Joshua Clover (1962–2025): Katzen und Krawall

Nr. 19 –

Dem marxistischen US-Autor Joshua Clover verdanken wir interessante linke Denkanstösse – etwa über die Gründe für die Rückkehr von Riots in den Klassenkampf.

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Joshua Clover im Jahr 2015
Letztlich gehe es um die Frage, wie die Eigentumslosen ihr Überleben sichern: Joshua Clover, 2015. Foto: Joe Mabel

Er soll Katzen geliebt haben. Diese Leidenschaft teilte Joshua Clover mit einigen Grössen linker Theoriebildung wie Lenin oder Rosa Luxemburg, auch wenn sein Werk viel weniger einflussreich war. Am 26. April ist der Lyriker und Literaturprofessor an der University of California in Davis im Alter von 62 Jahren gestorben.

Clover war Autor zahlreicher Texte über Popkultur und Musik, die er teilweise unter dem Pseudonym Jane Dark publizierte. Ausserdem war er Kolumnist der Wochenzeitung «The Nation» und verfasste Gedichte sowie ein Opernlibretto. An seiner Universität fungierte er als Direktor des 2022 gegründeten Marxist Institute for Research.

Über die Grenzen der USA hinaus bekannt wurde Joshua Clover aber vor allem als Theoretiker des zeitgenössischen Krawalls. In seinem 2016 im Original und 2021 auf Deutsch erschienenen Buch «Riot. Strike. Riot: Die neue Ära der Aufstände» unternahm er den Versuch, die Klassenkämpfe der Gegenwart auch mit Blick auf die Zukunft zu erklären. Seine These: Für verschiedene Phasen des Kapitalismus sind verschiedene Formen des Aufbegehrens prägend.

In vor- und frühkapitalistischen Zeiten war es laut Clover die Brotrevolte: Da der Marktplatz entscheidend für den Zugang zu Gütern des täglichen Bedarfs war, hätten sich Unruhen oft von dort, in der Zirkulationssphäre der Waren, ausgebreitet und die Form von Plünderungen angenommen. Mit der Integration der Eigentumslosen als Lohnarbeiter:innen in die Fabriken habe sich der Schwerpunkt der Kämpfe in die Produktionssphäre verlagert, und der Streik habe die Brotrevolte abgelöst.

Krawalle höherer Ordnung

Mit dem Ende des Fordismus ab den siebziger Jahren, als Produktionsstätten über den Globus verstreut und in den frühindustrialisierten Ländern viele Lohnabhängige wieder aus den Fabriken vertrieben wurden, kehrten Aufstände zurück, die denen frühkapitalistischer Zeiten ähnelten: spontane Revolten, oft begleitet von Plünderungen – mit dem wesentlichen Unterschied, dass sie sich nun meist direkt gegen die Polizei richteten, die das wachsende Heer der (häufig rassifizierten) «Überflüssigen» – das Surplus-Proletariat, wie Clover es nennt – in Schach hielt. Dieser «Riot Prime», ein Krawall höherer Ordnung, entzünde sich immer wieder an Ereignissen von Polizeigewalt und spiele sich statt auf Marktplätzen an Verkehrsknotenpunkten ab oder drücke sich in Platzbesetzungen aus.

Clovers Theorie war originell – und sie passte zu vielen Protestereignissen der vergangenen Jahrzehnte: zu den Rodney-King-Riots in den USA 1992 etwa oder den Aufständen in französischen Banlieues 2005. Besonders im zurückliegenden Jahrzehnt häuften sich Aufstandsbewegungen, die ihn zu bestätigen schienen: vom Arabischen Frühling, als dessen Auslöser die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi in Tunesien nach brutaler Drangsalierung durch die Polizei gilt, über die Gilets-jaunes-Bewegung in Frankreich, die globalen Aufstände 2019 bis zu den Black-Lives-Matter-Protesten nach dem Polizeimord an George Floyd.

Dabei stimmte Clover nie in den Chor derer ein, die die wundersame Selbstauflösung des Proletariats behaupteten. Im Gegenteil: Im Krawall höherer Ordnung sah er Klassenkampf; bei Aufständen wie bei Streiks gehe es letztlich um die Frage, wie die Eigentumslosen ihr Überleben sicherten.

Was läuft heute falsch?

Vor allem die klare Periodisierung der Kampfformen provozierte Widerspruch. Hat der Riot den Streik tatsächlich abgelöst? Forschungen aus den Global Labor Studies haben gezeigt, dass im Zuge der Globalisierung die Zahl der Industriearbeiter:innen in anderen Teilen der Welt wuchs und sich mit ihnen auch die Zentren von Arbeitskämpfen dorthin verschoben. Dass die Trennung von Riot und Streik auch historisch schwer haltbar sei, versuchte die Historikerin Amanda Armstrong in einer solidarischen Kritik Clovers anhand vergessener Massenstreiks in Grossbritannien und den USA zu zeigen, bei denen beide Kampfformen Hand in Hand gingen.

Im Nachwort zur deutschen Ausgabe nahm Clover einige Einwände gegen seine Theorie auf und dachte sie anhand jüngerer Kämpfe weiter. Die Lust am Widerspruch war ohnehin seine bevorzugte Lern- und Erkenntnisform, wie sich den vielen liebevollen Social-Media-Abschiedsgrüssen ehemaliger Student:innen und Weggefährt:innen entnehmen lässt. Dazu passt auch folgende Episode: 2019 grub ein Journalist aus, dass Clover 2015 in einem Interview auf die Frage «Was läuft in der heutigen Gesellschaft falsch?» geantwortet hatte: «Leute denken, dass Cops reformiert werden müssten. Sie müssen getötet werden.» Eine Petition forderte daraufhin seine Absetzung als Professor, zu der es jedoch nicht kam.

Auf die zahlreichen Medienanfragen reagierte Clover seinerzeit mit einem fast poetischen Zweizeiler: «Wenn der Tag gekommen ist, an dem sich Polizisten vor einem Literaturprofessor so fürchten müssen wie Schwarze Kinder vor der Polizei, wird es definitiv ein Statement von mir geben. Bis dahin habe ich nichts hinzuzufügen.» Erst Krawall, dann entspannt bleiben: Kein Wunder, dass Clover Katzenfan war.