Serie: Der diskrete Horror der Konzernkultur
Work-Life-Balance, aber als totalitäre Fantasie: zum Finale der zweiten Staffel der dystopischen Büroserie «Severance».

Einer, der es hat kommen sehen, war der Designer George Nelson. Als die US-Möbelfirma Herman Miller ihr Action Office II lanciert, ein neuartiges System für modulare Büroarbeitsplätze, schickt Nelson einen Brief an die Konzernspitze. Er, der an der Entwicklung des Vorläufers beteiligt war, warnt darin vor den «entmenschlichenden» Folgen des Modells von Robert Propst. Dessen Action Office II, schreibt Nelson im Jahr 1970, werde dazu führen, dass Firmen künftig einfach «möglichst viele Körper» zusammenpferchen würden: kein Platz mehr für Individuen, nur noch für «Konzernzombies».
Das klang vielleicht etwas apokalyptisch. Aber mit seiner Prognose lag Nelson richtig, wie man im Buch «Cubed. A Secret History of the Workplace» (2014) von Nikil Saval nachlesen kann. Pervertiert zu wabenförmigen Parzellen in Grossraumbüros, sei Propsts modulares System später zum «berüchtigtsten Symbol für Amerikas Bürowelt» geworden. Der Büroalltag in diesen Cubicles avancierte dann auch zum kulturellen Topos, oft überzeichnet in zahllosen Variationen, vom satirischen Cartoon «Dilbert» bis zu «The Matrix».
Wäre es nicht ideal?
In der Serie «Severance» steht sie nun etwas verloren im leeren Raum, die Büroinsel, um die sich hier alles dreht. Und die vier Angestellten, die in diesen stereotypen Cubicles samt verstellbaren Trennwänden ihren Job am Desktop verrichten: eine neuartige Form von Konzernzombies. Zwar sind sie sehr wohl bei Bewusstsein, aber eben nur, was ihren Alltag in den sterilen Räumen der Firma Lumon Industries angeht. Seit einem freiwilligen biotechnologischen Eingriff ist ihr Bewusstsein im Büro komplett von dem ihres Privatlebens entkoppelt. Mit der Folge, dass keines von ihren zwei Ichs jeweils weiss, wer das andere ist und was es so treibt: Der «Innie» weiss nicht, was sein «Outie» draussen für ein Leben führt, und der «Outie» hat umgekehrt keine Ahnung, was sein «Innie» bei Lumon den ganzen Tag arbeitet. Immerhin haben sie von der Firma so niedliche Kosewörter für ihre gespaltene Persönlichkeit bekommen.
In der Serie von Dan Erickson und Ben Stiller ist das oft noch verwickelter, als es hier klingt. Zugleich aber leuchtet die zentrale Prämisse von «Severance» unmittelbar ein, weil sie die Erfüllung einer neoliberalen Optimierungsfloskel verspricht: die perfekte Work-Life-Balance. Keinerlei private Sorgen, die dir bei der Arbeit in die Quere kommen, und am Abend auch keinerlei Ballast, den du aus dem Büro mit nach Hause trägst. Wäre das nicht ideal, wenn sich diese beiden sozialen Sphären so strikt trennen liessen? Fragt sich halt, für wen genau. Für jemanden wie Mark (Adam Scott), der bei seinem Job nicht auch noch von der Trauer um seine Frau geschüttelt wird, weil er im Büro schlicht nichts davon weiss? Oder doch vor allem für den Konzern, weil solche Teilzeitzombies vielleicht willfähriger sind ohne einen Aussenblick, von dem aus sie ihre Arbeitssituation reflektieren könnten?
Sie ist unheimlich im eigentlichen Sinn, die Bürowelt von «Severance». Vom Labyrinth aus ununterscheidbaren Korridoren bis zu den Gummibällen und anderen bescheuerten Teamritualen im Büro: alles fast zu vertraut hier, und meist hell ausgeleuchtet. Schummrig oder gespenstisch ist es draussen, wo es oft dunkel ist oder gerade dämmert, weil die Figuren eben nur nach Feierabend und am frühen Morgen natürliches Licht sehen. Und drinnen verdichtete sich «Severance» in der ersten Staffel zu einer absolut durchgestylten, aber eben auch ziemlich smarten – und toll gespielten – Satire über die Arbeitswelt in der spätkapitalistischen Informationsgesellschaft.
Das fängt schon in der absurd entleerten Sprache an, die bei Lumon kursiert. Als Mark der neuen Mitarbeiterin in der ersten Folge erklären soll, was sie an ihrem Computer zu tun hat, klingt das so: «Just stick to the flowchart and escalate properly depending on dialectics.» Das wird auch nicht sinnhaltiger, wenn man es auf Deutsch zu übersetzen versucht: «Halte dich einfach ans Flussdiagramm und eskaliere je nach Dialektik.»
Macrodata Refinement, so heisst diese vierköpfige Abteilung bei Lumon, bei der Mark gleich zu Beginn als Teamchef nachrückt, weil der Vorgänger abgängig ist. Was das für angeblich enorm wichtige Makrodaten sind, die hier verfeinert werden, kann niemand sagen. Am Arbeitsplatz selbst die totale Infantilisierung: Gamification am Bildschirm, wo aus einer Menge von wabernden Ziffern einfach die richtigen zusammen ins richtige Kästchen versorgt werden müssen. Und als Prämie, wenn das Soll erreicht wurde: Waffelparty!
Mit eigener Mythologie
Die erste Staffel gipfelte dann doch in einer kleinen Revolte des Macrodata-Teams, aber einen Arbeitskampf mochte man das nicht gleich nennen. Und jetzt, in der zweiten Staffel, in der es am 21. März zum grossen Finale kommt: «What the fuck is happening?» Gute Frage. Ausgerufen wird sie in Folge vier, wo das Team zwecks Outdoor-Retraite in eine winterliche Wildnis katapultiert wird. Man hätte die Frage aber auch schon in der Folge davor stellen können. Da stossen Mark und seine Kollegin Helly (Britt Lower) im labyrinthischen Lumon-Komplex auf einen winzigen Korridor, und nachdem sie auf allen vieren bis ans Ende gekrochen sind, hören sie es meckern: Da weiden Zwergziegen auf einem grünen Hügel in einer Art Lagerhalle, mittendrin ein Schreibtisch und in der Ecke ein Snackautomat.
Diese Zicklein, so zeigt sich im Finale, haben zwar durchaus eine erzählerische Funktion in den rituellen Abläufen bei Lumon. Doch die Szene zeigt auch ein latentes Problem von «Severance»: Die Einfälle sollen bitte so extravagant sein, dass es nicht so wichtig ist, wie stringent das Ganze wirklich ist. Oder die Sache mit den Makrodaten: Ist sie in der ersten Staffel noch eine bestechende Metapher für Bullshitjobs (keine Ahnung, was diese Arbeit genau soll, aber dafür kommt sie dir vor wie ein Computerspiel im Retrolook), wird jetzt doch noch erklärt, was es mit diesen wabernden Ziffern auf sich hat.
Ohnehin sind es in der zweiten Staffel nicht mehr so sehr die Absurditäten der Arbeitswelt, die im Zentrum stehen, sondern es geht um: die Liebe, wieder mal. Zum Beispiel: Wen liebst du wirklich, wenn dein «Outie» seine Frau aus den Fängen von Lumon befreien will, aber dein «Innie» im Büro eine andere liebt? Oder: Geht die Frau von deinem «Outie» fremd, wenn sie auf Besuch bei Lumon deinen «Innie» küsst, der sie ja nicht mal kennt? Also mehr zwischenmenschliche Verwicklungen, weniger dystopische Unternehmenskultur.
Diese Verschiebung des Dramas ins Private war vielleicht absehbar, aber der Vision eines entmenschlichten Konzerns, die «Severance» entwirft, tut das noch keinen Abbruch. Lumon funktioniert letztlich wie ein dynastischer Kult, mit einer eigenen Mythologie rund um den Unternehmensgründer namens Kier Eagan. Die Firma fabriziert dazu auch eine ganze Ikonografie mit Gemälden, die das Personal auf das Erbe des Gründervaters einschwören sollen. Sie ist natürlich lachhaft schlecht, diese Konzernkunst, aber man sollte sie deswegen nicht unterschätzen. Denn sie ist genauso unzweifelhaft auf einen Führerkult ausgerichtet, wie auch die Abteilung namens Wellness nur auf eine Disziplinierung des Personals angelegt ist. Das Versprechen von der perfekten Work-Life-Balance: eine totalitäre Fantasie.
Wie sagt Patricia Arquette als grimmige Vorgesetzte einmal? Die Hölle sei nur das Produkt einer morbiden menschlichen Fantasie. Die schlechte Nachricht aber sei: «Was immer Menschen sich vorstellen können, das können sie in der Regel auch erschaffen.»
«Severance». Idee: Dan Erickson. Zwei Staffeln. USA 2022–2025. Apple TV plus.