Actionkino: Killen wie Keanu
Die Choreografien der «John Wick»-Reihe suchen ihresgleichen, auch jetzt im Spin-off «Ballerina». Doch der Welterfolg der Actionreihe war alles andere als absehbar, wie eine neue Doku zeigt.

Haustiere? Heikles Thema! Als etwa eine deutsche Zeitung einmal anregte, man müsse erwägen, den Besitz von Hunden und Katzen zu verbieten, da diese wegen des von ihnen verursachten CO₂ eine Belastung fürs Klima seien, hagelte es Morddrohungen. Der Mut, «out of the box» zu denken, traf bei diesem Sujet auf nicht viel Diskursfreude.
Auch in der Filmindustrie weiss man, dass Vierbeiner ein heisses Eisen sind, mit dem sich das Publikum leicht vergraulen lässt. «Niemals einen Hund töten!» sei ein ehernes Gebot in Hollywood, lernt man in der neuen Dokumentation «Wick Is Pain», die die Entstehungsgeschichte der Actionreihe «John Wick» erzählt. Entsprechend erschrocken waren die Produzent:innen des ersten Teils, als sie mitbekamen, was für einen Plot die Regisseure Chad Stahelski und David Leitch da in Szene setzen wollten: Die Story setzt damit ein, dass Gangster dem Welpen der verstorbenen Frau des Titelhelden das Genick brechen. Stahelski und Leitch liessen sich aber nicht beirren, der Film wurde ein Welterfolg, und auch der Welpe würde sich wohl darüber freuen, dass er heute trotz seines nur kurzen Auftritts einen eigenen Artikel im «John Wick»-Wiki im Internet hat.
Von der Resterampe
Seither wird die Geschichte unablässig fortgeschrieben. Dem ersten Film folgten drei Fortsetzungen (eine weitere ist in Planung), zudem gibt es die Serie «The Continental», das jetzt in den Kinos startende Spin-off «Ballerina» sowie besagte Dokumentation. Letztere vermittelt gut, wie unwahrscheinlich der Erfolg dieser Marke ursprünglich war. Der erste «John Wick» von 2014 war eine Indieproduktion. Stahelski und Leitch waren Stuntleute, die sich erstmals als Regisseure versuchten, Keanu Reeves wiederum, der die Titelrolle übernahm, galt nach einigen Flops als Star von der Resterampe. Als kurz vor Drehstart auch noch ein Produzent absprang, fehlten plötzlich mehr als sechs Millionen US-Dollar. Hätte nicht die Schauspielerin Eva Longoria («Desperate Housewives») im letzten Moment den Betrag beigesteuert, wäre der Film wohl nie entstanden.
Und das wäre bedauerlich gewesen, denn «John Wick» hat das US-Actionkino in neue Höhen katapultiert. Dies liegt gewiss nicht an der Story: Ein Exprofikiller kehrt in sein altes Gewerbe zurück, um sich an selbstherrlichen Mafiosi zu rächen, die sich mit ihm angelegt haben, ohne zu ahnen, wen sie da vor sich haben. Die folgenden Teile erzählen eigentlich nur noch davon, wie Wick anschliessend versucht, wieder in den Ruhestand zurückzukehren, was die nach strikten Regeln organisierte Unterwelt nicht tolerieren will.
Aussergewöhnlich ist aber, wie die Filme inszeniert sind. Zunächst strotzen sie vor hyperstilisierten Bildern: Immer wieder (auch jetzt in «Ballerina») gibt es etwa Szenen in Nachtclubs, in denen sich der Held in Neonlicht und zu dröhnendem Sound durch tanzende Körper zwängt und Reihen von Angreifern niedermäht. Die Inspiration durch die «Matrix»-Filme, bei denen sich Reeves und Stahelski (damals dessen Stuntdouble) einst kennenlernten, ist augenfällig.
Wichtiger noch ist die eigentliche Choreografie der Action: Der Übergang zwischen Feuergefecht und Nahkampf ist fliessend, ein Markenzeichen von Reeves in den Filmen ist es entsprechend, Antagonist:innen aus kürzester Distanz zu erschiessen. Dazu kommen lange Einstellungen, entgegen dem anhaltenden Trend zu möglichst hektisch geschnittenen Actionszenen. Das ermöglicht es, Bewegungen in ihrem Fluss zu verfolgen: Die Wucht, die sich auf der Leinwand entlädt, überträgt sich so fast physisch auf die Zuschauerin. «Gun Fu» heisst dieser Stil, er hat seine Ursprünge im Actionkino Hongkongs. Stahelski, der ab Teil zwei alleine Regie führte, hat ihn perfektioniert und zudem mit Slapstickcomedy angereichert.
Warum nicht mal Handgranaten?
In «Ballerina» übernimmt nun Len Wiseman die Regie und Ana de Armas die Hauptrolle. Sie verkörpert die Killerin Eve, die sich aufmacht, um ihren Vater zu rächen. Auch Reeves hat gegen Ende einen Auftritt, vermutlich vor allem, um seinen Bodycount noch etwas in die Höhe zu treiben (Stand nach vier Filmen: 439 Tote). Jedenfalls haut auch der Spin-off ordentlich auf die Pauke: Unter anderem gibt es Nahkämpfe mit Handgranaten (!) sowie Duelle, in denen sich die Kontrahent:innen minutenlang mit Flammenwerfern traktieren, was genauso toll anzuschauen ist, wie es klingt. Schön schräg ist zudem das Finale in einem nur vordergründig verpennten Alpendörfchen.
Bleibt die Frage, ob Filme, in denen Menschen in Heerscharen umgenietet werden, nicht ein bisschen reaktionär sind. Im Gegenteil, sagen manche: «John Wick» handle vom Versuch, aus einem perversen System auszubrechen, das die davon profitierenden Reichen und Mächtigen gnadenlos aufrechterhalten wollten. Tatsächlich sind die Bösewichte, mit denen es der die Frühpensionierung ersehnende Killer zu tun hat, vermögende Schnösel, deren Ableben bei Gott kein Grund ist, Klagegesänge anzustimmen.
Ob ihn das zum «working class hero» macht, wie ein Kritiker einmal meinte? Gun Fu gewissermassen als Waffe im Kampf für den Traum vom immerwährenden Wochenende: Keine schlechte Idee eigentlich.
«Wick Is Pain». Regie: Jeffrey Doe. USA 2025. Amazon Prime.
«Ballerina». Regie: Len Wiseman. USA 2025. Jetzt im Kino.