Überwachung: Trojaner gegen die Solidarität
Ein Cyberangriff nahm mindestens neunzig Whatsapp-Nutzer:innen ins Visier. Betroffen sind Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten, darunter zahlreiche Kritiker:innen der italienischen Regierung.
Die Nachricht, die der dem Meta-Konzern gehörende Messagingdienst Whatsapp am 31. Januar verschickte, hatte es in sich: Die Empfänger:innen wurden informiert, dass sie Opfer einer Spionageattacke sind. Betroffen vom Angriff mit der Software Graphite der israelischen Firma Paragon Solutions waren mindestens neunzig Whatsapp-Nutzer:innen in 24 Ländern – darunter Italien, Schweden und Deutschland. Graphite ist ein hochinvasiver Trojaner, der auf alle Nachrichten und Apps zugreift, Anrufe mithören und Kommunikation manipulieren kann.
Eines der Spionageopfer ist Luca Casarini (57), Mitgründer von Mediterranea Saving Humans. Die Seenotrettungsorganisation, die mit der «Mare Jonio» Rettungsmissionen auf dem Mittelmeer fährt und in Italien ankommende Geflüchtete unterstützt, ist eine laute Kritikerin der extrem rechten italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni. Machte sie das zur Zielscheibe? Gesichert ist: Casarinis Handy war mit dem Graphite-Trojaner infiziert. Im «Guardian» bezeichnet er den Angriff als einen «Krieg gegen die Solidarität, den Aktivismus und die Unterstützung von Migrant:innen».
«Wenn nicht Italien, wer dann?»
Auch David Yambio, ein enger Partner von Mediterranea, wurde ausspioniert. Yambio kommt aus dem Südsudan und gründete 2021 in Libyen die Protestbewegung «Refugees in Libya» mit. Über hundert Tage harrte er mit Hunderten Mitstreiter:innen vor dem Gebäude der Uno-Flüchtlingsagentur UNHCR in Tripolis aus. Gemeinsam forderten sie die Evakuierung aller Geflüchteten aus Libyen und kritisierten die Untätigkeit des UNHCR und der EU. Dann wurde der Protest von libyschen Milizen gewaltsam aufgelöst.
Yambio wurde als eines der Aushängeschilder der Bewegung gesucht und tauchte unter. Schliesslich gelang ihm die Flucht über das Mittelmeer nach Italien, wo er heute lebt. Seither kämpft er von dort aus für die Rechte von Geflüchteten. Für die europäischen Regierungen ist er ein unbequemer Gegenspieler: Unermüdlich decken er und seine Organisation Verbrechen an Migrant:innen in Libyen auf – und damit auch die Unterstützung Italiens für dortige Milizen, die für extreme Gewalt und systematische Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Bereits im November 2024 erhielt Yambio eine Warnmeldung von Apple über eine mögliche Infektion seines Handys und suchte Expert:innen auf. «Nachdem ein erster Test negativ war, fand eine Abklärung des kanadischen Forschungslabors Citizen Lab nach Monaten heraus, dass mein Gerät infiziert ist», erzählt er.
Bis heute ist nicht eindeutig klar, ob er mit dem Graphite-Trojaner und von Italien überwacht wurde. Ausgehend davon aber, so Yambio, dass er in Italien lebe, von dort aus arbeite und dass Italien einen Vertrag mit Paragon unterzeichnet habe, stelle sich die Frage: «Wenn nicht Italien, wer dann? Das ist eine Frage, auf die ich und andere dringend eine Antwort brauchen.» Wenn die Daten seines Telefons in falsche Hände geraten, könnte das die Leben Hunderter Geflüchteter in unterschiedlichen Ländern, mit denen Yambio in Kontakt war, gefährden.
Neben Casarini und Yambio wurden weitere Gegenspieler:innen von Meloni überwacht – darunter andere Aktivist:innen von Mediterranea sowie ein italienischer Investigativjournalist, der kritisch über Melonis Partei berichtete. Die italienische Regierung gibt zwar Verträge mit Paragon zu, bestreitet aber eine Beteiligung an der Affäre. Inzwischen soll die israelische Firma den Vertrag mit der italienischen Regierung laut Medienberichten jedoch wegen «Vertragsbruch» aufgelöst haben. Auch das bestreitet die italienische Regierung.
Paragon Solutions ist eigentlich mit einer Mission angetreten: Die Firma gab an, im hochsensiblen Bereich der invasiven Überwachung ein ethisches Geschäftsmodell zu verfolgen und ihre Produkte nur an Demokratien unter Einhaltung «strikter moralischer Einschränkungen» zu liefern. Fragen zum vorliegenden Fall liess die Firma unbeantwortet.
Gefahr für ganz Europa
«Die jüngsten Berichte sind schockierend, aber leider nicht überraschend», schreibt Amnesty International. Das Sicherheitslabor der Menschenrechtsorganisation befasst sich seit Jahren mit missbräuchlicher Überwachung. Sie verurteilt den Cyberangriff scharf: Er behindere die Organisationen bei deren lebensrettender Arbeit. Von Paragon und Italien fordert Amnesty Transparenz und eine echte Untersuchung, bezweifelt diese jedoch mit Blick auf ähnliche Fälle in anderen EU-Ländern: «Europa steht vor einer anhaltenden Menschenrechtskrise, ausgelöst durch fortgeschrittene Spionageprogramme.» Angesichts dessen, dass das gesamte Ausmass der Überwachung gänzlich unbekannt sei, fordert Amnesty ein weltweites Moratorium solcher Technologien, «bis ein globaler, menschenrechtskonformer Rechtsrahmen» geschaffen sei.
Auch David Yambio ist alarmiert. «Es fängt immer bei den Menschen an, die weniger Privilegien haben – bei mir als Geflüchtetem zum Beispiel –, weil wir einfachere Ziele sind.» Doch es betreffe alle, warnt er: «Wenn es heute bei mir beginnt, wird es morgen die Bürger:innen von Europa treffen.»