14. Juni: «Ich wünsche mir, dass wir radikal zusammen sein können»
Warum lohnt es sich, am Samstag auf die Strasse zu gehen? Louisa Loosli (27), Serena Dankwa (50) und Zita Küng (71) über die Erkenntnis, den Fehler nicht bei sich, sondern im System zu finden.

WOZ: Zita Küng, Serena Dankwa, Louisa Loosli: Nächsten Samstag ist der 14. Juni, und wie in den Vorjahren haben feministische Kollektive, Parteien und Gewerkschaften in der ganzen Schweiz zum Streik aufgerufen. Werden Sie dabei sein?
Zita Küng: Ich werde dieses Jahr in Luzern sein und an einem Podium über Feminismus sprechen. Den Streik in Zürich verpasse ich darum leider, aber vielleicht schaffe ich es, in Luzern an die Demo zu gehen.
Serena Dankwa: Bei mir stellt sich immer die Frage: Zürich, Basel oder Bern? In Basel singe ich mit dem Ensemble Fimmene! – manchmal treten wir an feministischen Anlässen auf, am diesjährigen Streik aber nicht. 2019 war ich zuerst in Bern und dann in Zürich, wo ich mit dem schwarzfeministischen Kollektiv eine Rede hielt. Dieses Jahr werde ich wohl an der Demo in Bern teilnehmen.
Louisa Loosli: Ich werde dieses Jahr leider nicht am Streik teilnehmen können – lustigerweise, weil ich arbeite. Das ist zwar schade, aber auch okay, da ich das Management für die Rapperin Soukey mache, die in Basel bei einem Festival als Headlinerin auftritt. An einem solchen Tag für eine junge, Schwarze, queere Künstlerin zu arbeiten, ist für mich auch symbolisch.
Drei Generationen
Zita Küng (71) wuchs in Zürich auf. Seit den siebziger Jahren setzt sie sich für feministische Anliegen ein. So gründete sie etwa die Organisation für die Sache der Frauen (Ofra) mit, engagierte sich in der Gewerkschaft und sass im Zürcher Kantonsrat. In den Neunzigern leitete die Juristin das Zürcher Büro für Gleichstellung und engagiert sich seither unter anderem beim FRI, dem Schweizerischen Institut für feministische Rechtswissenschaft und Gender Law.
Serena Dankwa (50) ist Sozialanthropologin und Geschlechterforscherin. Sie lehrt und forscht zurzeit an der Universität Basel zu Humanitarismus und Gewalt sowie zu queeren und afrofeministischen Konzepten von Freundschaft und Solidarität. Dankwa ist Mitherausgeberin des Sammelbands «Racial Profiling» und arbeitete bei NGOs in der Entwicklungszusammenarbeit und in den Bereichen Migration, Menschenhandel, Sexualität und reproduktive Gerechtigkeit.
Louisa Loosli (27) setzt sich seit über zehn Jahren für feministische und linke Anliegen ein. So engagiert sie sich etwa in der Berner Reitschule, wo sie Konzerte und Partys organisiert. Loosli ist Teil von Forcefield Records, einem queerfeministischen Musiklabel, bei dem sie mehrere Künstler:innen managt. 2024 gründete sie mit zwei Kolleg:innen die Agentur Sweet Choice. Loosli arbeitet daneben auch als Sozialpädagogin und Velokurierin.
WOZ: Der 14. Juni geht auf den Frauenstreik von 1991 zurück, damals die grösste Massenmobilisierung seit dem Landesstreik von 1918. Sie haben dieses historische Ereignis mitorganisiert, Zita Küng. Wie blicken Sie heute darauf zurück?
Küng: Bis 2019 habe ich stets gesagt, der 14. Juni 1991 sei der schönste Tag meines Lebens gewesen. Es war einfach überwältigend, so etwas hatte man sich in der Schweiz nicht vorstellen können! Und wir wussten am Tag zuvor nicht, was passieren würde. Ich war damals in der Gewerkschaft Bau und Holz, und meine Gewerkschaftskollegen dachten, es werden wohl ein paar Feministenweiber wie die Zita kommen. Und dann waren alle Frauen da. Die alten und die jungen. Aus allen Berufen, Einheimische und Zugewanderte.
Zita Küng: Die Männer, die die Streikküche machten, fragten mich, wie viel sie kochen sollten. Als ich antwortete, für 3000 Personen, meinten sie: «Bist du wahnsinnig?» Ich sagte, macht, wie ihr wollt, ihr müsst einfach alle streikenden Frauen und ihre Kinder versorgen. Sie kochten dann 600 Portionen Risotto, und es kamen 10 000 Frauen über Mittag aufs Kanzleiareal. Und gleichzeitig kam niemand von Winterthur nach Zürich. Denn in Winterthur oder Wetzikon haben sie selber gestreikt. Dieser Tag war eine richtige Erschütterung für die ganze Schweiz.
Dankwa: Ich war am Streik von 1991 auch dabei, es war eine meiner ersten Demoerfahrungen, und ich glaube schon noch ein wichtiger Moment. Damals war ich sechzehn Jahre alt und ging gemeinsam mit meiner Mutter demonstrieren. Sie arbeitete in der Pflege und hatte immer schlechte Arbeitsbedingungen..

WOZ: Anlass des Streiks 1991 war die nicht erfolgte Umsetzung des zehn Jahre zuvor angenommenen Gleichstellungsartikels, im Zentrum standen insbesondere fehlende Lohngleichheit und die fehlende Anerkennung von Sorgearbeit.
Küng: Genau, der Streik war gewerkschaftlich geprägt, wurde ja auch von den Uhrenarbeiterinnen initiiert. Gleichzeitig sagten wir schon bei der Vorbereitung jenen, die fanden, Lohngleichheit etwa sei für sie nicht so zentral, sie hätten auch Platz. Die Devise war: Das, was euch wichtig ist, ist bei diesem Streik willkommen. Gleichzeitig war es ein doppelter Streik: Die Frauen bestreikten die bezahlte, aber auch die unbezahlte Arbeit. Das war noch schwieriger, da es so gleich zwei Ebenen gab, auf denen sie ihr Engagement vorbereiten mussten.
WOZ: Zita Küng, Sie sagten, bis 2019 sei der 14. Juni 1991 der schönste Tag ihres Lebens gewesen. War der Streik vor sechs Jahren demnach noch überwältigender?
Küng: Ja klar, denn dieser Streik war noch grösser und vielfältiger. Und das war beeindruckend, denn 2019 war kein Jubiläum oder Datum, das sich aufdrängte. Die Wut der Frauen war einfach riesig. Und im Unterschied zu 1991 war es auch keine rein gewerkschaftliche Angelegenheit. Obwohl die Gewerkschaften zum Streik aufriefen, waren es auch feministische Kollektive, die sich an den verschiedensten Orten organisierten und ihre Forderungen einbrachten.
WOZ: Serena Dankwa, Sie beschäftigen sich auch wissenschaftlich mit feministischer Theorie und feministischen Bewegungen. Wieso war der Streik 2019 so gross?
Dankwa: Ich denke, das hatte unter anderem mit der #MeToo-Bewegung zu tun, die sexualisierte Übergriffe breiter sichtbar machte, aber auch mit der Pussyhat-Bewegung und den weltweit folgenden Solidaritätsmärschen. Diese waren eine Reaktion auf die erste Amtseinführung von Donald Trump im Januar 2017. Trumps Aussagen waren und sind nicht nur sexistisch, sondern immer auch rassistisch. Es gab damals auch Kritik von Schwarzen Frauen und trans Feministin:innen an den pinkfarbenen Pussyhats.
Zita Küng: Dass der Streik in der Schweiz grösser und queerer wurde, hat auch mit der «Ni una menos»-Bewegung zu tun, die auch bei uns einiges ins Rollen brachte und neue Protestformen möglich machte. Ni una menos, LASTESIS und andere dekoloniale, feministische Kollektive haben uns vor Augen geführt, dass Feminizide [im Gegensatz zu Femizid wird damit eine staatliche Mitverantwortung betont, Anm. d. Red.] weltweit System haben und Teil einer kolonialen, postkolonialen und patriarchalen Logik sind.

WOZ: Die Streiks von 1991 und 2019 hatten ähnliche Forderungen: allgemeine Gleichstellung, Lohngleichheit, Anerkennung von Care-Arbeit, ein Ende sexualisierter Gewalt. Welche Themen haben Sie politisiert?
Dankwa: Es gab in meinem Leben verschiedene Momente der Politisierung. Ein wichtiger war, als ich mit sechzehn Jahren reisen gehen wollte und, um dafür Geld zu verdienen, als Au-pair und in einem Restaurant arbeitete. Ich fühlte mich isoliert und machte Erfahrungen, die in Richtung sexualisierte Gewalt gingen. Ich merkte, wie mich das Frausein einschränkt. Anstatt reisen zu gehen, kehrte ich an die Schule zurück.
Zita Küng: Grundsätzlich kamen für mich Sexismus und Rassismus immer im Doppelpack. Später kam dann noch das Queersein hinzu, aber das sah mir im Gegensatz zu meinem Schwarzsein niemand an. Ein wichtiger Moment der Politisierung waren die Wochenenden im ehemaligen Frauenbildungszentrum der Villa Kassandra. Der frauenfreundschaftliche Zusammenhang im Haus und das Wissen um die Kollektivierung lesbischer Frauen beeindruckten und bestärkten mich.
Küng: Für uns in den siebziger Jahren war die gesellschaftliche Analyse sehr wichtig. Wie baut sich so eine Gesellschaft auf? Wie werden Kinder gross? Wie sind die Verhältnisse organisiert? Wer organisiert sie? Mit welcher Wirkung? Ich denke, dieser gesellschaftliche Blick ist das, was mich fundamental politisiert hat. Die Erkenntnis, dass wir Verhältnisse haben, die gar nicht funktionieren können, egal wie fest ich mich anstrenge.
Dankwa: Aber wie bist du an den Punkt gekommen, diese Verhältnisse zu erkennen? Hast du nicht zuerst Erfahrungen gemacht?
Küng: Doch, natürlich. Ich bin in einem mausarmen Arbeiter:innenhaushalt aufgewachsen. Mein Vater hatte als Arbeiter auch noch einen Unfall, weshalb meine Mutter die ganze Familie mit vier Kindern durchbringen musste. Mir fehlte es an nichts, aber ich habe den Klassenkampf in meiner DNA. Gleichzeitig war ich ein Mädchen. Alle haben mich angeschaut und gewusst, was aus mir wird. Gefragt hat mich niemand. Das hat mich total empört. Ich fand: Wartet ihr nur.
Zita Küng: Die Gesellschaft war damals aber bereits in Bewegung, das war eine Steilvorlage. Die gesellschaftlichen Verhältnisse standen sowieso im Zentrum. Mich dann als Individuum darin zu sehen und zu merken, dass allfällige Schwierigkeiten gar nicht meine individuellen Probleme sind, hat mich unglaublich bestärkt. Das war nicht Zita Küng, die einen Fehler gemacht haben soll: Die Verhältnisse sind der Fehler!
Loosli: Es tut gut, euch zuzuhören und zu merken, dass ihr früher zum Teil dieselben Kämpfe hattet wie meine Generation. Seit ich auf der Welt bin, habe ich die Erfahrung gemacht, dass alles, was ich mache, immer ein bisschen falsch ist. Meine Art, wie ich aussehe, wie ich rede. Selbst wenn ich nichts sage, ist trotzdem immer klar, dass ich nicht richtig bin. Ich denke, das hat viel damit zu tun, dass ich für eine Frau «zu» stark und «zu» selbstbewusst auftrete, mich nicht auf den mir zugewiesenen Platz beschränke.
Zita Küng: Zu realisieren, dass der Fehler nicht bei einem selbst liegt, sondern dass das System einen falsch macht – egal ob man eine Frau ist, ob man queer ist, ob man eine Person of Color ist –, hat, so glaube ich, 2019 auch zu dieser Wut geführt. Gleichzeitig denke ich, dass der Streik 2019 auch eine Art Kippmoment für viele Männer war.

WOZ: Wie meinen Sie das?
Loosli: Ich glaube, vielen Männern wurde damals klar: Ui, jetzt fängt es wirklich an zu wackeln.
Dankwa: Meinst du nach dem Streik?
Loosli: Nachher, ja, aber auch schon währenddessen. Ich erlebte ein paar Situationen, die dafür sinnbildlich waren. Ich habe damals im Dachstock der Reitschule die Afterparty des feministischen Streiks in Bern mitorganisiert. Wir wollten, dass die Party ohne cis Männer stattfindet. Damit das möglich war, mussten wir an mehreren Sitzungen – zum Teil weinend – dafür kämpfen. In der Reitschule! Das ist mir so eingefahren. Die Party war dann wirklich das Krasseste und Schönste, was ich je erlebt habe: 800 Tinfa-Personen [trans, inter, nonbinäre Personen, Frauen und agender Personen, Anm. d. Red.], alle einfach halbnackt am Durchdrehen. Ich hatte noch nie so einen Raum erlebt.
Zita Küng: Und wer fühlte sich angegriffen? Einzelne Herren hinter der Bar, denen es unangenehm war, dass einige direkt vor ihnen ihr T-Shirt auszogen. Was natürlich okay ist, aber gleichzeitig auch etwas, was Männer jahrelang in Clubs machten, ohne dass es Konsequenzen hatte. Ich will überhaupt nicht die Magie dieses Tages zerstören, und meine Generation ist tausendmal dankbar dafür, dass wir 2019 auf dieser Welle reiten durften, die auf so viel Vorarbeit von euch basierte. Aber ich hatte damals schon das Gefühl, dass etwas aufgebrochen ist: Einige hielten sich ganz stark an ihrem Thron fest. Für mich zieht sich das seither durch, und wie wir sehen, ist es mittlerweile auch echt schlimm geworden.
Dankwa: Denkst du jetzt an Männer, die sich für fortschrittlich hielten und dann in diesem Moment doch nicht zurückstehen konnten?
Loosli: Ja, auch.
Dankwa: Ich hatte den Eindruck, dass damals vor allem konservative Männer fanden: Das geht uns zu weit, weil sie merkten: Jetzt geht es um unsere Privilegien.
Loosli: Das stimmt schon, und gut, dass du die Privilegien erwähnst. Für mich ging 2019 nämlich auch diesbezüglich eine Tür auf, weil ich merkte: Dieser Streik ist eigentlich viel zu weiss. Es war ein Moment, in dem ich anfing, meine Privilegien zu checken und auch zu sehen, dass wir noch viel weniger inklusiv sind, als wir es gerne wären. Und dass ich selber noch so viele weisse Flecken habe.
Küng: Es stellt sich immer die Frage, wo man hinschaut. Innerhalb dieser Bewegung sind an den verschiedensten Orten verschiedene Leute mit verschiedenen Schwerpunkten und unterschiedlichen Anliegen gleichzeitig dran. Die Frage, wie sich die vereinen lassen, um auch gesellschaftliche Schubkraft zu bekommen, an der müssen wir noch arbeiten.
Dankwa: Es können und müssen auch nicht alle immer alles machen.
Küng: Nein, natürlich nicht.
Dankwa: Sonst ist man so überwältigt, dass man gar nichts mehr macht. Irgendwo müssen wir anfangen, und ich finde es berechtigt zu sagen: Ich fokussiere jetzt mal auf diesen einen Aspekt, im Sinne eines strategischen Essenzialismus [eine zugeschriebene Identität strategisch hervorheben, um politische Ziele zu erreichen, Anm. d. Red.]. Es stellt sich dann nur die Frage, ob man gleichzeitig dennoch das grosse Ganze im Blick behalten kann. Letztendlich muss Feminismus das Ziel haben, alle Ausbeutungs- und Unterdrückungsformen abzuschaffen, oder?
Loosli: Klar, aber ich finde, genau daran scheitern wir im Moment.
Alle Aktionen
Alle Aktionen zum feministischen Streik auf 14juni.ch.

WOZ: Woran genau?
Loosli: Daran, zusammenzustehen, so wie 2019, wo einfach mal kurz scheissegal war, welche Kämpfe man sonst so führt: Es sind alle zusammen auf dieser Strasse gestanden. Heute sehe ich davon nichts. Versteht mich nicht falsch, ich finde linke Auseinandersetzungen bis zu einem gewissen Grad sehr wichtig, aber im Moment habe ich manchmal schon das Gefühl, vor einem Scherbenhaufen zu stehen.
Küng: Wir hatten in den Siebzigern in der Linken auch schon wahnsinnige Auseinandersetzungen, etwa mit den Maoist:innen, mit den Trotzkist:innen, mit den Leninist:innen, mit Radikalfeministinnen … Wo du, je nachdem, wo du standest, sicher warst: Ich habe mit Garantie recht, und die anderen sind voll daneben. Das gibt es immer.
Dankwa: Und bei einem feministischen Streik geht es ja immer um den kleinsten gemeinsamen Nenner. Ein Problem stellt sich dann, wenn wie etwa beim Streik 2019 in Genf islamische Feminist:innen ausgebuht werden und ihr Feminismus nicht als solcher anerkannt wird.
WOZ: Wie kann es die Bewegung denn konkret schaffen zusammenzustehen?
Dankwa: Mit Solidarität und emanzipatorischer Bildung, schlussendlich. Indem wir lernen, transnationale Gewaltverhältnisse zu erkennen, uns von diesen Erkenntnissen berühren und bewegen lassen. Wir müssen verstehen, wie Rassismus, Sexismus und Raubkapitalismus einander bedingen, statt uns gegeneinander ausspielen zu lassen.
Küng: Genau, und man darf aber auch nicht zu schematisch sein, sondern muss präzis sein. Man sollte genau analysieren, wie sich die Verhältnisse herstellen, und auch erkennen, wie sie sich verändern.
Loosli: Ich glaube, genau das schaffen die meisten nicht. Wir verfallen immer wieder in ein individualistisches Denken, nehmen alles persönlich. Auch die Linke scheitert daran: Wir schaffen es nicht, darüber zu sprechen: Was ist das Strukturelle, wo machen wir Fehler, wo kann ich an mir arbeiten, wo können wir zusammengehen? Stattdessen versuchen alle die ganze Zeit, ja keinen Fehler zu machen und es ja allen recht zu machen. Und sind dabei überhaupt nicht kritikfähig.
Küng: Ich denke, es ist ganz wichtig, dass man einen Raum hat, in dem man Erkenntnisse machen darf. Wir hatten in der feministischen Bewegung in den Siebzigern Selbsterfahrungs- und Diskussionsgruppen. Da wurde alles diskutiert. Man durfte erkennen, durfte ins «Unreine» denken, mal eine Vermutung aussprechen. Diese unterfüttern mit Erfahrungen von hier und dort. Alles fand unter uns statt. Das war ganz wichtig, um ein Verständnis dafür zu entwickeln, wo man selber als Person ist und wo die Gesellschaft. Das hat mich unglaublich entspannt. Ich konnte auf die Situation schauen und fragen: Worum geht es hier, und was hat das mit mir zu tun?
Dankwa: Genau, so was merkst du nur im direkten Austausch mit anderen. Vorher hast du das Gefühl, dass du falschliegst. Darum ist weiterhin so wichtig, was du, Zita, Selbsterfahrungsgruppen nennst. So ist auch «Bla*Sh» entstanden, das Netzwerk Schwarzer Frauen und nonbinärer Personen, das ich 2013 mitgegründet habe. Es ging erst einmal darum, überhaupt in einem Raum zu sein mit anderen, die ähnliche Erfahrungen machen – das ist der Anfang politischer Bildung.
Loosli: Natürlich sind solche Räume, wie ihr sie beschreibt, mega wichtig. Ich erlebe aber aktuell einfach immer wieder Clashs um genau solche Räume und unter Tinfa-Personen. Und die brechen mir das Herz.
WOZ: Was für Clashs?
Loosli: Ich habe ein relativ simples Beispiel. In Bern gibt es eine Frauenbadi, das Paradiesli. Wenn du nicht als Frau gelesen wirst, hast du keine Chance, dort reinzukommen. Weil die alten Ladys, die seit Tag eins dort stehen – und sich diesen Raum auch erkämpft haben, das darf man nicht vergessen –, finden: Nein, du bist keine Frau.
Dankwa: Wer kommt nicht rein?
Loosli: Nonbinäre Personen zum Teil. Wer nicht weiblich gelesen wird, wird nicht reingelassen. Also, es gibt keine Türsteherinnen, aber halt Dynamiken. Ich erlebe immer wieder solche Situationen und finde, wir schliessen ganz viele Menschen immer noch aus.
Dankwa: Ja, ich finde Terfism, also den Ausschluss von trans Personen durch bürgerliche Feminist:innen, auch problematisch. Aber es ist gefährlich, wenn sich unsere Energien nur noch gegen Terfs richten. Vielleicht braucht es beides, eine Cis-Frauen-Badi und eine Tinfa-Badi? Zugleich werden diese Fragen oft medial aufgebauscht und gegeneinander ausgespielt. Das lenkt uns von anderen, ebenso wichtigen Kämpfen ab.
Loosli: Das stimmt, aber trotzdem muss es doch das Ziel sein, dass sich in diesem Kampf alle wohlfühlen können.
Dankwa: Natürlich. Es ist wichtig, dass linke, feministische und queere Räume zugänglicher werden. Doch zurzeit treibt mich vor allem um, wie feministische Anliegen von rechten Kräften instrumentalisiert werden: Kriege wurden zum Teil paternalistisch damit gerechtfertigt, dass Frauen geschützt werden müssen. Und in der Schweiz wird gegen rassifizierte Männer gehetzt mit dem Argument, dass sich Frauen und Queers nicht mehr sicher fühlten. So wird über unsere Körper eine nationalistische und faschistische Politik betrieben.
WOZ: Der Kampf gegen den Faschismus war Teil einiger Streikaufrufe in diesem Jahr. Angesichts des Aufschwungs der extremen Rechten und des Backlashs sind gerade in verschiedenen Teilen der Welt Rechte von Frauen, Migrant:innen und LGBTQ-Rechte unter Beschuss. Könnte das auch eine Chance bieten, um näher zusammenzurücken, sich eben auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu besinnen?
Küng: Chance ist vielleicht etwas viel gesagt, aber es wäre sicher ein Anlass. Ein dringender.
Loosli: Also ich will hier nicht einen auf Drama machen, aber ich habe schon manchmal Angst, dass fünf vor fertig ist.
Dankwa: Der kleinste gemeinsame Nenner ist für mich die Gewalt, die sich auf verschiedenen Ebenen abspielt. Und die Frage, wie man dagegen ankämpfen kann. Ich denke, die Chance besteht darin, dass man angesichts dieses Backlashs merkt: Es geht uns alle an. Gewalt trifft zuerst Menschen in marginalisierten und prekarisierten Situationen, aber letztlich zerstört sie alle Lebewesen.
WOZ: In welchem Alter oder welcher Lebenslage waren Sie eigentlich am radikalsten?
Küng: Ich habe mich sehr früh im Leben dazu entschieden, alles daran zu setzen, die herrschenden Verhältnisse zu ändern. Da soll möglichst alles passen, was ich mache. So habe ich mich zum Beispiel entschieden, keine eigenen Kinder zu haben, und habe eine grosse Nichthochzeit gefeiert und versprochen, nicht zu heiraten. Ich leide unter der aktuellen Gesellschaft, deshalb setze ich auf Veränderung. Letzten Herbst habe ich entschieden, wieder häufiger an Demos zu gehen. Ich glaube, wir müssen uns wieder mehr mit dem Körper ausdrücken, nicht nur digital klicken, und finde, da ist das Alter kein Hinderungsgrund. Ich habe überhaupt keinen Anlass, mich zurückzulehnen.
Dankwa: Ich würde sagen, ich bin jetzt am radikalsten. Jede neue Lebensphase hat mir neue Facetten davon gezeigt, wie strukturelle Gewalt wirkt. Die Summe dieser Erfahrungen macht mich radikaler. Spätkapitalistische Macht- und Ausbeutungsverhältnisse sind dermassen perfide. Deshalb müssen wir kritischer und klarer werden – indem wir uns verbünden.
Loosli: Als ich mit siebzehn in die linke Szene kam, dachte ich: Hier wird sicher alles anders. Und von Anfang an musste ich erleben: Jede Frau, jede Person, die zu fordernd auftrat oder Missstände klar benannte, eckte an – die strukturellen Dynamiken wirkten auch hier. Später rutschte ich in die Musikbranche rein, wo die Leute bis heute immer noch das Gefühl haben, ich sei die Freundin des Dudes nebendran. Ich bin immer noch die, die wahrscheinlich zum Schminken hier ist. Ich kann Projektleiterin sein, ich kann das Management eines der berühmtesten Artists in der Schweiz machen: No one fucking cares. Ich bin wütend. Und gleichzeitig habe ich das Gefühl, meine Generation sollte mal rasch stehen bleiben und schauen: Wo kämpfen wir, und wo driften wir auseinander?
Zita Küng: Ich wünsche mir, dass der Weg für andere einfacher wird und dass wir gleichzeitig radikal zusammensein können.
