Autoritäre Propaganda: Moskaunähe als Grundausstattung
Das rechte Newsportal «Voice of Europe» wurde als Instrument russischer Desinformation enttarnt. Das Netzwerk dahinter zeigt – kurz vor der Europawahl – die Anfälligkeit der EU für Destabilisierung durch autoritäre Regimes.
Es war eine aufsehenerregende Nachricht kurz vor Ostern: Die tschechische Regierung gab bekannt, ihr Geheimdienst BIS habe die in Prag ansässige Nachrichtenwebsite «Voice of Europe» als Instrument russischer Propaganda enttarnt. Deren Inhalt sei «vollständig von Russland kontrolliert und finanziert» gewesen, so das Ergebnis der etwa einjährigen Untersuchung. Politische Akteur:innen seien für prorussische Statements bezahlt worden, um so die territoriale Integrität, Souveränität und Freiheit der Ukraine infrage zu stellen. Hunderttausende Euro sollen geflossen sein – bezahlt in bar oder überwiesen in Kryptowährungen.
Nach einem Bericht der tschechischen Zeitung «Deník N» sollen unter anderem Politiker:innen aus Deutschland, Frankreich, Polen, Belgien, Ungarn und den Niederlanden kontaktiert und teils auch finanziert worden sein. Die Bezahlung wurde seitens des Geheimdienstes freilich noch nicht bestätigt. Die tschechische Regierung hat die beiden Betreiber der inzwischen nicht mehr erreichbaren Plattform auf ihre Sanktionsliste gesetzt: den prorussischen ukrainischen Expolitiker, Oligarchen und Putin-Vertrauten Viktor Medwedtschuk als Financier und seine rechte Hand Artem Martschewski als inhaltlich Verantwortlichen und treibende Kraft beim Knüpfen von Kontakten in die europäische Politik.
Ursprung in den Niederlanden
Seitdem herrscht in den genannten Ländern grosse Aufregung. In Deutschland rückt kaum überraschend die AfD ins Blickfeld, die auch von «Deník N» genannt wird. Maximilian Krah, Spitzenkandidat für die EU-Wahlen Anfang Juni, reiste für ein Interview mit «Voice of Europe» extra nach Prag – nach eigenen Angaben unbezahlt. Auch die Nummer zwei der AfD-Liste, Petr Bystron, gab der Plattform Interviews, ebenso Filip Dewinter, die graue Eminenz des rechtsextremen belgischen Vlaams Belang, sowie der verschwörungsaffine niederländische Antiglobalist Thierry Baudet, Gründer der Partei Forum voor Democratie (FvD). Alle beteuern dieser Tage, nie Geld aus Moskau entgegengenommen zu haben.
Ihren Ursprung hatte die mit «VoE» abgekürzte Website in den Niederlanden. Sie war dort zwischen 2017 und 2019 als tendenziöses Nachrichtenportal mit deutlich populistischer Schlagseite gegen Zuwanderung und die EU aufgeschaltet. Die Investor:innen wollten daraus ursprünglich eine niederländische Version der US-amerikanischen rechtspopulistischen Newswebsite «Breitbart» machen, verkauften sie aber Ende 2019 nach Tschechien.
Zuvor hatte Geert Wilders, damals wie heute Chef der rechtspopulistischen Freiheitspartei (PVV), die Ende 2023 die Parlamentswahlen gewann, in einem Interview erklärt, täglich «Voice of Europe» zu lesen und daraus «viele Einsichten» zu gewinnen. Er nannte die Website ein «Gegengift zur Indoktrinierung durch Fake-Medien» und äusserte seine «grosse Bewunderung» für deren «wertvolle und einzigartige Arbeit».
Russlandfreunde bei der FPÖ
Wilders, der nach der Enthüllung von letzter Woche umgehend eine Parlamentsdebatte und detaillierte Aufklärung forderte, war in jener Zeit einer der Drahtzieher der rechtsextremen Zusammenarbeit in Europa. Die «Identität und Demokratie» genannte Fraktion im EU-Parlament deckt sich teils mit den Parteien, die nun im Ruf stehen, Agentinnen russischer Desinformation zu sein. Eine gewisse Nähe zu Russland gehört dort zur ideologischen Grundausstattung – neben der Ablehnung der EU, der Glorifizierung des völkischen Nationalstaats und dem Verteufeln von Zuwanderung. Wilders’ Partnerin beim Schmieden der extrem rechten Fraktion war Marine Le Pen. Deren Partei Front National, die heute Rassemblement National heisst, machte damals mit Millionenkrediten aus Moskau von sich reden.
Eine Putin-freundliche Haltung ist auch bei anderen Bündnispartner:innen wie etwa der österreichischen FPÖ oder der Lega Nord aus Italien bereits seit langem bekannt. In einer Ansprache vor rund einem Monat kündigte der FPÖ-Obmann Herbert Kickl an, als Bundeskanzler würde er sich für «eine Beendigung des Sanktionsregimes» gegen Russland einsetzen. In den Niederlanden wehrte sich Wilders’ PVV lange gegen Militärhilfe für die Ukraine, hat diesen Standpunkt im Zuge der Koalitionsverhandlungen Ende letztes Jahr aber aus strategischen Gründen aufgegeben.
Thierry Baudet erklärte sich 2022 in einer bizarren Videobotschaft gar zu einem Fan Putins, nannte diesen einen «Helden», der «gewinnen» und «unbedingt unterstützt werden» müsse. Baudets Forum voor Democratie entstand übrigens aus einer gleichnamigen EU-kritischen Initiative. 2016 erreichte diese per Referendum, dass die Niederlande die Ratifizierung des EU-Assoziationsvertrags mit der Ukraine aufschieben mussten. Im Vorfeld hatte Baudet enge Kontakte zu Wladimir Kornilow, Direktor eines Propagandainstituts, das vom staatlich kontrollierten russischen Energiekonzern Gazprom finanziert wird.
Michael Carpenter, im Pentagon damals als Vize-Staatssekretär für Russland und die Ukraine zuständig, sagte dem investigativen TV-Magazin «Zembla» später: «Wir verstanden damals nicht, dass dies der Anfang einer Bewegung war, die sich danach bei den US-Wahlen, dem Brexit-Votum und so vielen anderen politischen Prozessen wiederholen würde. Es war das erste Mal, dass wir deutlich sahen, wie Russland den Ausgang einer öffentlichen Wahl beeinflussen wollte.»
Auch China mischt mit
Die aktuellen Turbulenzen um «Voice of Europe» haben in den genannten Ländern zu geschockten Reaktionen geführt. Zum einen im Hinblick auf die EU-Wahlen im Juni, bei denen den besagten rechtsextremen Parteien weitere Gewinne prognostiziert werden, zum anderen, weil die Zukunft der Unterstützung für die ukrainischen Streitkräfte aus Brüssel immer stärker umstritten ist – und 2024 mit der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahl diesbezüglich ein Schlüsseljahr wird.
Zugleich fügt sich der Fall in ein politisches Klima und in eine Diskurslandschaft ein, deren starke Polarisierung solcherlei Einflussnahme begünstigt. Russland gilt vielen extrem rechten Parteien als Projektionsfläche, als Gegenentwurf zu den verhassten «Globalisten», als Bastion der traditionellen Familie gegen die Bedrohung durch eine vermeintliche «Genderideologie», als machtvoller Nationalstaat.
Die EU spielt in diesem Kontext eine ambivalente Rolle: Trotz ihrer neoliberalen Grundstruktur, trotz Austeritätsdiktaten oder menschenfeindlicher Exzesse ihrer Migrationsabwehr ist sie auch ein Hort demokratischer Standards und Errungenschaften. Und sie ist ein Machtblock, der für autoritäre Regimes zum attraktiven Zielobjekt für politische Einflussnahme wird. Das gilt bei weitem nicht nur für Russland, wie etwa der «Katar-Gate»-Korruptionsskandal im EU-Parlament Ende 2022 belegt (siehe WOZ Nr. 50/22).
Noch eindringlicher zeigt dies das Beispiel eines bereits erwähnten Politikers, der mit «Voice of Europe» in Verbindung gebracht wird: des Belgiers Filip Dewinter. Fast zeitgleich zu den «VoE»-Enthüllungen wurde bekannt, dass dieser jahrelang als politischer Berater für die chinesische Kommunistische Partei arbeitete und sich dafür reichlich entlöhnen liess. Dabei kooperierte er offenbar auch mit einem inzwischen ausgeschafften chinesischen Spion. Belgische Medien präsentierten Spesenabrechnungen von Abendessen, bei denen Dewinter andere Rechtsextremisten aus Griechenland, Frankreich oder Deutschland traf.