Durch den Monat mit Joe Bürli (Teil 4): Wie geht es Ihnen drei Wochen nach der Schlüsselübergabe?
In welche Richtung sich der langjährige Kioskbetreiber Joe Bürli neu orientieren will. Und was sich sein Nachfolger Azim Khaleghi vom Sprung über den Röstigraben erhofft.

WOZ: Joe Bürli, wie gehts, so ohne Kiosk?
Joe Bürli: Der Druck ist spürbar gesunken. Ganz entspannt bin ich aber noch nicht. Ein paar Sachen müssen noch erledigt werden.
WOZ: Wir sind hier auf der Josefwiese, unweit Ihres ehemaligen Ladens. Pflegen Sie weiter Kontakt zu Ihren langjährigen Kund:innen?
Bürli: Ich betreibe ein wenig kontrolliertes Wegtauchen. Nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil Loslassen eben auch bedeutet: So schön es war, nun ist Zeit für einen klaren Schnitt. Mit einigen habe ich noch in Ruhe einen Kaffee getrunken. Und allen anderen signalisiert, dass ich mich für eine Weile zurückziehe, um meinem Leben eine neue Richtung zu geben.
WOZ: Welche Richtung?
Bürli: Noch vor kurzem wollte ich mit meinem Partner Willy und den Hunden zusammen mit Geissen und Hühnern auf dem Land leben. Doch vielleicht kommt dieser Schritt zu früh. Als ehemaliger Tierpfleger habe ich das Leben mit Tieren bereits intensiv erlebt. Jetzt suche ich eine neue Herausforderung: In der Sterbebegleitung möchte ich Menschen in ihrer letzten Lebensphase zur Seite stehen – ein bewusster Schritt raus aus der Komfortzone, hinein in ein ganz neues Lernfeld.
WOZ: Wird man Sie doch mal im Kiosk antreffen?
Bürli: Ich halte mich zurück und unterstütze Azim nur, wenn es mich braucht. Auch ich hatte anfangs einen Mentor – doch bald kam der Moment, wo ich mir selber die Hörner abstossen wollte. Es soll ja auch neuer Wind in den Laden kommen. Azim ist jung und voller Ideen. Und da ich ihm einen gut funktionierenden Laden übergeben konnte und von der Kasse bis zu den Kühlelementen alles recht neu ist, kann er sich voll auf seine Kreativität konzentrieren.
WOZ: Wie läuft es eigentlich mit Ihrem Buch?
Bürli: Jetzt habe ich noch etwa dreissig Exemplare. Dass ich so viele Menschen mit meiner Lebensgeschichte berühren konnte, hat meine Erwartungen übertroffen. Für mich war das Schreiben auch ein Prozess der Versöhnung mit meiner Familiengeschichte. So etwa wurde ich mir bewusst, welches Rucksäckli meine Stiefmutter getragen hat – obwohl sie mir das Leben oft schwer machte. Ohne all diese Erfahrungen, die schönen wie die schmerzhaften, wäre ich nicht der Joe, der ich heute bin. Mit der Übergabe des Kiosks, dem Buch, diesem Auftritt in der WOZ und der Einladung ans Biografiefestival Ende Juni in Heiden hat das Ganze für mich einen runden Abschluss gefunden.
(Ein paar Schritte weiter, im Kiosk Quellenstrasse.)
WOZ: Azim Khaleghi, vor drei Wochen haben Sie den Quartierladen von Joe Bürli übernommen. Wie sind Sie gestartet?
Azim Khaleghi: Nicht schlecht. Aber ich habe viel Stress. Am meisten mit der Sprache.
WOZ: Wir unterhalten uns auf Französisch. Wie kommunizieren Sie mit den Kund:innen?
Khaleghi: In einer Mischung: Deutsch, Englisch, Französisch. Ich hoffe, dass mein Deutsch schnell Fortschritte macht. Ich bin ja auch erst drei Wochen in Zürich. Nach meiner Flucht aus Afghanistan vor zehn Jahren lebte ich bis vor kurzem in Fribourg.
WOZ: Wie kamen Sie in die Schweiz?
Khaleghi: Allein. Drei Monate war ich unterwegs: Über den Iran, die Türkei, Griechenland, Serbien, Ungarn und Österreich schaffte ich es in die Schweiz und landete im Aufnahmezentrum Vallorbe. Nach dem einjährigen Integrationskurs fand ich eine Lehrstelle als Elektriker und perfektionierte mein Französisch. Mit Deutsch fange ich praktisch bei null an.
WOZ: Neue Stadt, neue Sprache – und gleich einen ganzen Kiosk?
Khaleghi: Ich sage mir: «No risk, no fun.»
WOZ: Warum ausgerechnet in der Deutschschweiz?
Khaleghi: In Fribourg arbeitete ich ab 2020 als Elektriker. Irgendwann wollte ich mich selbstständig machen. Aber dafür bräuchte es auch noch eine mehrjährige Ausbildung zum Elektrotechniker. Das dauerte mir zu lange. Da kam mir die Idee, einen Kiosk zu übernehmen. Da ich sowieso in eine grössere Stadt wollte, klapperte ich zuerst Läden in Genf und Lausanne ab. Nachdem sich da nichts ergeben hatte, machte ich mich in Zürich auf die Suche. So bin ich auf diesen Laden gestossen.
WOZ: Und, gefällt es Ihnen in Zürich?
Khaleghi: Ich denke, dass es eine gute Stadt zum Leben ist. Fribourg ist zwar nicht so teuer, aber es ist mir zu klein. Ich brauche die Vitalität einer grösseren Stadt. Und mit diesem Laden hier kann ich etwas Eigenes aufbauen.
WOZ: Ganz allein?
Khaleghi: Ein Freund unterstützt mich ab und zu.
WOZ: Haben Sie bestimmte Ziele für Ihren Kiosk?
Khaleghi: Fürs Erste möchte ich nicht allzu viel verändern. Mit der Zeit werde ich versuchen, das Sortiment sinnvoll zu modifizieren. Und später vielleicht, wenn es das Budget zulassen sollte, ein kleines Café integrieren. Jedenfalls werde ich mein Bestes geben. Und sonst, falls es nicht aufgehen sollte, arbeite ich halt wieder als Elektriker.
Letzte Exemplare der vierten Auflage von Joe Bürlis Autobiografie «Der Bub hat nichts Italienisches an sich» sind weiterhin im Kiosk Quellenstrasse im Zürcher Kreis 5 erhältlich.
Azim Khaleghi (31) hat den Kiosk zu folgenden Zeiten geöffnet: Mo–Fr: 7–19 Uhr; Sa: 8–21 Uhr.