Mandy Abou Shoak: Was erlaubt sie sich da?

Nr. 22 –

Um die Nachfolge der Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch ist unerwartet ein Wettstreit innerhalb der SP entbrannt. Das liegt an einer jungen Schwarzen Feministin, die das Establishment herausfordert.

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Mandy Abou Shoak steht an der Limmat in Zürich
«You can be what you can see», sagt Mandy Abou Shoak am Zürcher Limmatquai: Du kannst werden, wofür du Vorbilder hast.  

Mandy Abou Shoak blättert durch die Mittagskarte des Restaurants im Zürcher Volkshaus, bleibt erst bei der Forelle hängen und dann beim Lachs, entscheidet sich aber schliesslich doch für die Suppe. Das geht besser nebenher zum Gespräch. Und Abou Shoak will viel erzählen.

Seit die 35-jährige SP-Kantonsrätin ihre Kandidatur als Stadtpräsidentin von Zürich bekannt gegeben hat, sind innerhalb ihrer Partei kritische Einwände zu hören, die sich zu einer Frage verdichten lassen: Was erlaubt sie sich da eigentlich? Abou Shoak sagt: «Es ist eine Aussage, jemanden wie mich ins Stadtpräsidium von Zürich zu wählen.» Ihr Slogan: «Züri isch parat.» Doch ist es auch die SP?

Abou Shoak möchte die Nachfolge von Corine Mauch antreten, die sechzehn lange Jahre das öffentliche Gesicht dieser Stadt war. Wichtigste Verantwortungsbereiche: Kultur und Stadtentwicklung. Am 26. Juni entscheiden die Zürcher SP-Delegierten, wen sie für die Wahl in einem Jahr aufstellen. Dafür parteiintern eigentlich vorgesehen, für die «Thronfolge», wie das medial gerne genannt wird, war Sozialdirektor Raphael Golta, der ins Präsidium rotieren will. «Thronfolge – ist das nicht ein unpassender Begriff für die Sozialdemokratie?», fragt Abou Shoak. Aber vielleicht hat er schon seine Berechtigung, denn ihre Kandidatur steht quer zu einer Parteilogik, in der sich nur für höchste Weihen qualifiziert, wer sich hochgedient und an genügend Samstagen am SP-Stand Luftballons und Flyer verteilt hat.

Ein Blitzstart

Und Abou Shoak kommt sehr schnell vorwärts. Erst 2022 ist sie in die SP eingetreten. Schon ein Jahr später schaffte sie die Wahl in den Zürcher Kantonsrat. Ein Blitzstart in der umkämpften Zürcher Politwelt. Abou Shoak sagt: «Meine Geschichte ist die einer Aufsteigerin. Ich habe am Beispiel meiner Mutter gesehen, wie das Unmögliche möglich wurde.» Der Mutter, die sich in der Fremdsprache Deutsch zur Zahnärztin hocharbeitete. Als Kind sudanesischer Geflüchteter – ihr Vater sass als Journalist im Sudan im Gefängnis – wuchs sie in Wetzikon auf. Sie erinnert sich: Als dort der Wechsel in die Sekundarstufe anstand, intervenierten ihre Eltern vehement, weil die Lehrer:innen sie in die Sek B statt die Sek A schicken wollten. «Es war mir unangenehm, aber meine Eltern wussten genau, dass das ein Schlüsselmoment auf meinem Bildungsweg ist. Ich habe eine Aufsteigerinnengeschichte, weil sie nicht lockergelassen haben.» Abou Shoak studierte Soziale Arbeit, absolvierte einen Menschenrechtsmaster und arbeitet heute bei der NGO Brava, die sich gegen Gewalt an Frauen engagiert.

Sie sagt, sie wolle als Stadtpräsidentin Menschen Orientierung bieten, die viel zu wenig politische Vertretung erhielten: «You can be what you can see, davon bin ich überzeugt.» Du kannst sein, was du sehen kannst. Abou Shoak verweist auf die versteckten Hürden, die gerade Migrant:innen den Weg versperren. Sie will Zürich durchlässiger und solidarischer machen. Damit das gelingt, müssten die Quartiere näher zusammenrücken, findet sie. Dazu wolle sie etwa ein Pilotprojekt zur Förderung der Kohäsion lancieren, zum Beispiel für Krisensituationen wie beim Tötungsdelikt im Friesenberg oder auch bei Verdrängung. Das klingt noch reichlich vage.

Weit weg vom Establishment

Im Zürcher Kulturhaus Karl der Grosse sind schärfere Töne zu hören. Mitte Mai moderiert Mandy Abou Shoak dort ein Podium zur Wohnpolitik der Stadt und ihren Vernachlässigungen. Es sind Bestandesaufnahmen aus den Aufwertungsgebieten am Rand der Stadt. Die Mieterin Elena schildert auf der Bühne, wie sie seit Jahren vergeblich eine neue Wohnung sucht, weil ihre Überbauung bald abgerissen wird. Und wie sie sich bei einer Genossenschaft für tausend Franken einkaufen musste, damit sie überhaupt Zugang zu den Wohnungsannoncen erhielt. Eine Lehrerin aus Schwamendingen im Publikum beklagt, wie ihre Kinder eins nach dem anderen aus der Klasse verschwinden, weil ihre Familien nach Massenkündigungen in Notwohnungen in der Stadt verteilt werden: «Warum übernimmt dafür niemand die Verantwortung?» Irgendwann stellt Abou Shoak leise fest, dass es verwerflich sei, aus den Grundbedürfnissen der Menschen Profit zu schlagen.

Sie nutzt das Podium auch, um ihre politischen Ideen auszutesten. Spricht von «negativen Externalitäten» der Verdrängung, also den Kollateralschäden der Immobilienspekulation. Etwa von ungedeckten Kosten, die durch Abrisse, aber auch durch erzwungene Schulwechsel entstehen und die sie den Immobilienentwickler:innen in Rechnung stellen will. «Keine gute Idee», meint Antonia von der wohnaktivistischen Gruppe Mietenplenum auf der Bühne. Eine solche Abgabe würde einfach an die Mieter:innen weitergereicht, und sie würde das Immobiliengeschäft nicht bremsen.

Trotz der Kritik kommt Mandy Abou Shoak gut an im «Karl dem Grossen». Auch weil sie Leute an den Tisch bringt, die sonst wenig Platz erhalten in der politischen Debatte. Ein Abend, der weit weg wirkt vom Establishment der Stadt, auch vom linken.

Für die ehemalige Zürcher SP-Kopräsidentin Liv Mahrer liegt in der Nähe zum Aktivismus die grosse Stärke ihrer Kandidatur. «Sie repräsentiert den Aufbruch des linken Zürich», sagt sie. Für viele sei Politik etwas Zähes, Elitäres, ein abgekartetes Spiel auch. «Mandy Abou Shoak beweist, dass Politik ganz anders sein kann.»