Kost und Logis: Wolf macht Hirt:innen
Bettina Dyttrich hütet keine Schafe

Auf Milchkuh- und Ziegenalpen melkt man und stellt Käse her. Da ist es streng. Auf Rinder- und Mutterkuhalpen melkt man nicht und stellt keinen Käse her. Da ist es weniger streng, dafür einsam, weil ohne Käsegeld das Budget oft nur für eine Stelle reicht. Um 5 Uhr aufstehen zum Melken, siebzehn Stunden am Tag arbeiten und Käse wenden, bis die Armsehnen ruiniert sind, kann ich nicht besonders gut. Wochenlang allein sein leider auch nicht. Ich habe lange gebraucht, um das zu akzeptieren.
Jetzt helfe ich gern eine Stufe tiefer, auf Bergbauernhöfen, beim Heuen. Da ist es auch streng, die Hänge sind steil, die Sonne brennt, und ich suche Betriebe, die ohne Laubbläser arbeiten. Ich will rechen, von Hand. Aber ich muss nicht um 5 Uhr aufstehen, und wenn es regnet, gibt es eine Pause. Ich bewundere die zähen Menschen, die weiter oben ihren Käse pflegen und den Ziegen nachrennen. Oder den Schafen.
Schafalpen mit Hirt:innen gab es lange fast keine mehr. Als Wölfe und Bären ausgerottet waren, schickten viele Schafhalter:innen ihre Tiere einfach allein in die Höhe. Darum kamen Schafe auch im «Handbuch Alp», dem 1998 erstmals erschienenen Standardwerk für Quereinsteiger-Älpler:innen, nur auf wenigen Seiten vor. Dass es heute wieder mehr Schafhirt:innen und eine anerkannte Ausbildung gibt, ist dem Wolf zu verdanken. Schafalpen sind beides: streng und einsam. Oft im schwierigsten Gelände, wo es für Rinder zu steil ist, ohne Zufahrt, mit rudimentären Hütten. Und inzwischen ist praktisch das ganze Schweizer Berggebiet Wolfsrevier.
Für alle, die sich diese Arbeit trotzdem zutrauen, gibt es jetzt eine geballte Ladung Fachwissen: das «Handbuch Schafalp», geschrieben von sechs Expert:innen. Schön gestaltet und übersichtlich aufgebaut, beantwortet es jede Schafalpfrage, die man sich vorstellen kann: Wie hütet man Schafe? Braucht es Zäune? Sind Widder gefährlich? Wo sollten die Schafe nicht hin, weil sie der empfindlichen Pflanzenwelt schaden würden? Wie behandle ich Beinbrüche, Abszesse, Krankheiten wie Moderhinke? Wie trainiere ich einen Hütehund, und wie gehe ich mit den Herdenschutzhunden um? Welche Werkzeuge brauche ich? Was tun, wenn der Wolf kommt, ein Gewitter, Schnee? Wenn die Disteln überhandnehmen? Oder wenn mich der Alpmeister belästigt?
Im Handbuch finden sich auch hilfreiche Check- und Packlisten, schöne Details wie Literaturtipps oder Kochrezepte mit Alpenpflanzen, dazu Interviews mit Praktiker:innen. «Der Vorteil der Einsamkeit ist schwierig zu erklären, es hat mit Gott zu tun, mit einer Welt, die heute nicht mehr existiert», sagt ein alter Bergamasker Hirt. «Meinen Hunden möchte ich noch danken. Allen», sagt ein anderer, der auch schon vierzig Jahre dran ist.
Manchmal sehe ich sie beim Wandern, hoch oben, und mache einen grossen Bogen wegen der Hunde. Meine Bewunderung wächst immer noch.
Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.
Das «Handbuch Schafalp» von Daniel Mettler, Helen Willems, Andrea Sulig, Sven Dörig, Christian Gazzarin und Riccarda Lüthi ist im zalpverlag erschienen. Mehr zur Schafhirt:innenausbildung: themes.agripedia.ch.