Rechter Vormarsch: Fragen gegen die Ohnmacht

Nr. 46 –

In Momenten der Gefahr kneift man am besten die Augen zusammen, um schärfer zu sehen. Man sollte Bedrohungen nie unterschätzen, sie auch nicht überschätzen, aber immer sollte man versuchen, darin angelegte Widersprüche zu erkennen. Denn sie sind der Angriffspunkt oder wenigstens die Hintertür, um zu entkommen.

Viele in den Wohlstandszonen, ob sie bei ihrer Arbeit nun privilegierter sind oder prekarisierter, werden die gegenwärtigen politischen Umbrüche als grosse Gefahr wahrnehmen, als einmalige vielleicht sogar in der eigenen Biografie. Im Osten wie im Westen und auch in den europäischen Staaten rund um die Schweiz sind autoritär-nationalistische Kräfte an die Macht gekommen oder greifen danach. Dass sich in Deutschland linke und bürgerliche Politiker:innen allenfalls gerade noch darauf verständigen können, mit einer Reform die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichtes abzusichern, bevor sie Neuwahlen ausrufen – es zeigt exemplarisch, was auf dem Spiel steht: die Menschenrechte, die demokratischen Prinzipien, die soziale Absicherung. Letztlich der Elementarsatz, dass alle Menschen gleich sind an Rechten und Würde.

Zwischen den autoritären Kräften weltweit lassen sich manche Parallelen ziehen. Doch statt vorschnell «Faschismus» zu rufen, sollte man sie genau beschreiben. Schliesslich wiederholt sich die Geschichte nicht, sie reimt sich nur, soll Mark Twain angeblich gesagt haben. Was Wladimir Putin und Donald Trump verbindet, ist die Sehnsucht nach der Wiederherstellung einer Vergangenheit, die es so nie gegeben hat. Seinen Krieg um die Ukraine führt Putin mit Landkarten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in Trumps Gaga-Slogan «Make America Great Again» klingt der Wachstumsglaube nach dem Zweiten Weltkrieg an. Was beide ignorieren, ist die fossile Erbschaft des letzten Jahrhunderts, sie setzen diese gar fort. Die Sehnsucht nach der Vergangenheit dient zuerst der Verdrängung der Klimakatastrophe in der Gegenwart.

Und dann? Ist das geheimdienstlich-mafiös geprägte Putin-Regime mit seiner repressiven Allmacht tatsächlich dasselbe wie das Project 2025 des Egomanen Trump und seines Techdystopen Elon Musk? Wollen die nicht den Staat auflösen und zerstören, auch damit Musk die Weltraumfahrt vollends privatisieren kann? Eroberung des Alls, auch so ein Bubentraum des 20. Jahrhunderts. Und sind sich Musk und Trump überhaupt einig? Tobt nicht gerade innerhalb der Rechten ein fürchterlicher Kampf, bei dem der seit den siebziger Jahren wirkmächtige Neoliberalismus durch einen wirtschaftlichen Autoritarismus und Protektionismus überformt wird? Die Bruchlinien zwischen den Kapitalfraktionen, etwa zwischen der Binnen- und der Exportwirtschaft, dürften sich früher oder später überall zeigen, in der Schweiz eher früher in der Europadiskussion.

Dass die Rechtsbewegung dennoch einheitlich erscheint, hat seinen Grund im medial forcierten Kulturkampf. Die ganze Wehklage über Wokeness, «Genderismus» und Political Correctness wirkt wie Gips, der überall in die Risse und Fugen gespritzt wird. Er überdeckt die Widersprüche in den und zwischen den rechten Parteien, etwa dass deren Wirtschaftspolitik kaum ihren Wähler:innen dient. Der Kulturkampf stilisiert eine unter dem Genderstern versammelte Linke zum alleinigen Feind empor.

Bei aller Ohnmacht dieser Tage heisst das für links denkende und fühlende Menschen, die Nerven zu behalten. Nichts provoziert die Widersprüche der Rechten mehr als simple Ansagen wie: Migration ist eine wirtschaftlich notwendige Tatsache und eine emanzipatorische Kraft – sie wird noch zunehmen. Einzig soziale Gerechtigkeit und Investitionen in die Infrastruktur helfen gegen die Prekarisierung breiter Bevölkerungsteile – Sparprogramme und Schuldenbremsen fördern sie. Und sowieso bleibt die Bekämpfung der Klimakrise die grösste Herausforderung – dagegen helfen auch Elon Musks E-Autos wenig.

Ob das genügt? Es hilft zumindest, einen klaren Kopf zu behalten und wach zu bleiben für alles, was noch zu kommen droht.