Kost & Logis: Das versalzene Geschenk
Karin Hoffsten über staatliche Versuche, den Verkehr sicherer zu machen

Man kennt die Typen – meist sind es ja Männer –, deren gesamtes Selbst sich aus dem Autofahren speist. Obwohl alt und steifhalsig – in den linken Seitenspiegel zu gucken, schaffen sie schon lange nicht mehr –, verlöre ihr Leben ohne Auto seinen Sinn. Zum nächsten Supermarkt gehts ohne Linksabbiegen, und ihr Wagen findet den Weg von selbst.
Nicht so mein Freund Mattis. Der lebt in der Stadt, hat seit vierzig Jahren kein eigenes Auto mehr, weil der öffentliche Verkehr meistens perfekt funktioniert, und lieh sich früher höchstens mal ein Mobility-Auto, wenn es was zu transportieren gab. Nun reist er seit Jahrzehnten nur noch mit Tram, Bus oder Bahn, weshalb er beschloss, den Führerausweis abzugeben. Womit er den Traum aller Verkehrspsycholog:innen, Hausärzt:innen und des Strassenverkehrsamts verkörpert.
Letzteres dankte ihm in einem rührenden Schreiben für seinen mutigen Schritt und legte dem Brief gleich noch ein Geschenk bei: drei Gutscheine, gesponsert von den SBB, die sich einen begeisterten Neukunden versprachen. Einen Gutschein über 33 Franken für ein Halbtax-Schnupperabo, einen à 500 Franken an ein GA zweiter Klasse und einen à 850 Franken an ein GA erster Klasse. Allerdings alle mit der Vorgabe, dass jeder Gutschein nur bei erstmaligem Bezug des jeweiligen Abos einlösbar sei. Da hatte er dann das Geschenk! Denn wer sich seit Jahren ausschliesslich autofrei durch die Welt bewegt, verfügt ja längst über alle Abos, die der ÖV erfindet.
Vielleicht findet sich ja irgendjemand, der wirklich nur Auto fährt und schon lange umsteigen will, überlegte seine Frau. Weil ihr links-grüner Bekanntenkreis so jemanden nicht hergibt, versuchten sie es auf Social Media. Für das Halbtax-Schnupperabo interessierte sich niemand, weil sowieso alle eins haben; doch der Zweitklass-GA-Gutschein war schnell weg. Blieben also noch die 850 Franken an ein neues Erstklass-GA, schliesslich meldete ein früherer Kollege sein Interesse an – man könne sich ja mal was gönnen. Doch als der die tatsächlichen Kosten eines Erstklass-GA realisierte, verzichtete er mit Bedauern – das könne er sich auch mit Gutschein nicht leisten.
Nun hat Mattis erstmals selbst durchgerechnet, was ihm die SBB da eigentlich geschenkt hatte, und musste feststellen, dass von der Grosszügigkeit nicht mehr viel übrig blieb.
Bei einem Preis von 6520 Franken entsprach der Gutschein einer Ermässigung von dreizehn Prozent, und 5670 Franken sind immer noch sehr viel Geld. Und selbst fürs Senior:innen-GA müsste man immer noch über 4000 Franken blechen.
Bundesrat Rösti hat zwar noch achtzehn Jahre Zeit, bevor er sein Fahrvermögen ärztlich überprüfen lassen muss, und bekommt schon jetzt ein Gratis-Erstklass-GA zusätzlich zum Lohn. Aber um ältere Hardcoreautomobilist:innen von der Führerausweisabgabe zu überzeugen, sollten sich Uvek und SBB wirklich spendabler zeigen.
Wer den erwähnten Gutschein gern für ein Erstklass-GA verwenden würde, weil er oder sie sich ein Jahr lang die teure Beinfreiheit leisten möchte, kann sich an Karin Hoffsten wenden (khoffsten@woz.ch). Mattis hat ihn ihr überlassen.