die Gewalt zieht ins Haus wie ein unsichtbarer Gast. Manchmal wird sie laut. Dann wieder leise. Sie sitzt in den Ritzen, sie mischt sich mit dem Kondenswasser, das am Morgen die Fensterscheiben beschlägt. Je länger ich im Haus blieb, umso mehr gewöhnte ich mich an die Gewalt, lernte, mich ihr zu unterwerfen, um sie auszuhalten.»
Archiv der Befreiung
Pevelings Entscheidung für eine Erzählform, die die persönliche Reflexion einer gewaltbetroffenen Frau mit feministischer Theorie verbindet, ist im besten Sinne erkenntnisfördernd. Eindrücklich ist die bildhafte Sprache, die den Schmerz und die Ungewissheit, die erzwungene Isolation, aber auch die Hoffnungsfähigkeit und Stärke von Betroffenen offenlegt. Gewaltbetroffene, so Peveling an einer Stelle, müsse man sich als schlafwandelnde Seiltänzerinnen vorstellen: «Eine Frau in einer Gewaltbeziehung weiss in den meisten Fällen nicht wohin, es gibt nicht viele Türen, die ihr offenstehen, dafür aber viele Fallen. Sie balanciert als schlafwandelnde Seiltänzerin über einem steilen Abgrund. Erschöpft durch die dauerhafte emotionale Belastung, bedrängt von den Einschüchterungen, den verletzenden Worten, den Schlägen, den Geldsorgen, tänzelt sie mit unsicheren Schritten auf dem Seil ihrer Liebe.»
Auch die Kapitel des Essays folgen bildhaften Spuren, eingestreuten Erinnerungen und kulturellen Narrativen – darunter «Honeymoon», «Glasglocke» oder «Sabotage» –, die gegen die Gewalt im Haus anschreiben und gesammelt zu einer Art Archiv der Befreiung werden. Was Peveling zuerst als Roman angedacht hatte, ist zum Zeugnis einer Ermächtigung geworden, das mit Fiktion nichts zu tun hat: «Als ich anfing, diese meine Geschichte aufzuschreiben, wusste ich noch nicht, dass ich damit einen Faden aufgriff, der mich durch ein Labyrinth hinaus in eine Gegenwart führen würde, in der ich mich nicht mehr fremdbeherrschen und beeinflussen lasse, und dass ich erst mit dem Erzählen nicht nur die Deutungshoheit über meine eigene Geschichte zurückgewann, sondern auch die über mein Leben und meine Zeit.»
Jeden Tag nehmen Frauen und Gewaltbetroffene diesen Faden auf. Pevelings Buch zeigt eindrücklich, was sie auf diesem Weg brauchen: Hoffnung, umfassende, auch materielle Unterstützung und eine Gemeinschaft, die die erfahrene Gewalt bezeugt. «Sororität, Geschwisterlichkeit», schreibt Peveling, «ist ein Mittel gegen häusliche Gewalt.»
