Essay: Der Faschismus lernt, ist wendig, kommt immer wieder anders daher. Auch deshalb ist es so schwer, ihn mit einfachen Definitionen zu packen

Nr. 48 –

Nicht erst seit der Wahl von Donald Trump wird wieder allerorten über den «Faschismus» diskutiert. Hilft uns der Begriff, die Gegenwart zu verstehen?

Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021
Am 6. Januar 2021 überschritt Donald Trump die rote Linie: Ein vom damals abgewählten Präsidenten ­aufgestachelter Mob stürmte an jenem Tag das Kapitol in Washington. Foto: Lev Radin, Getty

Man muss sich ja nur mal kurz umsehen auf dieser Welt: In den USA hat mit Donald Trump soeben ein Mann die Präsidentschaftswahl gewonnen, der sich an der eigenen Zerstörungslust berauscht. Ein Mann, der seine politischen Gegner:innen nicht bloss aufs Vulgärste beleidigt, sondern auch mit dem breitesten Grinsen deren physische Vernichtung postuliert. In Russland hat Wladimir Putin ein Regime errichtet, dessen Machtbasis eine Mischung aus Mafia und Geheimdienst ist. Das nicht nur jeden Widerspruch im Innern mit Gewalt niederwalzt, sondern auch einen megalomanen Imperialkrieg gegen sein Nachbarland führt.

Nicht zu vergessen der Hindunationalist Narendra Modi mit seiner Blut-und-Boden-Ideologie in Indien, wo Moscheen brennen und Pogrome gegen die muslimische Bevölkerung an der Tagesordnung sind. Und in Deutschland droht bei der kommenden Bundestagswahl nun auch landesweit der Triumph einer Partei, deren Politiker:innen und Positionen wie ein gruseliger Gruss aus der nationalsozialistischen Vergangenheit des Landes daherkommen.

Die Liste liesse sich lange fortsetzen. Am Ende bleibt einem nicht viel mehr übrig, als die schlimmste aller schlimmen Gegenwartsdiagnosen zu formulieren: Weltweit scheint der Faschismus, diese grosse Kategorie aus dem frühen 20. Jahrhundert, wieder auf dem Vormarsch.


Man sieht und hört es allerorten, dieses so plakative wie diffuse Schlagwort: Da war etwa Kamala Harris, die Trump im Wahlkampf einen «Faschisten» nannte. Da war eine mehrseitige Abhandlung im «Spiegel» letzten Sommer, Titel: «Wie Faschismus beginnt», daneben die Konterfeis von Donald Trump, dem Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke und der Rassemblement-National-Chefin Marine Le Pen. In der WOZ warnte die Politologin Natascha Strobl kürzlich vor faschistischen Diskursen und digitalen Schlägertrupps auf Social Media (siehe WOZ Nr. 38/24). Und in den Feuilletons und Fernsehstudios wird die imposante F-Frage sowieso rauf und runter diskutiert.

Da war auch Robert Paxton, einer der bekanntesten Faschismusforscher der Gegenwart. Paxton, 92 Jahre alt, berühmt geworden für seine Arbeiten zum französischen Vichy-Regime, sagte Ende Oktober dem Magazin der «New York Times», er habe seine Meinung über Trump geändert. Während dessen erster Amtszeit, als Leute wie der einflussreiche Republikaner Robert Kagan schon vom Faschismus sprachen, hatte Paxton noch für Zurückhaltung plädiert. «Wir sollten vorsichtig sein mit der Verwendung dieses giftigsten Etiketts», warnte er.

Zum Umdenken bewegt habe ihn der Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021. «Trumps offene Ermutigung zu Gewalt, um eine Wahl zu kippen, überschreitet eine rote Linie. Das Etikett scheint jetzt nicht mehr nur akzeptabel, sondern notwendig», schrieb Paxton kurze Zeit darauf. Gegenüber dem «New York Times Magazine» bestätigte er die Diagnose. Kaum etwas so wirkmächtig wie Koryphäen, die sagen, sie hätten sich getäuscht.

Doch was bringen solche Diagnosen überhaupt? So manche der gegenwärtigen Analysen sind kaum mehr als ein Abarbeiten von Checklisten, ein eher hilfloses Faschismusbingo: Rassismus? Bingo! Führerkult? Bingo! Waffengewalt? Bingo! Wer ein Merkmal auf die heutigen Begebenheiten anwenden will, stösst in den Auflistungen sicher auf die passende Kategorie, frei nach dem Motto: Wer sucht, der findet. Und sind acht von zehn Punkten erreicht, ist demnach jemand ein Faschist. Und dann?

Faschismus wird mitunter zur blossen Rhetorik, ein Urteil, das einen schaudernd, aber auch ratlos zurücklässt. Oder, wie es der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze kürzlich in einem Interview ausdrückte: Der Begriff sei verführerisch, vermittle eine Art Vertrautheit, suggeriere gar, dass ein Sieg möglich sei, weil man den Faschismus schon mal besiegt habe, und lenke – mit Blick auf die USA – von der «real existierenden und dynamischen Kontinuität des Konservatismus, Nationalismus und Rassismus» ab. Mit dem historischen Faschismus, so Tooze, habe diese Debatte wenig zu tun.

Natürlich lassen sich Analogien zu damals finden: Inflation, Rechtsextremismus, Backlashes gegen progressive Bewegungen, autoritäre Führer:innenfiguren, menschenfeindliche Rhetorik. Doch der historische Faschismus entstand in Zeiten einer hochgradig mobilisierten, vom Ersten Weltkrieg traumatisierten Zivilgesellschaft – von der Russischen Revolution herausgefordert, einem grassierenden Antikommunismus gegenübergestellt, zwischen traditioneller Agrarordnung und globalem Wettbewerbsdruck, von Massenarbeitslosigkeit und einer Weltwirtschaftskrise gebeutelt. Die heutigen Gesellschaften dagegen sind fragmentierter und entpolitisierter, ein revolutionärer Gegenentwurf von links fehlt. Wenig von dem, was damals war, ist heute gegeben.


Faschismus war zunächst die Eigenbezeichnung einer Bewegung, die sich in den 1920er Jahren in Italien unter dem ehemaligen Primarschullehrer Benito Mussolini zur führenden politischen Macht entwickelte. Mit Mussolinis Kampfbünden («fasces», Rutenbündel, waren deren Wahrzeichen) assoziiert, fand der Begriff rasch breite Anwendung – häufig ohne präzisen Vergleich mit dem italienischen Original. Als faschistisch galten verschiedene ultranationalistische, nach dem Führerprinzip organisierte, antiliberale und antimarxistische Bewegungen oder Herrschaftssysteme: die deutsche NSDAP, die kroatische Ustascha ebenso wie die Schweizer Nationale Front.

Bereits die damaligen Gegner:innen konnten sich nicht einigen, was der Faschismus darüber hinaus sei. Der ungarisch-österreichische Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi deutete ihn als «Ausfluss eines Kapitalismus in der Krise», als Konsequenz des Untergangs der liberalen Marktwirtschaft. Die Kommunistische Internationale verstand den Faschismus Anfang der dreissiger Jahre wiederum als «terroristisches Instrument des Finanzkapitals» und formte ihn zu einem politischen Begriff, der weit über die faschistischen Diktaturen der damaligen Zeit hinaus zielte. Andere Bestimmungsversuche fokussierten auf die soziale Basis des Faschismus: «Nicht jeder erbitterte Kleinbürger könnte ein Hitler werden, aber ein Stückchen Hitler steckt in jedem von ihnen», schrieb etwa Leo Trotzki 1933 in seinem «Porträt des Nationalsozialismus». Den Faschismus verstand er vor allem als Bewegung, «über dem Rücken des Kleinbürgertums» zum «Rammbock gegen die Arbeiterklasse und die Einrichtungen der Demokratie» zusammengepresst.

Inzwischen ist das Forschungsfeld so gross und verästelt, dass ein Überblick schwerfällt. Grundlegendste Fragen sind bis heute umstritten: etwa die, ob es eine allgemeingültige Faschismusdefinition überhaupt geben kann. Oder ob der Faschismus als europäisches Konzept auf autoritäre Bewegungen und Regimes ausserhalb Europas anwendbar ist. «Es sieht nicht so aus, als ob die Suche nach einer alles umfassenden und erklärenden Theorie des Faschismus jemals erfolgreich sein wird», meinte der deutsche Historiker Wolfgang Wippermann vor einigen Jahren.

Viele – praktisch ausschliesslich Männer – haben es trotzdem versucht; und nicht wenige dieser Definitionen machten über die Jahrzehnte Karriere, man liest sie auch heute wieder allenthalben – momentan besonders, wenn von Trump die Rede ist. Etwa die These des einflussreichen Zeithistorikers Roger Griffin von 1991, wonach der Faschismus eine «ultranationalistische Palingenese», eine Wiedergeburt des Volkes, verspricht – erkennbar in Trumps Slogan «Make America Great Again». Oder die vierzehn «Urfaschismus»-Punkte des italienischen Philosophen Umberto Eco aus dem Jahr 1995, darunter ein Traditionenkult, die Ablehnung von Moderne oder Pluralismus. Der bei Linksliberalen und Medien derzeit äusserst beliebte Yale-Philosoph Jason Stanley wiederum präsentierte 2018 zehn Punkte, darunter Antiintellektualismus, den ständigen Ruf nach Recht und Ordnung, einen ungehemmten Einsatz von Propaganda oder die Verklärung einer mythischen Vergangenheit. Wieder so eine Checkliste.

Um ihn in die Gegenwart zu holen, haben andere den Begriff leicht verändert, sprechen von Prä-, Halb- oder Neofaschismus, vom «modernen» oder Kryptofaschismus. Der linke Historiker Enzo Traverso etwa verwendet «Postfaschismus»: Entgegen faschistischen Vorbildern handle ein Trump isolationistisch, individualistisch – ein postfaschistischer Leader ohne Faschismus. Der Postfaschist, so Traverso, wolle keine kolonialen Reiche mehr aufbauen. Und statt ein ideologisches Arsenal brauche es heute nur noch eine gute Kommunikationsabteilung. Dennoch, schreibt Traverso, sei der Begriff «Faschismus» – in dieser abgewandelten Form – hilfreich: um neue Erfahrungen, die jedoch über Kontinuitäten mit der Vergangenheit verbunden seien, zu erfassen.


Wie bewegen sich Faschismusexpert:innen durch das Dickicht an Definitionsversuchen und Analogien? Wie beziehen sie sich auf die verästelte und lange Begriffsgeschichte? Anruf bei Ilja Budraitskis, der den Begriff als Analysekategorie für das Heute nutzt. Der Theoretiker musste nach Beginn der russischen Vollinvasion in der Ukraine Moskau verlassen und hat inzwischen an der Berkeley-Universität in Kalifornien eine neue akademische Heimat gefunden. «Auch wenn wir in einer sehr anderen Zeit leben als vor hundert Jahren, können wir erkennen, dass der Faschismus in einer neuen Form auftritt», sagt er eines Abends Mitte November. Er knüpft an die linken Deutungen des Begriffs an: Statt eine historische Epoche oder eine bestimmte Ideologie ist der Faschismus aus seiner Sicht ein transhistorisches Phänomen, dessen Wurzeln in der Natur der kapitalistischen Marktgesellschaft liegen.

Die Gegenwart beschreibt Budraitskis als «faschistischen Moment», mit je nach Land unterschiedlichen Ausprägungen, als Tendenz aber überall sichtbar, ob in den USA, in Westeuropa oder in Putins Russland (siehe WOZ Nr. 15/22). «Vergleicht man Trumps Rhetorik mit aktueller russischer Propaganda, findet man die gleichen Vorstellungen und Erklärungsweisen», sagt Budraitskis. Faschismus als Beschreibung einer Zeit, in der Entwicklungen in vielen Ländern in Richtung Abbau liberaler Demokratie weisen. Faschismus auch als wandelbarer Prozess – das unterscheidet Budraitskis vielleicht am meisten von den Checklistenhistorikern.

Budraitskis spricht weniger von Analogien als von einer «Faschisierung von Staaten». In Bezug auf Russland macht er dabei drei Wendepunkte aus: Der erste sei Putins Rückkehr auf den Präsidentensessel 2012 gewesen, einhergehend mit einer starken Unterdrückung der Opposition. «Damals begannen die russischen Eliten und Putin persönlich, innerhalb einer totalen Ideologie zu denken, weil sie die Proteste im Landesinneren als Verschwörung des Westens gegen Russland begriffen», so Budraitskis. Auch die Annexion der Krim sowie die militärische Einmischung in der Ukraine 2014 hätten eine Faschisierung des Staates bedeutet – «die Hinwendung zur territorialen Expansion als wichtiges Werkzeug, um das Land selbst zu verändern». Schliesslich die Vollinvasion im Februar 2022.

Auch Federico Finchelstein betont das Prozesshafte des Faschismus. Der argentinische Historiker lebt derzeit in Manhattan, er hat zahlreiche Bücher zum Thema verfasst, darunter kürzlich das vielbeachtete «The Wannabe Fascists». «Möchtegernfaschisten» nennt Finchelstein Leute wie Trump. «Er ist kein Faschist, aber er ist auch sicher kein Populist», sagt er am Telefon. Unvollendet, in einem Dazwischen, das soll der Begriff betonen.

Statt auf Analogien weist Finchelstein auf historische Kontinuitäten hin: «Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war der Faschismus keine Machtoption mehr.» Zwischen den beiden siegreichen Ideologien, Liberalismus und Kommunismus, hätten sich so manche nach einem dritten Weg umgesehen. «Der Autoritarismus zog sich weiter, diesmal als Populismus innerhalb von Demokratien», so Finchelstein. Die historischen Faschisten hätten noch die Demokratie gebraucht, um an die Macht zu kommen, und sie dann abgeschafft. Juan Domingo Perón wiederum, faschistischer Diktator Argentiniens, habe das Gegenteil gemacht: die Diktatur von innen zerstört, Wahlen ausgerufen und den Populismus begründet.

Die «vier Säulen des Faschismus» seien nach 1945 aufgegeben worden: Militarisierung und Gewalt, Lügen und Propaganda, Rassismus, Diktatur. Nun sehe es ganz danach aus, als würde man zu diesen Säulen zurückkehren: «Ist Trump ohne Gewalt und Militarisierung vorstellbar? Nein. Ist Trump ohne Lügen und Propaganda vorstellbar? Ohne Rassismus? Und seit dem 6. Januar 2021 ohne diktatorische Versuche? Nein.» Ein Möchtegernfaschist.

Fast wieder so eine Checkliste – doch Finchelstein wendet ein, entscheidend sei letztlich nicht, wie die Debatte um den Begriff ausgehe, sondern dass überall auf der Welt antidemokratische Tendenzen zu beobachten seien, die Grund zu grosser Sorge böten. «Sicher ist: Das sind nicht mehr nur Demagogen wie die Populisten der Vergangenheit. Sie gefährden die liberale Demokratie, Gleichheit, Pluralität. Ob Faschismus oder nicht – was wir derzeit erleben, ist nah genug dran.»


Mit dem Aussprechen der Faschismuswarnung, einer Erinnerung an einen Antifaschismus der Moral, ist es nicht getan, das hat die Kampagne von Kamala Harris gezeigt. Über die Hälfte der Wählenden waren bereit, einen – je nach Definition – libertären Autoritären, Möchtegernfaschisten, Faschisten zu wählen. Sowieso stellt sich die Frage, ob ein inflationär gebrauchter und entsprechend praktisch sinnentleerter Begriff konstruktiv im politischen Kampf eingesetzt werden kann, das hatte auch die Faschismuskoryphäe Paxton bezweifelt. Wie hohl und beliebig er zuweilen verwendet wird, konnte man bei Elon Musk beobachten, der jüngst die Mitglieder der australischen Regierung als «Faschisten» bezeichnete, weil diese eine Gesetzgebung zur Bekämpfung von Desinformation auf Social Media beschlossen hatte. Der Faschismusvorwurf als blosser Effekt – nützlich zur Verfolgung eigener politischer Ziele.

Der Faschismus lernt, ist wendig, kommt immer wieder anders daher. Auch deshalb ist es so schwer, ihn mit einfachen Definitionen zu packen oder mit Checklisten einzuhegen. Oft steckt hinter der Verwendung auch politische, analytische, allgemeine Hilflosigkeit. Die Sehnsucht nach maximaler Distanzierung, einer einfachen Benennung eines einfachen Bösen vielleicht, das nichts mit dem zu tun hat, was sich Tag für Tag vollzieht. «Nennst du jemanden einen Faschisten, heisst das, dass es für eine solche Person oder politische Kraft keinen Platz in der konventionellen Politik gibt», hatte es Budraitskis ausdrückt. Dann hat der Begriff vor allem eine politische und moralische Funktion. Vielleicht verbirgt sich hinter seiner Verwendung auch der Wunsch nach Aufmerksamkeit. Schliesslich lassen sich Warnungen vor dem Faschismus medial gut verkaufen.

Umso entscheidender ist es, faschistische Tendenzen und Phänomene nicht aus den Augen zu verlieren: das Zusammenstehen der europäischen Regierungen gegen Migrant:innen aus den Ländern des Südens, das gewaltvolle Grenzregime. Die Übernahme faschistischer Rhetorik durch sich laufend radikalisierende Konservative in ganz Europa. Viktor Orbáns Träumereien von einem «Grossungarn». Elon Musks libertär-autoritäre Allmachtsfantasien. Das Z-Symbol Russlands, ganz in der Tradition faschistischer Bewegungen als Zeichen für Führer, Volk, Gewalt und Macht.

Vielleicht, und auch das droht je nach Faschismus-Checkliste in der Debatte unterzugehen, ist die Frage denn auch viel eher, in was für einer Gesellschaft wir leben, die diese Tendenzen, Bewegungen, Auswüchse mitträgt. Der Clou liegt hier weniger in der Benennung als in der Ursachenforschung – das gilt für die Geschichte genauso wie für die Gegenwart. Seit Jahrzehnten füllen sich die Bibliotheken mit Literatur zu den Fragen, warum sich Menschen dem Faschismus zuwandten, warum autoritäres Gedankengut nach wie vor präsent ist. «Hunderte Millionen Menschen benutzen elektrischen Strom, ohne aufzuhören, an die magische Kraft von Gesten und Beschwörungen zu glauben», hatte Trotzki in seinem «Porträt des Nationalsozialismus» geschrieben.

Eine weitere Frage ist denn auch, und das ist ebenfalls wieder abhängig von der Perspektive, welche Form des Widerstands eigentlich aus einer Faschismusdiagnose erwächst: Definiert man Faschismus als extreme Ausprägung einer bestimmten Politik, kann man sich gegen politische Ränder wenden – das ist das, was Liberale gern tun, womit sie aber meistens nur die Linke meinen. Definiert man Faschismus als «Ausfluss eines Kapitalismus in der Krise», wie es Karl Polanyi tat, oder als Folge dreier Krisen – des neoliberalen Wirtschaftssystems, der liberalen Demokratie als politisches Projekt und einer ideologischen Krise –, wie Budraitskis sagte, dann muss man auch über diese Krisen sprechen. Wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, sollte auch vom Faschismus schweigen, schrieb der Philosoph Max Horkheimer schon Ende der dreissiger Jahre.

«Eines der grossen Probleme heute ist, dass es gar keine Vorstellung von der Zukunft gibt», sagt Budraitskis am Ende unseres Gesprächs. «Bloss die Norm zu verteidigen, ist nicht besonders inspirierend und auch keine Idee, die die Leute gegen den Faschismus vereinen kann.» Was bleibt, ist die Suche nach Antworten. Und die Suche nach Alternativen, so utopisch sie auch sein mögen.