Durch den Monat mit Asa Hendry (Teil 4): Hatten Sie schon mit dem Wolf zu tun?

Nr. 43 –

Die Debatten über Raubtiere und die Landwirtschaft findet Asa Hendry oft eindimensional. Als Hirt:in erlebt Hendry mit, welchen widersprüchlichen Erwartungen die Bäuer:innen ausgesetzt sind – und wie sich das Klima verändert.

Portraitfoto von Asa Hendry
Asa Hendry: «Wenn ein Wolf durch die Herde gelaufen ist, sind die Kühe und Rinder viel nervöser. Aber wir sind zum Glück nicht so exponiert wie eine Schafalp.» 

WOZ: Asa Hendry, hatten Sie auf der Alp schon mit dem Wolf zu tun?

Asa Hendry: Gesehen habe ich keinen, aber wir merken halt, wenn einer durch die Herde gelaufen ist. Dann sind die Kühe und Rinder viel nervöser, haben kleine Verletzungen, weil sie im Dunkeln herumgestolpert sind. Wir sind zum Glück nicht so exponiert wie eine Schafalp. Zurzeit würde ich niemals auf eine Schafalp wollen. Um Schafe zu schützen, muss man sie jeden Abend sammeln und einpferchen. Das ist für die Hunde megastreng und fürs Hirtenpersonal auch.

Und für die Schafe?

Die Schafhirt:innen sagen, es brauche zwei, drei Jahre, bis die Schafe den neuen Rhythmus begriffen hätten. Dann gehe es einfacher. Aber das ist nur ein Teil der Arbeit: Du schleppst Futter für die Herdenschutzhunde und Zaunmaterial … Es laugt halt sehr aus. Es gibt auch Hirt:innen, die bei der Herde schlafen – und dann immer zu wenig Erholung bekommen. Hunde, die gegen Wölfe kämpfen müssen. In der Stadt merke ich, dass es gerade in linken Kreisen ein ziemlich eindimensionales Bild gibt …

Vom Wolf?

Auch von der Landwirtschaft. Ein Bild von geizigen Landwirt:innen, die nur Subventionen wollen und darum ihre Tiere nicht richtig schützen, weil sie dann Geld abholen können. Das stimmt einfach nicht. Ich kann nachvollziehen, dass Landwirt:innen gefrustet sind. Sie arbeiten 24/7, haben fast keine Ferien, jetzt haben sie Zusatzarbeit wegen dem Wolf – und dann kommen Städter:innen, die sich moralisch überlegen fühlen, weil sie die Wildnis schützen wollen, aber wahrscheinlich nicht mal drei Alpenblumen aufzählen könnten. Da frage ich mich: Wo ist denn das Zuhören? Sonst heisst es doch immer: «den Betroffenen zuhören».

Es wirkt zum Teil sehr überheblich, ja.

Gut finde ich die Initiative Oppal: Die organisieren Freiwillige, um die Herden in der Nacht zu schützen, damit das Hirtenpersonal schlafen gehen kann.

Und die Freiwilligen merken, wie streng es ist?

Genau. Man sollte viel mehr solche Begegnungen und Gespräche ermöglichen: Wie kann man das Zusammenleben von Wild- und Nutztieren im Alpenraum gestalten? Okay, wir haben Alpwirtschaft. Ist das etwas Schützenswertes? Für mich schon, sie trägt zur Biodiversität bei. Gleichzeitig sind die Berge auch der Raum des Wolfes … Wir müssen uns vom Bild der ursprünglichen Wildnis verabschieden. Diese Räume sind schon sehr lange geteilt, von unterschiedlichen Parteien genutzt. Es gibt keine Ursprünglichkeit.

Haben Sie die Kontroversen über die Biodiversitätsinitiative mitbekommen?

Nicht so direkt. Aber ich verstehe, dass die Verständigung schwierig ist. Die konventionelle Landwirtschaft ist vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs gewachsen. Man hatte Angst vor Nahrungsmittelknappheit, wollte in grösserem Stil produzieren, griff auf Pestizide zurück – und hatte dann viel höhere Erträge. Heute gibt es andere Werte wie Nachhaltigkeit und Biodiversität – aber Betriebe werden über Generationen weitergegeben. Sie haben vielleicht seit vierzig Jahren eine Zuchtlinie bei ihren Kühen …

… und sind stolz darauf.

Genau. Gute, wertvolle Tiere, die aber relativ viel Kraftfutter brauchen. Was machst du dann? Die Landwirt:innen reden auch zu wenig miteinander. Die Leute sind dermassen ausgelastet, dass es gar keinen Raum gibt, um sich auszutauschen: Wo wollen wir eigentlich hin? Man kennt die bewährte Art, wie man zu viel Output kommt, man hat sie in der Ausbildung gelernt. Um da etwas zu ändern, müsste man Zeit zum Experimentieren haben, sich zum Beispiel am Wissen von früher orientieren. Und Landwirt:innen, die es anders machen wollen, etwa kein Kraftfutter einsetzen oder Kräuter statt Antibiotika brauchen, haben es auch schwer in der eigenen Community.

Erleben Sie auch positive Entwicklungen?

Ich hatte auf der Alp ein schönes Gespräch mit einem Bauern. Er will keine schweren Maschinen mehr brauchen, weil das dem Boden schadet, und möchte wissen, was auf seinen Weiden wächst. Dort findet der Beziehungsaufbau mit der Biodiversität statt: Wie gut kenne ich meine Weiden, die Pflanzen darauf oder die Insekten? Kenne ich sie beim Namen, gehe ich anders mit ihnen um. Ich sehe den Heugümper mit den blauen Flügeln nicht mehr, den ich als Kind immer sah, und das tut weh. Meine Eltern beobachten auf ihrer Alp, dass die Quelle immer weniger Wasser bringt.

Macht Ihnen das Klima Angst?

Ja, ich finde es krass, wie schnell es sich verändert. Es gibt Alpen, die die Milch nicht mehr mit Quellwasser kühlen können, weil es zu warm ist – und wir haben heute Zecken bis viel höher hinauf. Bei langer Trockenheit wächst das Futter nicht mehr, und die Gewitter werden heftiger. Wir haben ja das Gefühl, die Lebensmittelversorgung sei gesichert. Aber ich weiss nicht, ob das immer so sein wird. Und wenn es dann zu Krisen kommt, brauchen wir Leute, die wissen, wie man Landwirtschaft betreibt.

Asa Hendry (25) ist Autor:in, Alphirt:in und studiert Angewandte Theaterwissenschaft.