EU-Verträge: Wahrlich nicht übertrieben
Die Gewerkschaften haben vorgelegt. Letzte Woche verabschiedeten SGB und Travail Suisse ihre Forderungen zur innenpolitischen Absicherung der künftigen Verträge mit der EU. Nur wenn darüber eine Einigung mit den Wirtschaftsverbänden gelingt, haben die Abkommen in einer Volksabstimmung eine Chance.
Konkret geht es darum, wie der Grundsatz «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» garantiert werden kann. Die neuen Verträge mit der EU, die erst in den Grundzügen vorliegen, schwächen den Lohnschutz deutlich. Während sich die Verhandlungsdelegation grösste Mühe gab, der SVP zu gefallen, und in der Migrationspolitik eine Garantie der restriktiven Ausschaffungspraxis erreichte, war ihr der Schutz der Lohnabhängigen wenig wert. Gravierend ist die Übernahme der EU-Spesenregelung, wonach Entsendefirmen ihren Beschäftigten die Übernachtungs- und Verpflegungskosten zu den im Herkunftsland geltenden Ansätzen zahlen dürfen. Der SGB warnt vor «halbkriminellen Betrieben», die das Lohnniveau drücken könnten.
Der Bundesrat solle die Regelung zu den Spesen deshalb nachverhandeln oder ein Schweizer Gesetz erlassen, damit diese nach hiesigen Ansätzen entschädigt werden. Das liesse sich einfach umsetzen. Wie auch die übrigen Forderungen – eine leichtere Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtarbeitsverträgen oder ein besserer Kündigungsschutz für Angestellte, die sich für die Rechte der Beschäftigten einsetzen – im superflexiblen Schweizer Arbeitsmarkt wahrlich nicht übertrieben sind.
In der Odyssee der EU-Verhandlungen wurden die Gewerkschaften gerne als stur bezeichnet. Die Forderungen, die sie nun vorgelegt haben, sind klar und realistisch zugleich. Alle Augen sind deshalb nun auf die Wirtschaftsverbände gerichtet. Diesen fehlte es bei der Verteidigung der Personenfreizügigkeit zuletzt an Orientierung, einzelne Exponent:innen stilisierten lieber Asylsuchende zu Sündenböcken (vgl. «‹Wie Kaninchen vor der Schlange›»). Nun müssen sich Economiesuisse und Co. bewegen, wenn das «Tauwetter» («Tages-Anzeiger») Realität werden soll.