Zustand des Freisinns: Er piepst immer noch nicht

Nr. 25 –

Thierry Burkart und seine FDP drücken sich bei den Bilateralen III vor der Verantwortung. Auch weil die Partei inhaltlich mittlerweile völlig entkernt ist.

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Wo steckt eigentlich Thierry Burkart? Der FDP-Präsident hat Anfang Juni zwar erklärt, er werde zurücktreten, aber doch erst am 18. Oktober, und bis dahin ist noch viel Zeit. Doch Burkart hat sich schon, bevor er abzischt, unsichtbar gemacht. Seitdem Aussenminister und FDP-Parteikollege Ignazio Cassis vergangene Woche den Vertragstext des geplanten neuen bilateralen Abkommens mit der Europäischen Union vorgestellt hat – das wichtigste politische Geschäft der kommenden Jahre –, hat Burkart keinen Pieps gemacht.

Dabei hätte er sich zu vielem positionieren können. Sicherlich zum Kern des Abkommens, der dynamischen Rechtsübernahme. Diese regelt, wie genau die Schweiz dereinst neues EU-Recht übernehmen soll. So soll sie bei der Entstehung der Gesetze neu ein Mitspracherecht bekommen. Hat die EU dann ein Gesetz erlassen, gelangt es gemäss Vertragstext in den ordentlichen Gesetzgebungsprozess der Schweiz.

Sollte die Schweiz ein EU-Gesetz nicht nachvollziehen, zum Beispiel wegen eines Referendums, müsste ein paritätisch zusammengesetztes Schlichtungsgericht darüber befinden. Die EU könnte danach sogenannte Ausgleichsmassnahmen verhängen. Diese sollen verhältnismässig sein. Aber was heisst das schon? Eine weitere Kritik: Drohende Strafen könnten die Meinungsbildung in der Bevölkerung vor einer Abstimmung beeinflussen.

Wie sich die FDP zu all dem stellt, ist völlig unklar. Die freisinnige Partei ist nach langen Jahren der Annäherung an die SVP und des Mitmischens im rechten Kulturkampf inhaltlich derart entkernt, dass es keine eigenen Werte mehr gibt, die in der EU-Frage noch Orientierung bieten können. Was wäre eine freisinnige Argumentation 2025?

Nochpräsident Burkart hat die Debatte darüber in einer internen Arbeitsgruppe aus Kritiker:innen und Befürworter:innen entsorgt. Das schafft ein paar Monate Ruhe, wirkt aber auch ohnmächtig. Erst die Delegiertenversammlung Mitte Oktober soll die Position der Partei festlegen. Burkarts Rückzug ist ein deutlicher Ausdruck der Unordnung in der FDP. Wie auch die mittlerweile wieder offen ausgetragene Feindschaft zwischen den FDP-Bundesrät:innen Cassis und Karin Keller-Sutter. Seit Cassis den Erfolg des Abkommens zur persönlichen Angelegenheit gemacht hat, untergräbt Keller-Sutter seine Bemühungen nach Kräften. Im Bundesrat versuchte sie vergeblich, das Abkommen dem Ständemehr zu unterstellen, was die Chancen des Pakets in einer Volksabstimmung erheblich gesenkt hätte. Die Nerven sind angespannt im Überlebenskampf der FDP um ihre beiden Bundesratssitze.

Das verheisst nichts Gutes für den weiteren Verlauf der Diskussion über das künftige Verhältnis der Schweiz mit der EU. Der Weg dorthin ist zwar noch lang – eine Volksabstimmung wird es frühstens 2027 geben. Doch die FDP ist die Schlüsselpartei auf diesem Weg. Und obwohl derzeit vor allem ein überzeugter Befürworter des Abkommens, der Solothurner Nationalrat und Konzernchef Simon Michel für die Partei öffentlich zur EU-Frage spricht, ist längst nicht ausgemacht, ob sich diese Haltung durchsetzt oder ob nicht die rechten Saboteur:innen Erfolg haben werden. Gerade die Frage nach dem Ständemehr, die zwar vom Bundesrat geklärt worden ist, aber im Parlament wieder aufgeworfen werden kann, bietet ihnen Angriffsfläche. Burkart, das hat er in der NZZ durchblicken lassen, steht da auf der Seite von Keller-Sutter.

Das zweite Angriffsfeld ist der Lohnschutz. Da soll ein Paket von inländischen Massnahmen die Schwächungen ausgleichen, die von den Bilateralen III ausgehen. So sollen etwa die Quoren für Gesamtarbeitsverträge gesenkt werden – ein zentrales Instrument, um Lohndumping zu verhindern. Der Bundesrat hat das Lohnschutzpaket zusammen mit den Gewerkschaften, den Kantonen und dem Arbeitgeberverband erarbeitet. Die FDP greift das nun frontal an. Die FDP werde «einen linken Angriff auf den liberalen Arbeitsmarkt» auf keinen Fall akzeptieren und im Parlament stoppen, teilte die Partei letzte Woche mit. Doch wenn die FDP im Verbund mit der SVP und rechten Mitte-Politiker:innen den Lohnschutz im Parlament versenkt, sinken die Chancen der Bilateralen III ganz erheblich. Dann würden die Gewerkschaften dagegen opponieren, und eine Volksabstimmung würde kaum zu gewinnen sein.

Doch so weit dürfte das Kalkül der FDP gar nicht reichen. Vorläufig geht es den Freisinnigen nur darum, die linke Seite in eine schwierige Debatte zu zwingen. Und sich selbst nach der Methode Burkart aus der Verantwortung zu stehlen.