Literatur: Privatier mit Panikattacken

2025 jährt sich der Geburtstag Thomas Manns zum 150. Mal, viele Neuerscheinungen über sein Leben und Wirken stehen an, der Spielzeughersteller Playmobil will gar eine Thomas-Mann-Plastikfigur vermarkten. Angesichts dieses Kults braucht es Unverfrorenheit, einen zweiten Teil des Romans zu verfassen, der als Hauptwerk des deutschen Grossschriftstellers gelten darf. «Zauberberg 2», das jüngste Buch des Hamburger Humoristen und Autors Heinz Strunk («Der goldene Handschuh»), schreibt aber nur bedingt den Klassiker von 1924 fort, es spielt auch nicht in einem Sanatorium in Davos, sondern in einem im ostdeutschen Mecklenburg.
Dorthin flüchtet sich Jonas Heidbrink: Strunks Protagonist ist Ende dreissig und hat ausgesorgt, weil er mit dem Verkauf eines Start-ups reich geworden ist. Allerdings plagen den Privatier Panikattacken, weswegen er es nun für schlappe 823 Euro pro Tag mit einem Aufenthalt in einer Heilanstalt versucht. Strunk nutzt dieses Szenario, um zwischen Fotokurs und Musiktherapie Patient:innen und Personal der Klinik zu porträtieren, skurrile Figuren, die zwar nicht lungenkrank sind, dafür aber seelisch leiden. Das liest sich dank Strunks Sprachwitz und Gespür für Absurditäten amüsant: Mal ist eine Pflegerin so mager, «dass sie wie ihr eigenes Röntgenfoto aussieht», mal ein Patient derart aufgewühlt, «dass er seine Augen wie nach einem schnell eingestellten Metronom auf und zu sperrangelt».
Wie immer bei Strunk stellt sich aber die Frage, inwieweit er mit dem im Buch versammelten Elend die voyeuristische Lust bedient, kaputten Subjekten beim Kaputtsein zuschauen zu dürfen. «Zauberberg 2» gleitet aber nicht in zynische Weltverachtung ab, eher geht es womöglich sogar darum, dem Verfall Spuren von Schönheit und Solidarität abzutrotzen. Die aufkeimende Freundschaft zwischen Heidbrink und dem Senior Klaus ist fast anrührend geschildert, auch wenn Letzterem eine Sauforgie im Raucherpavillon vor der Klinik gar nicht gut bekommt: Es handelt sich immer noch um eine Strunk-Story.