Orchestermusik: Das Ohr aufs Spiel setzen
Drei Viertel der Mitglieder von Schweizer Berufsorchestern sind von Gehörproblemen betroffen. Für das grösste Berufsrisiko greift keine Versicherung. Im Orchester des Opernhauses Zürich ist es besonders hoch.

«Ich habe Hyperakusis», sagt Milena K.* Sie hört alles zu laut. Ein Gespräch, etwa 50 Dezibel, kann starke Schmerzen auslösen, oft verbunden mit Schweissausbrüchen und Herzrasen. Dann muss K. zu Hause bleiben. Angesagt sind möglichst wenig Schallereignisse: wenige soziale Kontakte und bestimmt keine Musik.
Im Orchester des Opernhauses Zürich, in dem K. von 1985 bis zu ihrer Frühpensionierung 2023 spielte, war sie über Jahre hohen Schallpegeln ausgesetzt. Die Dauerschallpegel in einem Orchester liegen zwischen 85 und 95 Dezibel: etwa so laut wie Grossstadtverkehr – bei einem vollen Pensum bis zu 36 Stunden pro Woche. Das schädigt langfristig das Gehör und belastet die Psyche.
Spätestens seit einer Studie der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) von 2001 zur Langzeitgehörbelastung von Orchestermusiker:innen sind diese Fakten bekannt. Hinzu kommt der Impulsschall etwa eines Paukenschlags oder eines Pistolenschusses auf der Bühne. Ausserdem hätten Einspielungen aus Lautsprechern und die Verstärkungen einzelner Toneffekte zugenommen, sagt ein langjähriges Orchestermitglied.
«Die Freiheit der Regie geniesst höchsten Stellenwert. Das Bewusstsein für die Gehörbelastung jedoch greift erst nach entsprechenden Vorfällen», sagt Rechtsanwalt Ernst Brem. Er berät den Schweizerischen Musikerverband in arbeitsrechtlichen Fragen der Gehörbelastung. Dabei geht es um mehr als Grenzwerte, denn ein Opernorchester ist mit weitreichenden technischen Entscheidungen konfrontiert. Sind Inszenierungen multimedial und immersiv, steigen die Anforderungen an die Technik und die Arbeitssicherheit.
Fataler «Fliegender Holländer»
Milena K. erinnert sich gut an den 28. April 2001. Die Hauptprobe beginnt um 11 Uhr, der Dirigent gibt den Einsatz zur Ouvertüre des «Fliegenden Holländers» von Richard Wagner – in allen Registern üppig besetzt. Die Pauke hat in der aufwühlenden Ouvertüre einen gewichtigen Part. Sie treibt in den zehn Minuten den Sturm an, heizt Übergänge auf und krönt Höhepunkte. «Danach ist mein vegetatives Nervensystem zusammengebrochen. Ich fühlte mich wie Gummi, konnte kaum mehr gehen», sagt sie. Am nächsten Tag sucht sie ärztliche Hilfe. Sie wird für eine Woche krankgeschrieben. Dann kehrt sie zurück ins Orchester, taucht in das Kollektiv ein, das Abend für Abend das Gesamtkunstwerk Oper mitgestaltet. «Es ist wie Sonnenbrand», sagt K. im Rückblick. «Das Ohr erholt sich zwar, reagiert aber bei weiteren Expositionen immer empfindlicher.» Doch wer die Lärmbelastung nicht vertrage, sei im falschen Beruf, bekommt sie von mehreren Orchestermitgliedern zu hören.
Wie Schall gemessen wird
Das Ohr fängt Luftdruckschwingungen ein, die auf das Trommelfell treffen. Das Gehirn wandelt diese Schwingungen in Informationen um. Je energiegeladener diese Bewegungen in der Luft sind, desto lauter nehmen wir ein Geräusch wahr.
Die Einheit Dezibel zeigt den Schalldruckpegel an. Zehn Dezibel (dB) ergeben ein Bel (B). Die Dezibelskala folgt einem logarithmischen Verlauf. Unser Gehör nimmt nämlich Lautstärke beziehungsweise Schalldruck nicht als linear steigend wahr. Somit bestimmt unsere Wahrnehmung, wie Lautstärke gemessen wird.
Das Gehör ist unterschiedlich empfindlich gegenüber verschiedenen Frequenzen, deshalb werden sie beim Messen bewertet. A gewichtet mittlere Frequenzen stärker, C tiefere. Entsprechend werden dBA- und dBC-Werte gemessen. Schall ab 65 dBA löst individuelle vegetative Reaktionen aus, bevor das Innenohr ab 85 dBA gefährdet ist: Die Herzfrequenz erhöht sich, der Cortisolspiegel steigt, die Muskulatur verkrampft sich. Orchestermusiker:innen sind über Jahre Langzeitbeschallungen zwischen 85 dbA und 95 dbA ausgesetzt. Die Suva legt den Grenzwert für ein Unfallereignis hoch: bei 125 dbA.
K.s Geschichte wird aktenkundig. Erstmals 2002 in der Unfallmeldung der Opernhaus Zürich AG an die Versicherung nach einem «weiteren Ereignis». Sie muss «den Orchestergraben wegen zu grosser Lärmbelastung mit Schweissausbrüchen und Zittern verlassen». Daraufhin wird sie «wegen chronischer Lärmbelastung und Tinnitus für grosse Opern arbeitsunfähig geschrieben».
Und es geht weiter. Zuletzt gab die Panne am 15. März 2024 während «Amerika» zu reden, der immersiven Oper von Roman Haubenstock-Ramati. Ein Grabenmikrofon sowie ein Lärmdosimeter bei einem Kontrabassisten zeichneten die Vorstellung auf. Das Schallmessprotokoll der Suva erwähnt «sich langsam aufbauende Rückkoppelungen im tieferen Frequenzbereich». Die Verstärkung von Sänger:innen funktionierte 26 Sekunden lang nicht wie in den Voreinstellungen abgespeichert. Daraufhin fuhren die Tontechniker die Regler manuell: Es betraf Wortäusserungen. Sie wurden im Orchestergraben «unerwartet laut» – so laut, dass neun Musiker:innen mit Hörbeschwerden bei der Versicherung angemeldet werden mussten. Es traf Orchestermitglieder zwischen 26 und 60 Jahren. Schon 2022 und 2023 hatten sich je fünf Berufsunfälle ereignet, davon einmal vier, einmal zwei «Gehörfälle», schreibt die Personalabteilung auf Anfrage.
Die Suva simulierte den Vorfall vom März 2024 vor Ort, mass die Belastungen während zweier weiterer Aufführungen und verifizierte die Messketten des Opernhauses. Die Messungen des Opernhauses seien korrekt, schreibt die Suva. Ausserdem seien die Grenzwerte «jederzeit eingehalten» worden. Somit könnten die «bedauernswerten Hörbeschwerden der Musiker nicht erklärt werden».
Explosionen, Schüsse, Peitschenhiebe
Trotz der 2001 erlittenen Schäden blieb Milena K. im Orchester und erlitt weitere Lärmtraumata. Ihre Anwältin fasst zusammen: «Akute Hyperakusis und verstärkter Tinnitus nach Paukenschlag während einer Vorstellung von ‹El Cid› (2008). Weiter akute Traumen während ‹Turandot› und ‹Schwanensee› (2018). Hohe Lautstärken und lautes Paukensolo während einer Probe, nur teilweise Erholung, Reduktion des Pensums auf fünfzig Prozent (2021). Unangekündigte Verstärkung bei ‹Barkouf› (2022), unerwartet laute Explosion einer Urne auf der Bühne während der Hauptprobe, seither vollständige Arbeitsunfähigkeit, Berentung durch IV und Pensionskasse (2023).»
Zurzeit seien zwei Personen wegen Gehörbelastung krankgeschrieben, sagt Sebastian Bogatu, technischer Direktor des Opernhauses Zürich. Die interne Weisung zum Schutz des Gehörs wurde letztmals im Februar 2024 aktualisiert. Effekte wie Schüsse und Peitschenhiebe und deren Kommunikation unterliegen strengen Regeln. Das Opernhaus geht in seinen Schutzmassnahmen weiter als von der Suva vorgeschrieben. Es setzt die Grenzwerte tiefer und gewichtet damit «Zusatzbelastungen» wie etwa einen Knall höher. «Seit Jahren werden die Schallwerte im Graben gemessen und Einspielungen angekündigt. Seit dem Vorfall während ‹Barkouf› informieren wir auch über Liveverstärkungen von Darstellenden und Musiker:innen, wenn hohe Schallpegel erwartet werden», sagt Bogatu. Milena K. und der andere Geschädigte seien «beide seit längerem vorbelastete Musiker:innen». K.s Anwältin spricht von einem weisungswidrigen Vorgehen bei Bühnenproben. Bogatu entgegnet: «Wir haben damals nicht informiert, weil sich die Weisung auf Einspielungen und Schüsse bezog und die Tonabteilung nach dem Soundcheck nicht davon ausging, dass die Verstärkung des Sängers jemanden schädigen würde.»
Die Langzeitbeschallung ist für Berufsmusiker:innen unvermeidlich. Hohe Frequenzen sind dabei gefährlicher als tiefe. Bei Dirigent:innen kommen 86 Dezibel an, ein Kontrabass erzeugt 86 Dezibel, eine Geige 90 Dezibel, am meisten die Blechbläser: 95 Dezibel. Auch die Souffleuse oder der Souffleur ist stark belastet. Die Suva mass in einem früheren Fall im Souffleurkasten Pegel bis 104 Dezibel. Das fühle sich an, wie wenn «eine Brassband im Badezimmer» loslegen würde, so Milena K. Denn eine Erhöhung des Schalldruckpegels um 10 Dezibel empfinden wir als Verdoppelung der Lautstärke. Das bedeutet eine Verzehnfachung der Schallintensität sowie eine Verdreissigfachung des Risikos – weil die Dezibelskala logarithmisch verläuft.
Musiker:innen behelfen sich mit individuellem Gehörschutz und Schirmen aus Plexiglas, das Team der Arbeitssicherheit ist gefordert: Es informiert über bevorstehende Spezialeffekte, führt Tonbeispiele vor und empfiehlt, sich entsprechend zu schützen. «Die Vorsichtigen markieren sich laute Stellen, sie wollen vorbereitet sein», sagt eine Musikerin, «Stöpsel raus und Stöpsel rein!» Doch kein Abend ist gleich: Ein Register kann unvermutet Gas geben, ein Dirigent mehr Lautstärke fordern. Auch ihre Pultkollegin schützt sich: «Ich trage, seit ich im Orchester anfing, einen passgenauen Gehörschutz mit Filtern.» Das kommt nicht überall gut an. So weiss sie von einem Musiker, der in einem berühmten Festspielorchester damit auffiel. «Hast du ein Gehörproblem?», habe ihn der Dirigent gefragt. «Nein, ich schütze mich, damit ich keines bekomme.»

Nur zwei Drittel schützen sich
Der Gehörschutz ist technologisch weit. Hochlineare Otoplastiken dämpfen alle Frequenzen gleichmässig und versprechen ein natürliches Klangbild. Dennoch muss die Tonproduktion im Graben anderen Massstäben folgen als beim Üben zu Hause. Die Klanggebung, ein zentrales Gestaltungsmittel, ist betroffen. Nicht alle nehmen der Gesundheit zuliebe Einbussen in Kauf. Nur gerade 66 Prozent von 321 befragten Orchestermusiker:innen in der Schweiz schützen sich, die Hälfte von ihnen erst ab Lautstärke Fortissimo – so das Ergebnis der Studie der Fachhochschule Kalaidos von 2019. Das eigene Risiko wird unterschätzt. Betroffen seien die anderen, meinen fast 38 Prozent. Dieses «subjektive Gefährlichkeitsurteil» könnte erklären, warum sich Musiker:innen trotz besseren Wissens nicht schützen.
Milena K., mittlerweile frühpensioniert, schätzt die Akzeptanz von Schutzmassnahmen kritisch ein – wie ein Drittel der Studienteilnehmenden. «Wer Suva-Schirme wollte und Gehörschutz trug, war angezählt», stellt sie fest.
Die Suva kontrolliert lärmintensive Branchen wie Industrie, Gewerbe und Kulturbetriebe. «Berufsmusiker überprüfen wir hinsichtlich Lärmbelastung systematisch in Form von Betriebskontrollen. Es besteht der Auftrag zur Prävention», schreibt auf Anfrage Katrin Bucher von der Suva, Spezialistin Sicherheit und Gesundheitsschutz Team Akustik. Doch seit 2019 untersucht die Suva nur noch Musiker:innen unter vierzig Jahren. «Hier greift die Prävention am besten, und altersbedingte Hörverluste liegen noch nicht vor.» Denn eine Lärmschwerhörigkeit entwickle sich meist schon in den ersten Berufsjahren.
«Das klingt für Geschädigte zynisch», sagt ein Orchestermitglied. Die Praxisänderung der Suva kam überraschend: Der Verband Schweizerischer Berufsorchester und der Schweizerische Musikerverband waren nicht eingebunden. Sie suchten das Gespräch und mussten sich mit einer Zusicherung zufriedengeben: Die neue Regelung habe «keinerlei» Einfluss auf die Versicherungsleistungen bei Gehörschädigungen und darauf, ob ein Fall als Berufskrankheit oder Unfall anerkannt werde.
Paukenschläge sind nicht rechtswidrig
Milena K. ging mit ihrer Anwältin bis vor Bundesgericht. Ärzte und Versicherungen traten an. Ob ein Unfall oder eine Berufskrankheit vorliege, war strittig. «Die Argumente dagegen sind stets ähnlich», sagt die Anwältin. Sie vertritt seit Jahren Musiker:innen aus Schweizer Berufsorchestern. Die Versicherungen argumentieren jeweils mit dem festgelegten Grenzwert für ein Unfallereignis (125 dBA, vgl. «Wie Schall gemessen wird»). Dieser sei nicht erreicht worden, eine Berufskrankheit liege nicht vor. Tinnitus und Hyperakusis stellten keine Gehörschädigung im Sinne der Schwerhörigkeit dar. Somit sind Musiker:innen gegen das grösste Berufsrisiko – die Langzeitbeschallung – nicht versichert. «Das ist der eigentliche Skandal», sagt die Anwältin.
Die Rechtslage ist vertrackt. Laute Paukenschläge in der Ouvertüre des «Fliegenden Holländers» seien künstlerisch gewollt und somit nicht rechtswidrig, befindet ein Gutachter im anonymisierten Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich. Milena K. und ihre Anwältin mussten sich auf ein jahrelanges Verfahren einstellen. Schliesslich einigten sich die Parteien. Die Versicherung übernahm 2012 die Leistungen «ohne Anerkennung einer Rechtspflicht», was bedeutet: Sie zahlte, ohne rechtlich dazu verpflichtet zu sein.
Der Fall sei noch nicht abgeschlossen, sagt die Anwältin. «Die Versicherung hat mit Verfügung eine Leistungspflicht sowohl wegen Unfallereignis als auch wegen Berufskrankheit abgelehnt.» Die Einsprache dagegen wurde inzwischen abgewiesen, gegen den Entscheid ist eine Beschwerde am kantonalen Gericht hängig. Aufhören war für Milena K. keine Wahl. «Ich will spielen. Das ist mein Leben», sagt auch ein weiterer Betroffener. Er sitzt seine Beeinträchtigung aus – und das seit dreissig Jahren.
Das Opernhaus abreissen?
Warum ist das Problem am Opernhaus Zürich besonders gravierend? Es liegt auch am Gebäude. 2023/24 glänzte die Oper mit Richard Wagners «Ring des Nibelungen». Die Aufführungen waren zu 99 Prozent ausgelastet, 56 000 Menschen sahen den Livestream. Der Schall von Orchester mitsamt Solostimmen und Chor übersteigt allerdings das Raumvolumen. Das Opernhaus ist zu klein für solche Besetzungen, der Schalldruck zu hoch. Der neobarocke Bau von 1891 war ursprünglich als Mehrspartenhaus in Krakau geplant, somit auch für Sprechtheater.
Andernorts, etwa in der Tonhalle Zürich, platziert man Instrumentengruppen um und nutzt die gestufte Bühne, um die Schallmassen vertikal zu lenken. Das ist im beengten Orchestergraben der Oper unmöglich. Hinzu kommt die Überdachung im hinteren Bereich: Sie verstärkt den Schalldruck.
Gute Dirigent:innen denken die Akustik mit. Masse und Lautstärke sind für sich genommen keine Qualität. Das wird dann besonders ohrenfällig, wenn La Scintilla spielt, das kleiner besetzte Spezialensemble für alte Musik des Opernhauses Zürich. Der Stimmton A ist tiefer, die Lautstärke einen merklichen Gang leiser. Das liegt am Instrumentarium, etwa an den Darmsaiten und leichteren Bögen. Das Ohr ist eingeladen, sich zu entspannen.
«Zukunft Oper Zürich» heisst das Projekt, das unterschiedlichste Interessen unter einen Hut bringen soll. Der Kanton – und mit ihm die Stimmbevölkerung – subventioniert die Betriebskosten des Hauses mit 86,2 Millionen Franken pro Saison. Der Akzeptanz dieser hohen Summe muss Sorge getragen werden, erst recht, weil Opernhaus und Erweiterungsbau nach 2030 saniert werden müssen. Nur so könne das Haus den im Opernhausgesetz verankerten Auftrag erfüllen, heisst es im Grundsatzpapier. Noch weiss niemand, wie viel das Grossprojekt kosten wird. Der Projektkredit unterliegt dem fakultativen Referendum. «Wir hoffen, bis Ende Jahr Entscheidungsgrundlagen zu haben. Dann wird es entsprechende Vorgaben für den internationalen Architekturwettbewerb geben können», so Bogatu.
«Zahlreiche Räume weisen unzumutbare Arbeitsbedingungen auf», liest man im Grundsatzpapier. Erwähnt werden etwa Arbeitsplätze ohne Tageslicht und Kostümanproben auf dem Gang. Das Orchester im Graben hingegen bleibt ausgespart. «Das ist vielleicht ein Mangel», sagt der ehemalige Zürcher Regierungsrat Markus Notter, Präsident des Opernhaus-Verwaltungsrats. «Das Thema nehmen wir jedoch ernst. Mit dem Vorfall während ‹Amerika› haben wir uns im Ausschuss beschäftigt. Ebenso mit der Weisung zum Schutz des Gehörs, die regelmässig angepasst wird.» Wie sich der Orchestervorstand zur Gehörbelastung stellt, was Musiker:innen an ihn herantragen, war nicht in Erfahrung zu bringen. Mehrere Anfragen dieser Zeitung blieben unbeantwortet. Das mag erstaunen, ist doch das Orchester das mächtigste Kollektiv in der Oper. Es hat Mitspracherecht bei den Anstellungen und beim Spielplan, ein Musiker ist als Vertreter des künstlerischen Personals Mitglied ohne Stimmrecht im Verwaltungsrat.
Zurzeit untersuchen Experten von Kahle Acoustics Zuschauerraum und Graben auf akustische Verbesserungsmöglichkeiten hin. Das Team besteht aus Akustiker:innen, die auch Musiker:innen sind. Es prüft, wie das Schallvolumen vergrössert werden könnte, was Schallsegel bringen könnten, wie die Reflexion von den Balkonen funktioniert. Soll der Graben grösser werden und damit auch die Abstände zwischen den Musiker:innen? Das würde den Schalldruck verringern. Oder reizt mehr Platz nicht vielmehr zu grösseren Besetzungen?
Jedenfalls würden auch «in einem grösseren Orchestergraben betriebliche Schutzmassnahmen immer unumgänglich bleiben», sagt Notter. Ein Szenario für mehr Raumvolumen könnte sein, die Decke über dem Zuschauerraum zu krümmen und damit Potenzial in der zukünftigen Raumakustik zu erschliessen. Dazu müsste allerdings der Denkmalschutz Hand bieten und das Vorhaben die Auflagen des Inventars der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (Isos) erfüllen. Niemand sagt laut, was ebenfalls denkbar wäre: das Opernhaus abreissen und grösser neu bauen. Das dürfte allerdings nicht mehrheitsfähig sein. Die Oper ist wie das Schauspielhaus ein Kulturdenkmal und speichert 134 Jahre Aufführungs- und Zeitgeschichte. Die Ohren der Musiker:innen bleiben weiterhin belastet. Zurzeit vertritt die Anwältin von Frau K. acht Musiker:innen – alle aus dem Orchester des Opernhauses Zürich.
* Die Anonymisierungen erfolgten auf Wunsch der Betroffenen.
Der Beitrag wurde unterstützt von investigativ.ch: Recherchefonds der Gottlieb und Hans Vogt Stiftung.