Auf allen Kanälen: Überraschung!

Nr. 3 –

Nach Jahren der Sparrunden hat sich die Führungsriege bei CH Media ein Geschenk ausgedacht, um die Motivation aufzubessern: ein Stickeralbum.

stilisiertes Logo der CH Media Print

Wer bei CH Media arbeitet, ist Überraschungen gewohnt. Und was die Mitar­beiter:innen nach den Festtagen auf ihren Schreibtischen fanden, war noch eine der besseren Überraschungen der letzten Jahre. Immerhin verlor niemand seinen Job. Zum Jahresbeginn bekamen alle Angestellten ein Notizbuch, unbestritten ein nützliches Geschenk für Journalist:innen. Doch das Geschenk ist besser gemeint, als es ankommt, ein Mitarbeiter nennt es gar einen «erniedrigenden Haufen Abfall».

Zwar will CH Media auf Anfrage nicht sagen, was dieser «Haufen Abfall» gekostet hat. Aber ganz billig wird er nicht gewesen sein. Mit dem Notizbuch – in einem Falschledereinband, angeschrieben mit «Überraschungsbuch» – haben die Angestellten auch blaue Tütchen mit Stickern erhalten. Denn das Notizbuch ist eigentlich eher ein Panini-Album. Die Kleber in den Tütchen sind nach Zufallsprinzip verteilt; wer das Album füllen will, muss mit anderen Mitarbeiter:innen im Unternehmen tauschen, wie früher auf dem Pausenplatz.

So kann man auf der ersten Doppelseite «Fakten über CH Media» sammeln und einkleben. Eine andere Aufgabe ist es, «Unsere Werte – Werte einer Familie» zu komplettieren. Zu den sechs Werten gehört etwa Mut, und auf dem dazugehörigen Sticker steht: «Mut beginnt da, wo die Komfortzone endet». Darüber prangt eine kleine Blume mit Kulleraugen. Blättert man nochmals um, findet man einen Pfad, auf den man seine Lieblingsmedientitel von CH Media kleben soll. So kann man im Feld «Dieser Sender soll eine Geschichte über mein Leben herausbringen» das Logo des TV-Senders 4 plus einfügen.

Zynische Pointe

Ist eine Doppelseite vollgestickert, kann sie im Intranet gegen Geschenke eingelöst werden, für einen 20-Franken-Gutschein von «Brands for Employees» etwa oder einen Setbesuch samt Begleitperson bei der TV-Show «Höhle der Löwen». Im Intranet kann man zudem ein Quiz über CH Media lösen, um den «CH Media-Genius-Sticker» zu erhalten. Die krönende Herausforderung ist dann die letzte Stickerseite des Buches. Unter «Weitere Talente gesucht» darf einen Kleber anbringen, wer dem Unternehmen erfolgreich eine neue Mitarbeiterin vermittelt hat. Das dürfte allerdings nicht ganz einfach sein, CH Media hat in den vergangenen Jahren im grossen Stil Stellen gestrichen.

Im Herbst 2020 und zu Beginn des Jahres 2023 hatte CH Media jeweils einen Personalabbau im Rahmen von «Effizienz- und Kostensenkungsprogrammen» angekündigt, um dann im November 2023 die Streichung von 150 Vollzeitstellen bekannt zu geben. Im Januar 2024 stellte CH Media den «Anzeiger Luzern» und den «Stadtanzeiger Olten» ein, im November vergangenen Jahres folgten die «Today»-Portale, wobei 34 Mitarbeiter:innen ihre Jobs verloren. Den Sticker, den man auf die Frage «Wie viele Journalistinnen und Journalisten arbeiten für CH Media?» kleben kann, sollte man also möglichst schnell sammeln.

Gamification statt Spielraum

Die Sparmassnahmen bei CH Media sind Teil einer grösseren Entwicklung. Der Schweizer Medienmarkt hat sich konzentriert, mittlerweile ist ein Grossteil der privaten Medien im Besitz von vier Konzernen: Ringier, TX Group, NZZ und CH Media. Dadurch ging nicht nur einiges an Vielfalt in der Medienlandschaft verloren, auch der Spielraum für die verbliebenen Redaktionen wurde kleiner. Bei CH Media soll das Überraschungsbuch nun offenbar spielerisch Abhilfe simulieren.

Gamification am Arbeitsplatz – die Verwandlung von Tätigkeiten in ein Spiel – wird seit etwa 2010 vor allem dort genutzt, wo die Motivation für mühsame Aufgaben ohne Gestaltungsspielraum gesteigert werden soll. Bei CH Media sagt man durch die Blume gleich selbst, dass das Sinn und Zweck der Überraschungsbuchaktion ist – und dass Journalist:innen als Akkordarbeiter:innen ohne Entscheidungsmacht verstanden werden. Auf einer Begleitkarte erklärt die Führungsriege das Geschenk so: «Dieses Buch ist mehr als nur ein Arbeitsinstrument. Es soll auch ein wenig Abwechslung in deine tägliche Routine bringen und den Austausch fördern.» Fragt man Journalist:innen, wieso sie ihren Job gewählt haben, werden viele die Abwechslung und den Austausch als Hauptmotivation nennen. Braucht ein Medienunternehmen ein Stickeralbum dafür, macht es etwas falsch.

Xenia Klaus ist Redaktorin bei der «Schaffhauser AZ».