Männermedizin: Neue Methoden für die Hoden

Nr. 19 –

Es gibt kaum Verhütungsmittel für Männer – lässt sich das ändern? Ein Augenschein an einer Fachtagung in Bern.

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Symbolbild: Spiegeleier in Form eines Penis mit Hoden
Heisse Wasserbäder, Silikonringe – oder vielleicht doch ein Hormongel: Ziel ist immer, die Spermienzahl zu reduzieren. Foto: kkgas, Stocksy

Bevor er seine Frage stellt, gibt sich der Mann mit dem langen grauen Bart als ehemaliger Hodenbader zu erkennen. In den achtziger Jahren hat die kleine Gruppe linksautonomer Männer ihre Hoden in warmes Wasser getaucht, um zu Verhütungszwecken die Spermienproduktion zu hemmen. Der Mann, der ein gemustertes Kleid trägt und barfuss geht, erkundigt sich nach einem Phänomen, das die Gruppe damals beschäftigte: Männer in wärmeren Ländern, die für längere Zeit im heissen Sand sitzen, mutmasslich zur Verhütung – ob das in der Forschung heute noch ein Thema sei? Die junge Ärztin aus Paris, an die sich die Frage richtet, hat von den Sandsitzern noch nie gehört.

Nur manchmal wird man daran erinnert, dass das hier doch keine ganz gewöhnliche Tagung ist. In einem Vorlesungssaal der Uni Bern finden sich an diesem Frühlingstag über hundert Leute ein und hören Fachpersonen zu, die mit unaufgeregtem Interesse über den Stand der Forschung und Praxis zu verschiedenen Verhütungsmethoden für Männer sprechen. Ärzt:innen berichten von wachsender Nachfrage und erwiesener Wirksamkeit, ein Geschlechterforscher trägt die magere, von skurrilen Anekdoten gespickte Forschungsgeschichte zu männlicher Verhütung zusammen. Wer weiss übrigens, was Andrologie ist? Es ist das Pendant zur Gynäkologie, die Medizin der männlichen Fruchtbarkeit.

Dass man es hier nicht mit einem breit etablierten Thema zu tun hat, zeigt sich auch da, wo es aktivistisch wird. Auf die Tische verteilt liegt ein Manifest, verfasst vom Arbeitskreis Zeugungsverhütung, der die Tagung organisiert hat; es fordert: «Neue Methoden für die Hoden». Die Mitglieder von Entrelac, einer in Frankreich gegründeten Genossenschaft, sammeln Geld für das Zulassungsverfahren für einen speziellen Silikonring, auf den hier viele hoffen.

Frankophone Angelegenheit

Auf den ersten Blick könnte dieser Ring auch ein Sexspielzeug sein. Doch im Gegensatz zu einem Penisring soll der Andro-Switch, wie das Gerät heisst, gerade keinen Druck auf den Penis ausüben, nach kurzem Tragen soll er gar in Vergessenheit geraten. Der Ring wird über Penis und Hodensack gestülpt, sodass die Hoden ins Körperinnere rutschen. Dort ist die Temperatur leicht höher, was dazu führt, dass die Produktion der Spermien zurückgeht. (Was übrigens auch der Grund ist, weshalb die Hoden ausserhalb des Körpers hängen.) Im Prinzip bestechend simpel, verlangt die Anwendung eine gewisse Konstanz: Der Ring muss täglich fünfzehn Stunden, ob schlafend oder wach, und während dreier Monate getragen werden. Dann ist der Mensch mit Spermien unfruchtbar. Das soll komplett revidierbar sein, wenn mit dem Tragen aufgehört wird.

Was man an diesem Tag in Bern auch bald lernt: Männliche Verhütung ist bisher eine vorwiegend frankophone Angelegenheit. Schon einige Tausend Männer, vorwiegend in Frankreich, sollen mit dem Andro-Switch verhüten (seit die französischen Behörden den Ring 2021 als Medizinprodukt verboten haben, wird er als Schmuck verkauft). Eine Studie dazu läuft in Paris, eine weitere in Genf. Die Ärztin Sara Arsever untersucht dort die Wirksamkeit an rund dreissig Probanden. Genüsslich erzählt sie, wie sie die jungen Männer auch ein bisschen bemuttere und regelmässig anrufe: «Kommen Sie doch wieder mal für ein Spermiogramm vorbei.» Mit einem solchen wird im Labor der Spermienanteil im Ejakulat gemessen. Weniger als eine Million Spermien pro Milliliter gilt gemeinhin als unfruchtbar.

Interessant ist, wie die Ärztin zur Studie kam. Am Zentrum für Familienplanung des Unispitals Genf, wo Arsever arbeitet, seien ab 2020 vermehrt Männer aufgetaucht, die sich über die Möglichkeiten für die eigene Verhütung hätten informieren wollen. Zu diesem Zeitpunkt hätten sie in diesem Bereich aber noch überhaupt keine Kompetenzen gehabt. Um auch etwas gegen den generellen Mangel an Wissen zu tun, startete Arsever die kleine Studie zum Andro-Switch.

Forschung eingestellt

Eigentlich ist der Silikonring bloss eine neue Anwendung einer alten Idee. «Temporäre männliche Sterilisation durch Hitze» nannte die Schweizer Ärztin Marthe Voegeli die Methode, die sie in den fünfziger Jahren in ihrem Spital in Indien entwickelt hatte: Männer baden ihre Hoden während dreier Wochen täglich 45 Minuten in 47 Grad warmem Wasser, dann sind sie für ein halbes Jahr unfruchtbar.

Es ist in der Geschichte der männlichen Verhütung eher die Regel als die Ausnahme, dass Ideen liegen bleiben oder vergessen gehen. Immer wieder hiess es, die Einführung einer hormonellen Pille für den Mann stehe kurz bevor – doch die Pharmaindustrie interessierte sich letztlich nie ernsthaft dafür. Bis 2007 forschte der deutsche Konzern Bayer in diesem Bereich; er verdient indes so viel Geld mit der Hormonpille für Frauen, dass er kein wirkliches Interesse an einem Konkurrenzprodukt hat. Seit die WHO 2011 ihre Unterstützung von Forschung zu männlichen Verhütungsmitteln komplett einstellte, kam diese praktisch zum Erliegen.

Vergessen ging auch eine Erfindung des bekannten Gynäkologen John Rock, der in den fünfziger Jahren die Antibabypille mitentwickelt hatte. Er interessierte sich ebenso für männliche Verhütung und kreierte eine wärmende Unterhose, die zeitweilig unfruchtbar machen sollte. Die Erfindung wurde als «rock strap» (Rock-Strapse) verlacht. Ähnlich erging es dem Hodenschalter, einer umkehrbaren Vasektomie auf Knopfdruck. Der Schalter wurde bis heute nur einer Person einoperiert: dem Erfinder selber.

Klein blieb auch jene Gruppe Männer in Zürich, die in den achtziger Jahren die von Marthe Voegeli entwickelte Methode aufnahmen – man nannte sie die Hodenbader. Sie bauten Stühle, in deren Sitzfläche ein Wasserbad mit Tauchsieder eingelassen war. In eigenen Labors erstellten sie Spermiogramme. Als kurz darauf die Aids-Epidemie ausbrach, waren erst mal Kondome angesagt, denn vor Krankheiten schützt auch engagiertes Hodenbaden nicht. Die Gruppe stellte ihre Aktivitäten mehrheitlich ein. Bis heute bleibt das eine wichtige Einschränkung neuer Methoden: Bei wechselnden Sexualpartnerinnen schützt nur das Kondom auch vor Viren und Bakterien.

«Total meditativ»

Einer der Hodenbader war Beat Schegg. «Wir wollten in diesem patriarchalen System als Männer Verantwortung übernehmen», erzählt er. «Natürlich standen wir auch unter Kritikdruck von unseren Genossinnen und Partnerinnen.» Für Schegg, der als Sexualpädagoge und Körpertherapeut arbeitet, ist das Hodenbaden bis heute eine ernst zu nehmende Methode. «45 Minuten am Tag über drei Wochen, dazu ein Buch lesen, das ist doch total meditativ. Und es steigert das Bewusstsein für den eigenen Körper.»

Schegg ist Aktivist geblieben, er hat auch die Tagung in Bern mitorganisiert. Wieso waren hormonelle Methoden eigentlich nur am Rand ein Thema? Er unterstütze es im Sinne der Wahlmöglichkeit, dass auch solche auf den Markt kämen. «Aber da geht es dann um die Problematik der Nebenwirkungen und auch um viel Geld. Wir wollten selber etwas machen und nicht von der Pharmaindustrie abhängig sein», sagt Schegg.

Hormonelle Methoden, die niederschwelliger in der Anwendung sind, haben vermutlich die besseren Chancen, dereinst breit zum Einsatz zu kommen. Ein in Australien entwickeltes Gel, mit dem Hormone über die Haut aufgenommen werden, ist die einzige solche Methode, die es in die Nähe einer Zulassung geschafft hat.

Doch man muss davon ausgehen, dass die sogenannten mechanischen Methoden wie das Hodenbaden, thermische Unterhosen oder der Silikonring, die sich direkt an den Geschlechtsteilen zu schaffen machen, auch an alte männliche Instinkte rühren – die Angst vor Kastration und Männlichkeitsverlust. Denn die männlichen Eier sind noch immer ein besonders sensibler Körperteil.