Prozess gegen Zürcher SVP: Der Fall ist klar
Diese Woche verhandelte das Bezirksgericht Uster eine Anzeige gegen die Zürcher SVP. Auf dem Prüfstand stand auch die Tauglichkeit der Antirassismusstrafnorm.

Rund fünfzig Leute stehen am Mittwochmorgen vor dem Bezirksgericht in Uster, auf einem Transparent steht: «Eritreer:innen sind Teil der Schweiz». Drinnen wird die Verhandlung in zwei Säle direkt übertragen; der «Blick» macht einen Liveticker. Patrick Walder, ehemaliger Interimspräsident der SVP des Kantons Zürich, habe gegen die Antirassismusstrafnorm verstossen, lautet die Anklage. Das Corpus Delicti hat die SVP mittlerweile von ihrer Website entfernt: eine Medienmitteilung von 2019, die sie veröffentlichte, nachdem ein Mann in Frankfurt am Main eine Mutter und ihr Kind vor einen Zug gestossen hatte. Der Täter mit eritreischen Wurzeln hatte seit 2006 in der Schweiz gelebt. Bei ihm wurde später paranoide Schizophrenie diagnostiziert, und er gilt damit als schuldunfähig.
Die SVP des Kantons Zürich versuchte, die verstörende Tat für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren, kritisierte die angeblich «lasche» Asylpolitik und äusserte sich derart stossend über Eritreer:innen, dass der Inhalt des Statements hier nicht wiedergegeben werden soll. Nur so viel: Die Formulierung war zweideutig in der Frage, ob sie sich «nur» auf gewalttätige oder auf alle Eritreer:innen beziehen soll. Man nennt das Dog Whistling: den bewussten Einsatz von Sprache, die je nach Publikum unterschiedlich verstanden wird. Diese Zweideutigkeit erschwert es der Justiz und der medialen Öffentlichkeit bisweilen, gegen solche Aussagen vorzugehen. Juristisch massgebend ist, wie eine unbefangene Person, ein:e Durchschnittsleser:in, die Aussage verstehen würde, wie auch der Richter während des Prozesses mehrmals betont.
Der Durchschnitt als Massstab? «Für mich war das klar rassistisch», sagt Semira Abebe vom Eritreischen Medienbund. Die 23-jährige Medizinische Praxisassistentin tritt im Prozess als Privatklägerin auf. Schon 2019 hat sie, gemeinsam mit dem Eritreischen Medienbund und der Gruppe Linke PoC, Strafanzeige eingereicht. «Ich habe mich nie so unerwünscht gefühlt in der Schweiz wie damals, als ich diese Medienmitteilung gelesen habe», sagt Abebe zu Beginn der Verhandlung. Dabei erlebe sie schon immer Rassismus. In der Berufsschule sei sie von ihrer Lehrerin etwa immer nur «Frau Eritrea» genannt und mehrmals blossgestellt worden, erzählt sie der WOZ am Vorabend des Prozesses.
Wer hat es erfunden?
Erschienen ist in Uster auch Patrick Walder, der damals als Parteipräsident die Medienmitteilung verantwortete, sich zum Zeitpunkt der Publikation aber gerade auf einem Campingplatz aufhielt, wie er in der Verhandlung sagt. Ob er die Mitteilung explizit gebilligt hat, kann er heute nicht mehr sagen – «dafür ist das alles zu lange her». Aber selbstverständlich habe sich der Text bloss auf gewalttätige Personen bezogen. Und: «Ich bin mir sicher, dass das für den Durchschnittsleser unmissverständlich war.»
Dass es so lange gedauert hat, bis der Fall jetzt vor Gericht verhandelt wird, liegt daran, dass sich die Staatsanwaltschaft nur wenig motiviert zeigte, dem Vorwurf nachzugehen. Zur Verhandlung in Uster schickt sie keine:n Vertreter:in. Auch deshalb sei sie so nervös, sagt Abebe: «Seit sechs Jahren warte ich jetzt schon auf diesen Prozess. Ich will, dass endlich etwas passiert, aber habe Angst, dass es in der Verhandlung so weitergeht und man gegen diesen Rassismus nicht ernsthaft vorgehen will.»
Von einer «ideologisch motivierten Verfolgung» spricht dagegen Domenik Ledergerber, aktueller Präsident der kantonalen Zürcher SVP, im Vorfeld des Prozesses. In einer Medienmitteilung ist die Rede davon, dass die Rechte damit «mundtot» gemacht werden solle. Wie alt diese Argumentation ist – und wo sie herkommt –, erklärte 2019 der Historiker Damir Skenderovic in einem Aufsatz. Lange bevor die Antirassismusstrafnorm 1994 schliesslich ins Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, organisierte demnach die rechtsextreme Dachorganisation Nationale Koordination den Widerstand dagegen. Später wehrte sich die Nationale Aktion vehement gegen das vermeintliche «Maulkorbgesetz». Als griffige Deutungsformel habe der von den «extremen Rechten lancierte Ausdruck ‹Maulkorbgesetz›» schon in den neunziger Jahren gedient, schrieb Skenderovic.
Leider nicht mundtot
Aus Maulkorb ist also «mundtot» geworden. Seit Jahrzehnten bemüht sich die SVP um eine Verschiebung des Sagbaren, des politischen Diskurses nach rechts. Enttarnt wird die SVP nicht mehr im Gerichtssaal. Enttarnt ist sie schon lange. Und die Antirassismusstrafnorm, so wichtig sie als Errungenschaft auch ist, wird auch in Zukunft nicht der relevante Massstab dafür sein, ob die SVP-Propaganda als rassistisch zu werten ist oder nicht. Dafür sind Gesetze zu träge und Gerichtssäle der falsche Ort. Das zeigt sich nur schon daran, dass der massgebliche Artikel im Wortlaut mit «Rasse» einen Begriff enthält, der sich aus Sicht des heutigen Diskurses auf gar nichts Reales bezieht.
Aber wer hört Semira Abebe zu, wenn sie nicht im Gerichtssaal sitzt? Wenn sie von ihren Rassismuserfahrungen erzählt, ihre Wahrnehmung der SVP-Kampagne schildert, sie als rassistisch bezeichnet? Inhaltlich kann der Richter dem wenig beifügen. Das Urteil vertagt er aus Zeitgründen auf nächste Woche.