Schwarz-rote Koalition: Alternativlos für Deutschland
Die im Koalitionsvertrag zwischen Union und Sozialdemokratie festgehaltenen Vorhaben sind ein Konjunkturprogramm für rechts.
«Für das, was ihr wollt, müsst ihr nicht die AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU.» So brachte im Wahlkampf die heutige Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) erfrischend ehrlich auf den Punkt, was Kern des wenig später im Bundestag aufgeführten Brandmauer-Schmierentheaters sein sollte: Die sich selbst gern so bezeichnenden «demokratischen Parteien der Mitte» ächten die extreme Rechte zwar noch formal (und wer ausschert und kurz nicht mitächtet, wie Friedrich Merz Ende Januar, wird dafür gescholten), doch nicht wegen der Inhalte. Denn von denen haben die «demokratischen Parteien der Mitte» vieles längst in ihre eigenen Programme und ihre eigene Sprache übernommen.
Das gilt auch für die Sozialdemokratie. Deren Fraktionsführer, Rolf Mützenich, hatte noch im Januar Merz erschüttert zugerufen, er habe mit seinem «Ausländer raus»-Antrag das «Tor zu Hölle geöffnet». Nun, wenige Wochen später, sind wesentliche Inhalte dieses Antrags Teil der Koalitionsvereinbarung von Union und SPD geworden. Mützenich meinte mit der Hölle nämlich nicht die weitere Entrechtung von Migrant:innen – er meinte, so etwas mit Stimmen der AfD zu beschliessen, statt es hübsch «unter Demokrat:innen» zu regeln.
Jetzt haben sie geregelt, die Demokrat:innen. 144 Seiten Textbrei mit dem Titel «Verantwortung für Deutschland» ist das Ergebnis. Um einen Vertrag handelt es sich bei dem sogenannten Koalitionsvertrag keineswegs, sondern um eine Zusammenstellung von Absichtserklärungen, die nicht bindend sind, aber als Wegweiser verstanden werden können. Und das am 9. April von Union und SPD in Berlin vorgestellte Papier weist, um Mützenich erneut zu zitieren, auch wenn er es ganz anders meinte, in Richtung Hölle, vor allem für jene, die weit unten in der Gesellschaft stehen und an deren Rechten, Zukunftschancen und Menschenwürde schon die vorherige Regierung ständig herumgeschnitten hatte: Migrant:innen, Bürgergeldbeziehende und junge Menschen.
Zwar stehen einige Passagen, die während der Koalitionsverhandlungen kursierten, nicht im «Vertrag», etwa zur Möglichkeit des Entzugs der deutschen Staatsbürger:innenschaft. Nichtsdestoweniger sind die angekündigten Massnahmen gerade im Bereich der Migration scharf. Vorgesehen ist eine weitere Abschiebeoffensive, ausdrücklich auch nach Afghanistan und Syrien. Die Zahl der «sicheren Herkunftsländer» soll ausgeweitet und der Rechtsschutz für Asylsuchende, also ihre Möglichkeiten, gegen Asylentscheidungen vorzugehen, eingeschränkt werden.
Die beschleunigte Einbürgerung nach drei Jahren, eine der wenigen Verbesserungen, die die vorherige Regierung umgesetzt hatte, wird wieder abgeschafft. Ebenso das deutsche Lieferkettengesetz, das Menschenrechte innerhalb der Lieferkette schützen soll, und das Bürgergeld. Die künftige Regierung kündigt in ihrem Papier an, zum alten Hartz-System zurückzukehren (das Ganze soll dann «Grundsicherung für Arbeitssuchende» heissen). Es sollen – zunächst – ein Wehrdienst nach schwedischem Modell (freiwillig) eingeführt und Überwachungsbefugnisse für Sicherheitsbehörden ausgeweitet werden. Die Klimakatastrophe ist ein Problem unter «ferner liefen».
Um auch Julia Klöckner ein zweites Mal zu zitieren: «Für das, was ihr wollt, müsst ihr nicht die AfD wählen.» Das ist wahr: Union und SPD haben viele AfD-Forderungen erfüllt. Andererseits ist ja der Witz an der Sache: dass Wähler:innen der AfD seit Jahren erleben, dass Druck von rechts auch die anderen Parteien immer rechter macht, motiviert sie (und weitere), die AfD erst recht zu wählen. Denn die hat ja geliefert, und sie soll in den Augen ihrer Anhänger:innen noch viel mehr liefern. Die Versprechen der künftigen Koalition sind daher auch ein Konjunkturprogramm für die extreme Rechte. Und weil sich das schon ankündigte, hat die AfD just am Tag der Vorstellung des «Koalitionsvertrags» in Umfragen erstmals die Union überholt – als stärkste Kraft.