Durch den Monat mit Jenny Cara (Teil 2): Geht Exzess ohne Alkohol?
Die Bedürfnisse von Clubgänger:innen verändern sich, und damit auch das Nachtleben an sich. Was DJ Jenny Cara davon hält – und wieso sie keinen Alkohol mehr trinkt.

WOZ: Jenny Cara, nächsten Monat schliesst der Zürcher Club Zukunft, wo Sie selber lange gearbeitet haben, für immer seine Türen (vgl. «Die Zukunft ist (nicht) vorbei»). Wie schlimm ist das?
Jenny Cara: Für wen?
WOZ: Für die Welt oder auch einfach für Sie?
Jenny Cara: Ich finde es einerseits schon schlimm, weil damit eine wichtige Kulturinstitution wegfällt. Gleichzeitig sehe ich es aber auch ein Stück weit als Chance, weil so neue Dinge entstehen können. Und halt nicht immer die gleichen Leute in Machtpositionen sind.
WOZ: Auch andere Clubs und Konzertlokale befinden sich gerade in einer Krise. Was hat sich aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahren im Nachtleben verändert?
Jenny Cara: Ich würde sagen, die Lockdowns während der Covid-Pandemie waren sicher ein einschneidender Moment. Früher sind ständig Junge nachgezogen und haben mitbekommen, wie so eine klassische Clubnacht abläuft. Es gibt einen Intro-DJ, einen Hauptact und einen Outro-DJ, es findet im Verlauf des Abends ein Aufbau statt. Das klingt vielleicht etwas boomerig, aber wenn ich heute gewisse Shows spiele vor Kids, die in ihrem Musikkonsum eher von Tiktok beeinflusst sind, fühle ich mich manchmal ein bisschen verloren: Da wird erwartet, dass die Energie nonstop auf dem Höhepunkt ist. Und eine andere Sache ist, dass die Clubgänger:innen heute nicht mehr alles einfach so hinnehmen.
WOZ: Das Publikum ist anspruchsvoller geworden?
Jenny Cara: Ja, zum Beispiel in Bezug auf Awareness. Wenn ich mit meinem queeren, zum Teil auch nichtweissen Umfeld im Ausgang bin, gehen wir weniger an Orte, von denen wir wissen, dass es da anstrengend wird; Orte, die vielleicht sehr cis und hetero sind. Klar: Wir tun es immer noch, wägen aber ab. Und machen dafür manchmal Abstriche, vielleicht in Bezug auf die Soundqualität, da sich einige politischere Orte kein gutes Soundsystem leisten können.
WOZ: Ist das Nachtleben heute stärker nach Identitäten als etwa nach musikalischen Vorlieben fragmentiert?
Jenny Cara: Ich glaube, es geht eher darum, dass man sich im Nachtleben safe fühlen will und dass man gerade Sexismus und Rassismus einfach weniger hinnimmt. Und ganz allgemein habe ich das Gefühl, dass die Bedürfnisse der Leute im Ausgang diverser geworden sind. Manche sind etwa nicht mehr bereit, bis morgens um sechs im Club zu bleiben.
WOZ: Einige Clubs und Veranstalter:innen gehen darauf bereits ein, indem sie vermehrt Formate wie Day Raves organisieren. Ein anderer Trend besteht darin, dass Gäste weniger Alkohol konsumieren – oder diesen gleich ganz weglassen. Sie gehören zu Letzteren, oder?
Jenny Cara: Genau, seit einem Jahr trinke ich gar nichts mehr.
WOZ: Wie kam es dazu?
Jenny Cara: Ich habe gemerkt, dass ich es nicht schaffe, auf dem Level aufzulegen, auf dem ich sein möchte, wenn ich weiter trinke. Ich würde stolz sagen, dass ich dadurch die bessere DJ geworden bin.
WOZ: Beim Auflegen sind Sie ja auch am Arbeiten. Wie ist es, wenn Sie privat unterwegs sind?
Jenny Cara: Am Anfang dachte ich: O Gott, wie soll ich das überstehen? Ich habe neu lernen müssen, in den Ausgang zu gehen. Mittlerweile finde ich, dass ich nüchtern viel lustiger bin. Um das klarzustellen: Ich verurteile niemanden, der trinkt. Aber ich persönlich kann heute eine gute Zeit mit meinen Freund:innen haben und Musik geniessen, ohne Alkohol zu trinken.
WOZ: Abgesehen davon, dass es ganz unterschiedliche Gründe gibt, in den Ausgang zu gehen, sind Partys wie auch Alkoholkonsum oft auch eine Art Eskapismus: der Wunsch, den Alltag zu vergessen, Hemmungen fallen zu lassen. Geht Exzess ohne Alkohol?
Jenny Cara: Beim Thema Exzess denke ich immer daran, wie viele Übergriffe im Nachtleben auf Alkohol und Substanzen geschoben werden. Ich selber bin früher auch immer wieder mal handgreiflich geworden, wenn ich gesoffen habe. Das will ich für mich nicht mehr.
Jenny Cara: Ich glaube, Trinken ist oft eine Art Copingstrategie: Man geht gerne in den Ausgang, aber ist vielleicht überfordert, nicht so gut im Socializen. Dann trinkt man vielleicht auch mal, anstatt zu überlegen, was man eigentlich wirklich in diesem Moment bräuchte. Und hat dann am nächsten Tag einen Kater. Apropos: Keinen Kater mehr zu haben – beste Zeit!
WOZ: Gleichzeitig aber schlecht fürs Geschäft der Clubs, die ja Ihre Arbeitgeber sind.
Jenny Cara: Man könnte sich ja als Club auch überlegen, was man denn anstelle von Alkohol anbieten könnte. Ich habe letztens in Berlin an einer Queerparty gespielt, da gab es einen Kiosk! Und eine Früchteschale! Klar kompensiert so etwas nicht den ganzen Alkoholkonsum, aber man könnte ja auch mal die Strukturen überdenken, die sind schliesslich von Menschen gemacht. Und halt auch Budgets anpassen und sagen: «Hey, wir können es uns nicht mehr leisten, DJs für 6000 Franken einzuladen.»
Seit über fünfzehn Jahren arbeitet Jenny Cara (33) im Nachtleben, vier davon war sie Bookerin im Club Zukunft. Im Rahmen des Abschiedsfestivals der «Zuki» steht die DJ am 15. und am 22. März zwei letzte Male dort hinter den Decks. An dieser Stelle geht es nächste Woche um die Frage: Wie politisch ist Clubbing?