Faschismusdebatte: Made in USA

Nr. 12 –

Ist Donald Trump ein Faschist? Darüber streiten Linke und Intellektuelle in den Vereinigten Staaten schon lange – seine zweite Amtszeit wirft neue Fragen auf.

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Donald Trump und Wladimir Putin, 2018
Freundschaft im Jahr 2018: Donald Trump und Wladimir Putin in Moskau. Foto: Imago

Fast zehn Jahre liegt es mittlerweile zurück, dass Donald Trump die goldene Rolltreppe des Trump Tower in Manhattan hinunterglitt, um vor Fans und Presse seine Präsidentschaftskandidatur bekannt zu geben. Quasi seit diesem Tag im Juni 2015 wird in den USA darüber diskutiert, ob der Mann ein Faschist ist.

Die sogenannte «fascism debate» hat dabei etliche Volten geschlagen, mal erhellend, mal ermüdend, und es ging nie nur darum, was Trump programmatisch vorhat, wie radikal-transformativ seine Ziele sind. Sondern es war immer auch eine identitäre Erkundung. Kann es sein, dass der Trumpismus gar keinen Bruch darstellt, sondern vor allem US-amerikanische Traditionen fortführt?

Der Historiker Timothy Snyder zählt zu denen, die früh Parallelen zwischen dem europäischen Faschismus der dreissiger Jahre und der Gegenwart sahen, unter anderem darin, dass Trump, genau wie Hitler damals, die Demokratie von innen aushöhle und um sich herum einen gewaltbereiten Kult errichte. Als eine von Trump aufgeheizte Meute am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington D. C. stürmte, sah sich Snyder bestätigt. Auch für den Historiker Robert Paxton, der lange davor gewarnt hatte, Trump vorschnell einen Faschisten zu nennen, war «January 6» eine Zäsur. Paxton ist seither davon überzeugt, dass der Begriff zutreffe, wenngleich er infrage stellt, ob er strategisch nützlich sei.

Autoritärer Umbruch

Andere Expert:innen halten das Label bis heute für unpassend. Der Politikwissenschaftler Corey Robin etwa verwies darauf, dass Trump weder eine organisierte Massenbewegung hinter sich noch gegen sich habe, dass also die Bedingungen des Faschismus nicht existierten. Trumps Position sei vergleichsweise schwach, argumentierte Robin, was man unter anderem an dessen Abhängigkeit von Institutionen wie dem Supreme Court erkenne. Robin betonte immer wieder, dass er Trump nicht verharmlosen wolle, aber in ihm keinen Faschisten sehe, sondern vielmehr einen rechten Konservativen neoliberaler Prägung, der die Ordnung unter dem Strich bestätige.

Dieses Argument, dass Trump die bestehende Ordnung bewahre, ist im Frühjahr 2025 kaum noch haltbar. Der 47. Präsident der USA hat seit seiner Amtseinführung so viele demokratische Regeln gebrochen, so viele rechtsradikale und potenziell verfassungswidrige Verfügungen erlassen, so viele Verträge und Allianzen aufgekündigt, dass man von einem autoritären Umbruch sprechen muss oder zumindest vom Versuch, diesen herbeizuführen.

Viele seiner Versprechen wird Trump zwar nicht erfüllen können, manches ist auch nur zum Schauspiel und als Aktionismus gedacht. Genug seiner Entscheidungen haben allerdings schon jetzt fatale materielle Konsequenzen, etwa wenn es um die Kürzungen in der Gesundheitsversorgung und der Entwicklungshilfe geht. Die grössten Krisen stehen indes wohl noch bevor. Sollte Trump seine aggressive Zollpolitik durchziehen, scheint ein wirtschaftlicher Abschwung fast zwangsläufig. «Donald Trump ist auf dem besten Weg, der erste Präsident zu werden, der absichtlich eine schwere Depression herbeiführt», schreibt der Journalist Robert Kuttner.

Chaos und Überwältigung

Wie viel Umbruch diese Regierung will, wurde zuletzt vor allem aussenpolitisch deutlich. Die jahrzehntelang gültige Allianz zwischen den USA und Europa: passé. Ob es die Nato in ein paar Monaten in der jetzigen Form überhaupt noch gibt: ungewiss. Im Krieg Russlands gegen die Ukraine hat der US-Präsident klargemacht, wem er sich näher fühlt. Vereint sind Trump und Wladimir Putin in der Ablehnung jeder emanzipatorischen Politik und in der Mythologisierung einer goldenen Vergangenheit. Make America and Russia Great Again. Man muss wirklich kein Fan der bestehenden Institutionen und Ordnungen sein, um das alles mit Sorge zu beobachten.

Trump 2.0 bedeutet Chaos und Überwältigung. Manches ist lange geplant, anderes wird einfach mal ausprobiert. Diese Doppelstrategie kommt vor allem beim Umbau des Staates zum Einsatz, vorangetrieben von Elon Musk, der ohne demokratische Legitimation durch die Räume des Apparats stürmt und seinen libertären Fantasien nachgehen darf, während seine Unternehmen vom Staat mit Milliarden gefördert werden.

Zehntausende Beamt:innen wurden gefeuert, ganze Behörden demontiert, obwohl es für derartige Eingriffe eigentlich Parlamentsbeschlüsse bräuchte. Was in manchen Medien als «Bürokratieabbau» verklärt wird, ist vielmehr eine Art administrativer Putsch. Gerichte intervenieren zwar und stoppen die Regierung hier und da. Schon jetzt allerdings kommt die Justiz an ihre Grenzen. Über die Entscheidung des Supreme Court, Tiktok zu verbannen, hat sich Trump hinweggesetzt. Sollte das zum System werden, wäre auch die These von Politikwissenschaftler Corey Robin hinfällig, dass Trump zu sehr auf die Institutionen angewiesen sei, um als faschistisch zu gelten.

Trump mit Umberto Eco betrachtet

Die Frage ist natürlich, an welcher Definition von Faschismus man sich überhaupt orientiert. Nimmt man eine der bekanntesten, nämlich die des italienischen Schriftstellers Umberto Eco, der in den neunziger Jahren* «vierzehn Merkmale des Urfaschismus» zu Papier brachte, dann bleibt kaum etwas anderes übrig, als in Trump einen faschistischen Führer zu sehen.

Mit «Make America Great Again» beschwört Trump einen Kult der Tradition, was Eco als erstes Merkmal festhielt. Kritik und wissenschaftlicher Einspruch werden von Trump als Verrat betrachtet (Merkmal 4), wie sein obsessiver Kampf gegen Medien, Universitäten und politische Gegner:innen beweist. Die Angst vor Andersartigkeit (5) zeigt sich unter anderem darin, dass trans Menschen seit Januar offiziell die Existenz abgesprochen ist. Appelle an die frustrierte Mittelschicht (6) gehören zu jeder Rede von Trump. Die Abriegelung der Grenze begründet der US-Präsident mit vermeintlichen Verschwörungen gegen die Nation (7). Wer Trumps Treiben der vergangenen Dekade verfolgt hat, von der goldenen Rolltreppe über die Aussage «Grab em by the pussy» bis zur erhobenen Faust nach dem Attentat auf ihn im vergangenen Sommer, wird kaum bezweifeln, dass Elitedenken (10), Heldeninszenierung (11) und Chauvinismus (12) zu seinem Wirken und Denken gehören.

Es ist in gewisser Weise erstaunlich, dass fast alle von Ecos Merkmalen, die er auch mit Blick auf seine eigenen Erlebnisse als Kind im italienischen Faschismus der 1940er Jahre festhielt, im Jahr 2025 auf ein amerikanisches Staatsoberhaupt zutreffen.* Das liegt aber auch daran, dass die Punkte so vage gehalten sind, dass sie irgendwie zu den meisten rechten Führungspersönlichkeiten passen. Man muss Faschismus zwar als Spektrum und Prozess verstehen. Je fluider man das allerdings tut, desto grösser ist auch das Risiko, die Unterschiede zwischen damals und heute zu verwischen.

Trump mag ein bisschen wie Adolf Hitler und Benito Mussolini sein. Jemand, der aus dem New Yorker Establishment kommt und sein Leben lang in seiner Heimat als Unternehmer, Fernsehstar und Politiker gewirkt hat, sollte jedoch primär als US-amerikanisches Produkt verstanden werden.

Von der «black radical tradition», also linken Schwarzen Denker:innen und Aktivist:innen, wird sowieso schon seit rund einem Jahrhundert auf die faschistischen Elemente US-amerikanischer Politik hingewiesen. Der Soziologe W. E. B. Du Bois analysierte die rassistischen Jim-Crow-Gesetze, die im Süden der USA bis Mitte des 20. Jahrhunderts galten, im expliziten Vergleich mit dem europäischen Kolonialismus und Faschismus. Leute wie George Jackson und Angela Davis sahen später in der extremen Polizeigewalt gegenüber Schwarzen und im anwachsenden industriellen Gefängniskomplex ebenso etwas Faschistisches. Wenn sich Trump wünscht, dass auf «Black Lives Matter»-Demonstrant:innen geschossen wird, oder wenn sich das Weisse Haus an raschelnden Fussfesseln bei Abschiebeflügen erregt oder wenn das kriminelle Department of Homeland Security einen palästinensischen Studenten der Columbia University festnimmt, obwohl dieser mit einer Greencard legal im Land ist, und in einen anderen Bundesstaat entführt, ohne einen Haftbefehl vorzuweisen, dann kann man das auch als Fortführung eines «racial fascism» verstehen.

Konvergenz dreier Strömungen

Einerseits macht Trump also typisch US-amerikanische Politik. Sowohl die Bekämpfung linker Bewegungen als auch radikale Kürzungen des Sozialstaats gehören seit Jahrzehnten zum Ziel fast aller Präsidenten. «Musk-Trump ist ‹Reaganismus› auf Steroiden», schrieb Corey Robin kürzlich. Dazu passt, dass auch der Slogan «Make America Great Again» von Ronald Reagan aus den achtziger Jahren geklaut wurde. Trump lässt die Grenze abschotten, genau wie es Bill Clinton schon in den neunziger Jahren tat. Imperiale Egotouren, von Trump mit Bezug auf Kanada, Grönland und Gaza angekündigt, gehören ebenfalls zur Tradition in diesem Land.

Andererseits hat es so etwas wie den Trumpismus wirklich noch nicht gegeben. Wie der Historiker Quinn Slobodian kürzlich ausführte, liege das Neue in der «Konvergenz dreier politischer Strömungen, die noch nie gleichzeitig so nah an der Macht waren». Die erste, der Wall-Street/Silicon-Valley-Nexus, wolle einen «schlanken Staat, der sich darauf konzentriert, die Kapitalrendite zu maximieren». Die zweite, angeführt von konservativen Thinktanks, wolle einen «gefesselten Staat, der nicht in der Lage ist, soziale Gerechtigkeit zu fördern». Und die dritte Strömung, die aus der Onlinewelt des Anarchokapitalismus gewachsen sei, wolle einen «zerrütteten Staat, der die Regierungsgewalt an konkurrierende Projekte dezentralisierter Privatherrschaft abtritt», so Slobodian.

Am Ende lässt sich der Trumpismus nur in seiner hybriden Form zwischen US-amerikanischer Tradition, Tech-Akzelerationismus und neuen internationalen autoritären Allianzen verstehen. Faschistoid ist das allemal. Wichtiger als eine genaue Definierung ist aber sowieso, was die Menschen daraus machen. Anders als 2017 ist der Widerstand in den USA dieses Mal zwar leiser, aber er findet trotzdem statt. Es gibt in vielen Communitys Netzwerke, um undokumentierte Migrant:innen vor der Abschiebung zu schützen. Abtreibungspillen werden per Post an Schwangere in republikanisch regierten Bundesstaaten geschickt. Gewerkschaften und linke Gruppen demonstrieren vor Tesla-Standorten gegen den autoritären Umbau des Staates. Auch Antifaschismus ist eine Mischung.

* Korrigenda vom 3. April 2025: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion stand fälschlicherweise, Umberto Eco habe die «vierzehn Merkmale des Urfaschismus» bereits in den fünfziger Jahren ausgearbeitet. Richtig ist, dass er diese in den neunziger Jahren erstellt hat.