Auf allen Kanälen: Koordinierte Lügen

Nr. 21 –

Angetrieben von russischen Millionen und extrem rechten Parteien: Tatsachenverdrehungen gegen die Euro-Einführung in Bulgarien.

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Hunderte Websites, Facebook-Gruppen mit Zehntausenden Mitgliedern, Youtube-Kanäle, Kampagnen auf Tiktok und Telegram: Bulgarien wird von einer systematischen Desinformationskampagne geflutet. Im Zentrum steht die für 2026 geplante Euro-Einführung, die rechtsextreme und russlandnahe Gruppierungen nach Kräften sabotieren wollen.

«Wir beobachten die koordinierte Onlineverbreitung von Desinformation. Gestreut werden Botschaften, die direkt aus russischen Quellen oder von lokalen Verschwörungsinfluencern kommen», erklärt Ralitsa Ficheva von Factcheck.bg. Dazu komme die Verbreitung durch traditionelle Medien, in denen «Aussenseiter-Ökonomen koordinierte Falscherzählungen wiederholen».

Instabile Lage

Besonders häufig wird behauptet, Brüssel könne nach der Währungsumstellung auf private Bankeinlagen und Pensionsfonds zugreifen. Oder es wird vor einem Verlust der monetären Souveränität Bulgariens gewarnt. «Dabei ignorieren Kritiker, dass der bulgarische Lew bereits jetzt über die Währungsbehörde an den Euro gekoppelt ist», sagt Factcheckerin Ficheva. Gestreut werde auch das Narrativ, Bulgarien könnte dem «griechischen Szenario» folgen, da die nach Brüssel gemeldeten Inflationsdaten «falsch» seien. Dem Land drohe deshalb eine Fremdverwaltung durch die Europäische Zentralbank.

Die gezielte Desinformation fällt auf fruchtbaren Boden: Bulgarien belegt im Media Literacy Index 2023 nur Platz 35 von 41 europäischen Ländern. Niedrig ist auch das Vertrauen in die bulgarischen Medien, das diese allerdings teils selbst verspielt haben: durch zu grosse Nähe zur Politik, mangelnde Transparenz und offene Einflussnahmen von Eigentümer:innen. Die instabile politische Situation – sieben parlamentarische Wahlen seit 2021 sowie Vorwürfe der Wahlmanipulation – tut ein Übriges.

Viele der Falschinfos werden auch von der Politik verbreitet. Die rechtsextreme Wasraschdane-Partei («Wiedergeburt») positioniert sich als lauteste Stimme gegen den Euro. Im März reichte sie mit zwei weiteren Rechtsparteien einen Antrag auf ein Referendum zur Beibehaltung des Lew ein – ein früherer Versuch war an rechtlichen Hürden gescheitert.

Einen neuen Höhepunkt erreichte die Kampagne im April: Die Wasraschdane-Europa-Abgeordnete Rada Lajkowa behauptete, dass ungenutzte Bürgerersparnisse von der EU-Kommission für europäische Aufrüstungsprojekte beschlagnahmt werden sollen. Diese Falschmeldung erreichte auf Facebook knapp zwei Millionen Menschen.

Laut Expert:innen hat die Kampagne ihren Ursprung vor allem in Russland. Gemäss Medienberichten investierte Moskau 2024 etwa 69 Millionen Euro in Propagandakanäle in Bulgarien und Rumänien. Ein von Wasraschdane geteilter Artikel über die angebliche EU-Konfiszierung der Ersparnisse erschien zeitgleich bei der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass. Ins Bild passt, dass die Partei im April einen Partnerschaftsvertrag mit Putins «Einiges Russland» unterzeichnet hat. Die Euro-Einführung bedeutet vor allem symbolisch eine verstärkte Integration in Europa – und die ist Moskau ein Dorn im Auge.

Viele Behauptungen bauen auf realen Ängsten auf, wie etwa die verbreitete Sorge über weitere Preisanstiege. Als Negativbeispiel muss oft Kroatien herhalten, wo der Euro 2023 eingeführt wurde. In einem von Wasraschdane geteilten Video lassen Kroatinnen und Kroaten ihrem Unmut über die Teuerung und die EU freien Lauf. Dabei ist Kroatiens Inflationsrate hauptsächlich auf interne Faktoren zurückzuführen, wie Fachleute betonen.

Verfassungswidriges Referendum

Dennoch: Die Kampagne zeigt Wirkung. Eine aktuelle Befragung ergab, dass etwa 34 Prozent in einem Referendum für den Beitritt zur Euro-Währungszone stimmen würden, 55 Prozent dagegen. Besonders skeptisch sind ältere und einkommensschwächere Gruppen.

Der Einführung des Euro dürfte trotzdem nicht mehr viel im Weg stehen. Als Präsident Rumen Radew im Mai 2025 auf die öffentlichen Zweifel mit einem Referendumsvorschlag reagierte, lehnte das Parlament dies als verfassungswidrig ab – mit Verweis auf EU-Vertragsverpflichtungen. Zudem verurteilten Regierungsminister:innen, die für einen raschen Euro-Beitritt eintreten, die Desinformation scharf und beharren darauf, den Fahrplan einzuhalten.