Literatur: Rastlos wie die Zugvögel

Verleihung des Basler Lyrikpreises an den Autor in: Basel Literaturhaus, Sa, 25. Januar 2025, 19 Uhr (Eintritt frei).
Der Marskrater Jezero soll vor dreieinhalb Milliarden Jahren offenes Wasser enthalten haben. Die staubigen Spuren im Marssand, schreibt Levin Westermann in seinem Debütroman «Zugunruhe», seien «das Echo von Wasser». Es habe auf dem Mars Ozeane, Seen und Flüsse gegeben, «doch dann habe sich das Klima drastisch verändert, die Atmosphäre sei verschwunden und alles sei ödes Land geworden, wüstenhaft und leer», denkt der namenlose Protagonist, der täglich in den Wald geht und dort über eine Menschheit im Angesicht der Katastrophe sinniert.
Kurz nach dem Erscheinen von «Zugunruhe» wird Westermann für seine poetischen Arbeiten mit dem diesjährigen Basler Lyrikpreis ausgezeichnet. Wie schon in seinen bislang zwei Gedichtbänden baut er auch in seinem autofiktionalen und essayistischen Roman immer wieder Zitate in seinen Wortfluss ein und schafft so eine dialogische Ebene. In «Zugunruhe» zitiert er auf den ersten Seiten den griechischen Geschichtsschreiber Thukydides, aber auch unterschiedlichste Autor:innen akademischer Dissertationen. Seine Figurenzeichnung gerät dabei etwas in den Hintergrund. Die titelgebende Zugunruhe ist die Rastlosigkeit, die Zugvögel erfasst, wenn sie spüren, dass sie einen saisonbedingt unwirtlich werdenden Ort verlassen müssen. Ganz ähnlich nimmt auch der Protagonist eine immer ungastlichere Welt wahr, in der eine Klasse von Superreichen mit Weltraumkolonialismus von der planetaren Zerstörung ablenkt.
In seinen Werken schafft Westermann literarische Orte, wo Klimaaktivist:innen mit ihrer Wut und ihrer Hoffnungslosigkeit einkehren können. Kenntnisreich schreibt er über verdrängte Tierwelten – fast schon zerbrechlich, immer sanft. Wenn er über Gewalt nachdenkt, schildert er die Qualen, die unsere menschliche Egomanie für andere Lebewesen auf diesem Planeten bedeutet. Friedlicher Protest, denkt der Protagonist, werde die Naturzerstörung des Kapitalismus nicht aufhalten. Politische Gewalt sei notwendig, der Waldgänger fragt: «Wann also eskalieren wir?»