Rohstoffabbau im Kongo: Wettlauf um Kupfer und Kobalt

Nr. 23 –

Chinesische Unternehmen haben sich den Zugriff auf die wichtigsten Rohstoffquellen Afrikas gesichert. Die EU und die USA wollen mit der Modernisierung einer kolonialen Bahnlinie im Kongo dagegenhalten. Kann davon auch die lokale Bevölkerung profitieren?

Christian Ngoy am Eingang eines Schachts
Freiberufler und Gewerkschafter: Christian Ngoy am Eingang eines Schachts – sein Arbeitsplatz befindet sich in 45 Metern Tiefe.
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Zwischen Macht und Ohnmacht ist ein Gitter aus feinem Draht gespannt. Christian Ngoy steht davor. Er trägt abgewetzte Jeans und ein staubiges T-Shirt, an seinen Händen klebt getrockneter Schlamm. Noch vor ein paar Minuten ist Ngoy durch ein Erdloch gekrochen und hat Kupfer aus den Tiefen des Bodens gekratzt. Jetzt steht er da, in einer Wellblechhalle einer Mine am Rand der Grossstadt Kolwezi im Süden des Kongo. Vor diesem Gitter an Ankaufstand Nummer 7.

Ngoy blickt durch die engen Maschen hindurch auf einen kleinen orangefarbenen Apparat. Es ist das Gerät, auf das es jetzt ankommt. Zwei Männer fummeln daran herum. Beide haben helle Haut und einen gelangweilten Blick. «2,23 Prozent», sagt einer. Das Gerät misst den Kupfergehalt von Erzen. Angeblich.

Wenn auf der anderen Seite des Gitters eine Entscheidung fällt, ist sie endgültig. Ngoy wendet sich ab. «Hier gibt es nichts zu diskutieren», sagt er im Gehen. «Die Chinesen haben alles unter Kontrolle.» 2,23 Prozent seien nicht genug, erklärt er. «Wir müssen unsere Ausbeute verbessern.» Das heisst: weitergraben, tiefer, Erze mit höherem Kupfergehalt finden.

Christian Ngoy sitzt in seinem Büro
Christian Ngoy ist Vorsitzender der Gewerkschaft Atram, die sich für die Rechte von Minenarbeitern einsetzt.

Die meisten Ankaufstellen in dieser Region der Demokratischen Republik Kongo sind in der Hand chinesischer Unternehmen. Sie sind praktisch die Einzigen, die Geräte haben, die die Zusammensetzung von Gestein messen. «Wir können nicht überprüfen, ob stimmt, was sie uns über den Wert unserer Ware erzählen», sagt Ngoy.

Der 35-Jährige tritt aus der Wellblechhalle heraus. Vor ihm erstreckt sich eine Kraterlandschaft aus Geröll und Schotter. Ein harscher Wind peitscht Staub durch die Luft, ein Vorbote der Trockenzeit. Alles ist grau oder braun. Die Löcher, die unter die Erde führen, sind schwarz. «Mineurs artisanaux» heissen die Männer, die hier arbeiten. Die meisten nennen sich bloss ­«creuseur», Gräber. Auch Ngoy.

Im Zug an die Westküste

Am Horizont zeichnen sich rötliche Felsformationen ab. Es handelt sich um den Auswurf industrieller Minen. Auch international operierende Unternehmen baggern hier, rund um Kolwezi im Süden des Kongo, Kupfer und Kobalt aus der Erde. Hunderttausende Tonnen jedes Jahr in sechzehn Anlagen. Und auch diese sind weitgehend in chinesischer Hand. Bloss zwei bilden eine Ausnahme, sie gehören dem Schweizer Rohstoffriesen Glencore.

Über sein Bergbauunternehmen Gécamines ist auch der kongolesische Staat am Geschäft beteiligt, doch hält er in der Regel nur Minderheitsanteile an den grossen Minen. Im Kongo ist im vergangenen Jahrzehnt praktisch ein Monopol entstanden – mit den üblichen Folgen.

Eisenbahnlinien

Eisenbahnlinien in Angola, Sambia, Tansania und der Demokratischen Republik Kongo
Karte: WOZ

«Die Arbeit in den chinesischen Minen grenzt an Sklaverei», sagt Ngoy. Die Löhne seien so mies, dass viele es vorzögen, sich als Freiberufler mit Spitzhacke und Schaufel auf die Suche nach Erzen zu machen. Allein in Ngoys Mine für Creuseure sind es mehr als 3000. Schätzungen zufolge sind es im ganzen Land eine Viertelmillion.

Für heute hat Ngoy genug, es ist bereits spät am Nachmittag. Auf dem Heimweg stapft er an ein paar Gleisen vorbei. An vielen Stellen sind sie verzogen, hier und da von Sand bedeckt. An anderen Stellen haben Creuseure den Boden darunter herausgegraben – in der Hoffnung, auch dort auf Kupfer zu stossen. Wie bei einer Achterbahn hängen die Gleise da samt Betonschwellen in der Luft.

Offensichtlich ist seit Jahren kein Zug mehr über die Strecke gefahren. Und doch sagt Ngoy: «Schienen sind eine riesige Chance für uns.» Die USA und Europa hegen Pläne, das chinesische Rohstoffmonopol im Kongo zu brechen – mithilfe einer alten Bahnlinie. Sie soll, einmal modernisiert, vom sogenannten Kupfergürtel in Zentralafrika nach Westen führen, bis zur Atlantikküste in Angola (vgl. «Koloniale Geschichte, Schweizer Mitwirkung» im Anschluss an diesen Text). Lobito-Korridor heisst das Projekt, und es könnte den Bergbausektor grundlegend verändern. Derzeit ist es leichter, Rohstoffe aus dem Kongo an Afrikas Ostküste zu bringen, doch der Transport auf den teils schlechten Strassen dauert Wochen. Mit der Bahn wäre die Atlantikküste im Westen in wenigen Tagen erreichbar.

ein chinesischer Mitarbeiter spielt am Ankaufstand Nr. 7 an einer Mine für Kleinmineure in Kolwezi mit seinem Handy
Am Ankaufstand Nummer 7 gibt es nichts zu diskutieren: «Die Chinesen haben alles unter Kontrolle», sagt Christian Ngoy.

Während Ngoy weiter an den ramponierten Schienen entlangspaziert, donnern auf der Schotterpiste daneben Lastwagen vorbei, wirbeln im Minutentakt Staubwolken auf. Auf den Kühlergrills der Fahrzeuge prangen die Logos von CNHTC, dem grössten chinesischen Lastwagenhersteller. Bereits 2013 hat China seine «Neue Seidenstrasse» angestossen, eine globale Infrastrukturinitiative. Seither werden auch die Minen im Kongo ausgebaut.

Damals war noch nicht vollends klar, welch zentrale Rolle die Rohstoffe in den Böden Zentralafrikas für die Welt spielen würden. Heute scheint sich die Weltwirtschaft einig: Wer im Angesicht des Klimadesasters die Zukunft gestalten will, braucht Kupfer und Kobalt. Braucht also den Kongo: Von beiden Metallen verfügt das Land über einige der grössten Vorräte der Welt. Beim Kupfer ist es nach Chile bereits der wichtigste Produzent, und ein Grossteil der Reserven wurde womöglich noch nicht einmal angerührt. Beim Kobalt stammen schon jetzt zwei Drittel der weltweiten Produktion aus dem Kongo.

Traum einer eigenen Mine

Christian Ngoy lebt am Ende eines schmalen Schotterwegs. Sein Haus ist einstöckig, an einigen Stellen blättert der gelbe Putz ab. Drinnen gibt es ein Sofa, einen Fernseher. Das Schlafzimmer gehört ihm und seiner Frau, seine beiden Töchter müssen in der Küche übernachten. Es fehlt an Platz. Als Creuseur verdient Ngoy etwa 300 US-Dollar im Monat. Das ist wenig in Kolwezi, wo ein Kaffee in manchen Lokalen 7 Dollar kostet. Die vielen Expats treiben die Preise hoch.

«Eines Tages möchte ich selbst Minenbesitzer sein», sagt Ngoy. Er spricht von einer industriellen Mine, einem Unternehmen mit Angestellten, Maschinen, Logistik. Warum auch sollte dieses Geschäft Menschen aus dem Ausland vorbehalten sein? Wenn der Lobito-Korridor Wirklichkeit wird, davon ist Ngoy überzeugt, schafft das ganz neue Möglichkeiten. «Das Startkapital schlummert hier im Boden.»

Ein paar Tage später steht Ngoy am Rand von einem der schwarzen Löcher, die unter die Erde führen. Er schlüpft in eine neongelbe Weste. Sollte er verschüttet werden, wäre er darin leichter zu finden. Auch eine Wollmütze stülpt sich Ngoy über, sie bietet Schutz vor Stössen und Kratzern. Darüber schnallt er eine Stirnlampe aus pinkem und grünem Plastik. Sie sieht aus wie ein Spielzeug.

Die Wände im Erdloch sind feucht und die Stufen, die Ngoy mit seinen Kameraden alle paar Meter in die Erde geschlagen hat, schmal. Sie bieten gerade genug Platz für die Spitzen seiner Turnschuhe. Ngoy steigt etwa fünf Meter senkrecht in die Tiefe. Ungesichert. So erreicht er einen ersten Quergang, die erste Galerie. Gebückt kriecht er hindurch, dann geht es tiefer hinab. Ungefähr zehn Meter runter in einem Schacht, der kaum einen Meter breit ist.

Das Licht der Stirnlampe schneidet grelle Keile in die Dunkelheit. An einigen Stellen glitzert das Gestein auf. «Das Gelb-Grünliche da, das ist Kupfer», sagt Ngoy. «Und das Schwarze, das ist eine Mischung aus Kupfer und Kobalt.» Seine Stimme klingt dumpf, die feuchte Erde schluckt den Schall.

In 45 Metern Tiefe erreicht Ngoy seinen Arbeitsplatz. Zusammen mit seinem Kollegen Sylvano Kayombo Josué macht er sich an die Arbeit. Mit einem Pickel schlägt Josué Gesteinsbrocken aus der Wand. Ngoy hält ihm einen Plastiksack auf. Nach ein paar Minuten wechseln sie die Rollen. Ngoy atmet schwer, Schweiss rinnt ihm über die Stirn. An einem gewöhnlichen Tag verbringt er acht Stunden hier unten.

Christian Ngoy und sein Kumpel Sylvano Kayombo Josué füllen einen Sack in einer kleinen Mine
Von der Wand in den Plastiksack: Christian Ngoy und sein Kumpel Sylvano Kayombo Josué in einer kleinen Mine.

Körperliche Arbeit war Ngoy nie fremd. Er kam 1990 als Kind eines Bauern auf die Welt, half früh bei der Mais- und Maniokernte. Doch eigentlich sei er ein Kopfmensch, sagt Ngoy. Er war gut in der Schule, träumte davon, Schriftsteller und Philosoph zu werden. Doch seiner Familie fehlte das Geld, um ihn auf die Universität zu schicken. Mit achtzehn stieg er zum ersten Mal in eine Mine hinab. So verdiente er das Geld, um sich zum Pädagogen und Sozialwissenschaftler ausbilden zu lassen. Jobs gab es nicht, aber man merkt Ngoy die Ausbildung an. Beginnt er zu erzählen, sprudeln die Worte aus ihm heraus in vielen kurzen, prägnanten Sätzen.

Ngoy gräbt sich weiter durch die Erde. «Wir suchen vor allem Gestein mit hohem Kupferanteil», sagt er und erklärt eine kuriose Begebenheit: Die Unternehmer in den chinesischen Ankaufstellen behaupteten, allein am Kupfer interessiert zu sein. «Weil Kupfer und Kobalt in der Natur aber meist zusammen vorkommen, bekommen sie das Kobalt umsonst dazu», sagt Ngoy. Dabei ist das silbergraue Metall viel wertvoller. Eine Tonne Kupfer ist auf dem Weltmarkt derzeit rund 10 000 US-Dollar wert – eine Tonne Kobalt mehr als das Dreifache.

Deshalb versucht Ngoy, so wenig Kobalt wie möglich aus dem Stollen zu kratzen – in der Hoffnung, dass er es eines Tages zu fairen Preisen selbst vermarkten kann. «Wenn der Lobito-Korridor fertig ist, sind wir vielleicht nicht mehr auf die Mittelsmänner angewiesen», sagt er. «Dann können wir unsere Erze direkt ins Ausland verkaufen.» Die Infrastruktur für solche Geschäfte entsteht bereits.

Luftaufnahme einer grossen Siedlung mit Hütten in Kolwezi vor einer Mine
In Kolwezi kostet ein Kaffee bis zu sieben US-Dollar: Im Hintergrund schuften die Creuseure.

Eine Stunde Autofahrt vom Schacht entfernt, im Dorf Musompo, blitzen Dutzende blaue Hallen in der Sonne. Sie sind mit Zäunen und Stacheldraht abgesichert. «Das werden unsere Depots», sagt Ngoy. Am Rand des weitläufigen Areals steht hinter Mauern versteckt ein Labor. «Da werden wir die Zusammensetzung unserer Erze messen lassen – von unabhängigen Stellen.» Ein Bagger fährt umher und hebt das Fundament für weitere Gebäude aus. «Da kommt eine Bankfiliale hin, in der Creuseure Mikrokredite bekommen können», erklärt Ngoy. «Für einfache Leute ist es derzeit unmöglich, an Startkapital für ein eigenes Unternehmen zu gelangen.»

Das Areal in Musompo ist das Centre de Négoce, eine Initiative des kongolesischen Staates. Es soll den weitgehend informellen, oft illegalen Kleinbergbausektor aufwerten – und die Creuseure aus der Abhängigkeit chinesischer Unternehmen befreien. Geplant ist auch ein Zertifizierungsprozess, damit sich Creuseure bescheinigen lassen können, ihr Erz unter anständigen Arbeitsbedingungen abgebaut zu haben – eine Voraussetzung für Leute wie Ngoy, um ihre Rohstoffe selbstständig auf den Markt bringen zu können.

Ngoy klingt euphorisch, wenn er über die Zukunft spricht. Der Lobito-Korridor und das neue Zentrum könnten den Grundstein für seinen Traum bilden: eine eigene Mine. Zusammen mit anderen Creuseuren will er zunächst eine Genossenschaft aufbauen. Und dann wachsen. Das Netzwerk dafür hat er bereits, Ngoy ist Direktor von Atram, einer Gewerkschaft, die sich seit 2013 für die Rechte der kongolesischen Creuseure einsetzt. Sie hat rund 5000 Mitglieder. «Wenn ich irgendwann meine eigene industrielle Mine besitze, werden dort anständige Löhne bezahlt», sagt er. «Jeder Mitarbeiter bekommt einen Helm und Schutzkleidung.» Auch in den Minen der internationalen Unternehmen werde sich mit der neuen Bahnverbindung die Lage verbessern, sagt Ngoy, dank der wachsenden Konkurrenz. Endlich werde im Kongo eine Mittelschicht entstehen.

Neokoloniale Interessen

Garantiert sind diese Entwicklungen nicht. Mehrere NGOs hegen Zweifel, stellen infrage, dass es sich bei der westlichen Infrastrukturoffensive tatsächlich um eine «Win-win-Partnerschaft» handelt. Eurodad, Counter Balance und Oxfam haben sich Projekte des «Global Gateway»-Programms der EU angeschaut, zu dem auch der Lobito-Korridor gehört. In ihrer Studie ist von «Neokolonialismus» die Rede. Die Eisenbahnlinie ist in Kolonialzeiten entstanden – und auch ihre Wiederaufnahme könnte als ausbeuterisches Instrument genutzt werden. «Es ist offensichtlich, dass die strategischen Partnerschaften von ‹Global Gateway› die geopolitischen und kommerziellen Interessen der EU-Investoren in den Vordergrund stellen», heisst es dazu von den NGOs. Dabei bleibe unklar, wie die Länder in Afrika profitierten.

Bisher ist der Lobito-Korridor vor allem eine privatwirtschaftliche Initiative von europäischen Unternehmen. In Angola, wo die Strecke schon weitgehend erneuert wurde, haben sich Firmen aus Portugal, den Niederlanden und der Schweiz eine dreissig Jahre lang gültige Konzession für die Gleise gesichert. Und selbst wenn beim weiteren Ausbau der Schienen mehr afrikanische Unternehmen an Aufträge kommen – im Kongo ist derzeit schon der kongolesische Staatskonzern SNCC involviert –, verfestigt der Lobito-Korridor womöglich ein altes Muster: Afrika liefert das Rohmaterial, die daraus gefertigten Produkte, die am Ende Milliarden einspielen, werden anderswo entwickelt. Weder Angola noch der Kongo noch Sambia produzieren Elektroautos, Computer oder Mikrochips  – und das ist im Rahmen der «Global Gateway»-Initiative auch nicht geplant.

Die EU betont immerhin, dass sie auf nachhaltige Infrastrukturprojekte setze, auf Massnahmen, die dem Klima dienten, die Biodiversität erhielten, die lokale Landwirtschaft förderten. Etliche solche Projekte sind auch im Kongo vorgesehen. Rund um Kolwezi, das Herz des Bergbaus, ist vom Schutz der Natur und von der Förderung der Landwirtschaft aber noch nicht viel zu sehen.

Luftaufnahme von einer der grossen Minen in Kolwezi
Heute gelangen die Erze per Lastwagen auf teils schlechten Strassen an die Ostküste Afrikas: Eine der grossen Minen in Kolwezi.

Östlich der Stadt wankt ein Pavillon im Wind. Unter dem Dach aus Schilfrohr: eine Feuerstelle, ein Topf mit blubberndem Wasser und ein Plastikstuhl, auf dem ein alter Mann in einem abgewetzten Nadelstreifenanzug sitzt und davon erzählt, wie er alles verloren hat. Ernest Kayembe Miji war der Nachbarschaftsbeauftragte von Mukumbi – einem Ort, den es nicht mehr gibt. Der Siebzigjährige erinnert sich gut an jenen Morgen im Jahr 2016, als das Militär nach Mukumbi kam. «Die Soldaten feuerten in die Luft», erzählt Miji. «Dann schossen sie mit Tränengas auf uns.» Die Männer, Mitglieder der Republikanischen Garde, verscheuchten die Menschen aus Mukumbi, fingen an, ihre Häuser in Brand zu stecken. Zurück blieb verkohlte Erde. «Sie sagten, dass morgen der Abbau von Erzen beginnen werde», erinnert sich Miji. Hinter dem Vorhaben: Chemaf, eines der vielen Unternehmen aus dem Ausland.

Die Firma, die eine Konzession für das Gebiet erworben hatte, übernahm keine Verantwortung für die Vertreibung, liess sich 2019 aber auf einen Vergleich mit den Menschen aus Mukumbi ein. Zwischen 100 und 300 US-Dollar hätten sie damals als Entschädigung erhalten, sagt Miji. Er selbst habe als Nachbarschaftsbeauftragter 900 Dollar bekommen. Viel zu wenig. Schliesslich hätten die Menschen nicht nur ihre Häuser verloren, sondern auch ihr Land, ihre Lebensgrundlage. Und Miji glaubt, dass obendrein ein beträchtlicher Teil der Vergleichssumme im Staatsapparat versickert ist. Der Kongo zählt zu den korruptesten Ländern der Welt.

Amnesty International hat gleich mehrere solche Fälle dokumentiert. Die NGO wirft den kongolesischen Behörden vor, die Bevölkerung nicht vor Raubbau durch multinationale Unternehmen zu schützen.

Kayembe Miji tritt aus dem Schatten seines Pavillons aus Schilfrohr in die Mittagssonne. Auch von seinem neuen Zuhause aus, im Ort Kafufu, sieht er eine Mine, wie fast überall in dieser Gegend. Die graue Kraterlandschaft frisst sich wie ein Ekzem durch Felder und Wohngebiete, kommt immer näher.

Unmut und Aufruhr

Wird es den Menschen im Kongo wirklich nützen, wenn künftig noch mehr weggegraben wird – zunehmend auch von westlichen Unternehmen, die vom Lobito-Korridor angelockt werden? Und womöglich noch mehr von China? Die Regierung in Peking treibt bereits die Erneuerung der historischen Tazara-Bahn voran, die von Sambia über Tansania zum Indischen Ozean führt. Um Afrikas Rohstoffe ist ein neuer Wettlauf entbrannt.

Im Zentrum Kolwezis steht ein unverputzter Klotz aus grauen Ziegeln. Faustgrosse Löcher klaffen in der Fassade. Das Gemäuer, das an eine Baustelle erinnert, ist der Sitz der Gewerkschaft für die Arbeiter in den kleinen Minen. In einem der Büros hängt eine Warnweste über der Lehne eines Schreibtischstuhls – Christian Ngoys zweiter Arbeitsplatz. «Es hat einen Streik gegeben», sagt er. Die Creuseure in seiner Mine haben sich gegen das Comité de Géstion aufgelehnt, Mittelsmänner zwischen Staat und Creuseuren, die stets etwas von den Einnahmen einstreichen. «Das ist eine Mafia», sagt Ngoy. Die Leute würden sich das nicht länger gefallen lassen. Steine seien geflogen, die Mittelsmänner vom Gelände gejagt worden.

Mineure in Kolwezi graben nach Kupfer unter Eisenbahnschienen
Mit Spitzhacke und Schaufel: Mineure in Kolwezi graben überall nach Kupfer – auch unter den Schienen.

Kurz zuvor kam es auch vor der grossen Kamoa-Kakula-Mine, einem kanadisch-chinesischen Joint Venture, zu Protesten. Das kongolesische Personal versperrte die Zufahrt, um für bessere Arbeitsbedingungen zu protestieren. «Die Zeiten, in denen Fremde kommen und uns ihren Willen aufzwingen, sind vorbei», sagt Ngoy. Das bedeute allerdings nicht, fügt er an, dass Menschen aus dem Ausland nicht mehr willkommen seien – egal ob aus Amerika, Europa oder Asien. «Wenn sie alle kommen, werden wir weder von den einen noch von den anderen abhängig sein.»

Die Sonne ist gerade erst aufgegangen, als Ngoy sein Büro verlässt. Er springt über die offene Kanalisation auf die Strasse und macht sich auf den Weg. Er hat einen langen Tag vor sich. Arbeit in der Mine, ein Besuch im Centre de Négoce. Bei seiner Frau und seinen beiden Töchtern wird er erst ankommen, wenn über Kolwezi die Dunkelheit hereinbricht. «Wir leben in der Epoche der Globalisierung», sagt Ngoy. «Wir wollen unseren Kindern einmal davon berichten, dass wir sie für uns genutzt haben.»

Der Lobito-Korridor: Koloniale Geschichte, Schweizer Mitwirkung

Die Modernisierung des Lobito-Korridors ist ein Leuchtturmprojekt einer weltweiten Infrastrukturoffensive des sogenannten Westens. Die G7-Staatengruppe beschloss 2022 die «Partnership for Global Infrastructure and Investment». Bis zu 600 Milliarden US-Dollar wollen die Länder bis 2027 in Strassen, Schienen, Daten- und Stromnetze in «Entwicklungsländern» investieren. Auch die EU verspricht im Rahmen ihrer «Global Gateway»-Initiative 300 Milliarden Euro.

Die westliche Infrastrukturoffensive gilt als Antwort auf Chinas «Belt and Road Initiative», bekannt als «Neue Seidenstrasse». Die Regierung in Peking hat dabei auch viele Milliarden in Projekte in Afrika gesteckt.

Beim Lobito-Korridor handelt es sich vor allem um eine Bahnstrecke, die vom Kupfergürtel Zentralafrikas an die Atlantikküste im Westen führen soll. Einmal fertiggestellt, würde sich die Trasse über knapp 1800 Kilometer Gleise in Angola und der Demokratischen Republik Kongo erstrecken, dazu einige Hundert Kilometer in Sambia. Ganz neu ist die Strecke nicht. Schon 1902 wurden erste Schienen in Angola verlegt, damals eine portugiesische Kolonie, und sollten die Bodenschätze im damaligen Belgisch-Kongo erschliessen. In beiden Ländern herrschten brutale Regimes: Sklaverei, Raubbau, Gräuel. Die Strecke verwahrloste, als Angola nach seiner Unabhängigkeit 1975 in einen fast drei Jahrzehnte dauernden Bürgerkrieg versank.

Derzeit ist der Lobito-Korridor massgeblich ein privatwirtschaftliches Projekt. 2023 ergatterte die Eisenbahngesellschaft Lobito Atlantic Railway eine dreissigjährige Konzession für die Linie. Dahinter stehen das portugiesische Bauunternehmen Mota-Engil, der niederländische Schienennetzbetreiber Vecturis und das Rohstoffhandelsunternehmen Trafigura, das 1993 in der Schweiz gegründet wurde. In Angola ist die Erneuerung der Strecke weit fortgeschritten, in Sambia hat sie noch nicht begonnen, im Kongo stockt sie. Dort lässt der kongolesische Staat die Erneuerung durch den Staatskonzern SNCC ausführen.

In den vergangenen Jahren haben Schweizer Gerichte Glencore und Trafigura wegen Korruption im Kongo und in Angola verurteilt. Die Konzerne haben der Bevölkerung der beiden Länder laut der NGO Public Eye Hunderte Millionen Franken an Staatseinnahmen vorenthalten.

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