Durch den Monat mit Noa Schärz (Teil 2): Wie organisiert man im Fussball eine Protestaktion?

Nr. 24 –

YB-Fussballerin Noa Schärz schätzt das politische Leben auf dem Wagenplatz. Es brauche auch im Fussball mehr Aktivismus, sagt sie – und hat am 8. März kurzerhand feministischen Protest organisiert.

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Noa Schärz sitzt auf der Türschwelle ihres Wohnmobils
Noa Schärz: «Wir konnten in Absprache mit YB T-Shirts mit der feministischen Faust drucken. Der Verein bezahlte das. Solche Sachen schätze ich an YB.»

WOZ: Noa Schärz, seit Sie bei YB in Bern spielen, leben Sie auf dem Wagenplatz Anstadt mitten in Bern. Wie ist es dazu gekommen?

Noa Schärz: Ich habe praktisch alljährlich eine Fussballkrise, in der ich mit den Strukturen des Fussballs und dem Leben als Spielerin stark hadere. In einer solchen Krise überlegte ich mir Anfang 2024, ob ich mit dem Fussball aufhören will. Ich merkte aber, dass ich ihm nochmals eine Chance geben will. Ich wollte ausprobieren, wie es ist, wenn ich daneben keine andere Lohnarbeit machen muss und so einen grossen Teil meiner Energie in den Fussball stecken kann. In dieser Phase kam die Anfrage von YB. Ich entschied mich, von St. Gallen nach Bern zu wechseln und dort eine Weile in meinem Camper zu leben. Dass ich so das Geld für ein WG-Zimmer sparen kann, war nur ein Teil der Überlegung. Ich wollte vor allem etwas Neues ausprobieren.

WOZ: Und dann?

Noa Schärz: Ich hatte vom Berner Wagenplatz Zaffaraya gehört. Ich ging dort vorbei, um zu fragen, ob sie Platz haben. Den hatten sie zwar nicht, doch sie rieten mir, beim Wagenplatz Anstadt zu fragen. Als ich dort mitten auf dem Platz stand, fühlte ich mich erst etwas verloren. Dann habe bei einem Haus angeklopft. Ich hatte Glück – eine sympathische Person hat geöffnet und sofort gesagt: Ja, klar, du kannst fürs Erste hierbleiben. Die Person ist heute ein enger Freund. Im selbstgebauten Haus der Wagenplatz-WG wurde später ein Zimmer frei – seither lebe ich dort.

WOZ: Wie ist das Leben auf dem Wagenplatz?

Noa Schärz: Schnell wurde mir klar: Der Wagenplatz ist mehr als nur ein Wohnort, es ist etwas Politisches. Es fühlt sich sehr gut an, Teil davon zu sein. Es ist schön, dass in der Anstadt auch Menschen ein Zuhause haben, die sonst keine Wohnung hätten. Mit diesen Menschen verbringe ich gerne Zeit – wir spielen oft zusammen Fussball oder plaudern einfach. Was mich stresst, ist, dass ich häufig nicht an den meist abendlichen Sitzungen des Wagenplatz-Kollektivs teilnehmen kann, weil die YB-Frauen bisher oft erst abends trainieren können. Zum Glück verbessert sich das in der neuen Saison.

WOZ: Sind Sie auch in anderen politischen Projekten aktiv?

Noa Schärz: Ja, ich helfe immer wieder in Projekten mit. Zuletzt bei einem Hausbau für marginalisierte Personen. Ich bin etwa auch Teil eines Kollektivs, das über den ganzen Mai Veranstaltungen zum Thema Abolitionismus organisiert hat, also zur Abschaffung von Grenzen, Patriarchat, Polizei – und für den Aufbau von emanzipatorischen Alternativen. Seit kurzem bin ich auch Teil einer Gruppe aktivistischer Clowns. Sich im Clownskostüm an Demos übers System lustig zu machen, ist sehr befreiend. Aber ich möchte diese Sachen eigentlich gar nicht selbstdarstellerisch ausbreiten.

WOZ: Wissen sie bei YB, wo Sie wohnen und was für Sachen Sie mitorganisieren?

Noa Schärz: Wo ich wohne, wissen alle. Ich glaube aber, dass sich die meisten nicht so genau vorstellen können, was für ein Ort das ist. Ich habe versucht, Menschen aus dem Team dazu zu bringen, an den Abolitionismusmonat in der Anstadt zu kommen – und zuvor an die «Fuck fair», ein Festival zum Thema sexueller Konsens. Letzteres ist so wichtig. Ich hatte das Bedürfnis, die Einladung überall zu teilen, speziell auch ausserhalb der linken Bubble. Denn gerade dort fehlt es an Wissen zu sexuellem Konsens. In unserem Teamchat schrieb ich gefühlt tausendmal: «Kommen alle dorthin?»

WOZ: Ist jemand gekommen?

Noa Schärz: In die Anstadt nicht, aber an die «Fuck fair» in der Reitschule schon. Wir hatten in dieser Zeit trainingsfrei, und ich hätte am liebsten einen Teamausflug dorthin organisiert. Aber wir waren immerhin zu fünft dort.

WOZ: Politisieren Sie das Fussballmilieu?

Noa Schärz: Ich stelle immer wieder fest, dass politischer Aktivismus im Fussball nicht verbreitet ist. Auch deshalb verspüre ich das Bedürfnis, politische Sachen zu teilen. Bis vor kurzem wussten die meisten im Team nicht, dass der 8. März der queerfeministische Tag ist.

WOZ: Das ist jetzt anders?

Noa Schärz: Ja, ich hatte vorgeschlagen, dass wir beim Spiel, das am 8. März stattfand, eine Aktion machen. Meine Idee war, dass beim Anpfiff alle 22 Spielerinnen auf den Boden sitzen – sei es auch nur für eine Minute. Ich selbst hätte es natürlich am besten gefunden, wenn wir gar nicht gespielt hätten. Aber für so was sind im Fussball wohl zu viele Hemmungen vorhanden.

WOZ: Wie organisiert man eine solche Protestaktion im Fussballkosmos?

Noa Schärz: Ich habe zuerst mit ein paar Mitspielerinnen einzeln gesprochen. Ich dachte, wir machen das einfach, ohne den Verein zu informieren. Doch da waren dann alle dagegen. Wir fanden aber einen Kompromiss: Wir konnten in Absprache mit YB T-Shirts mit der feministischen Faust drucken. Der Verein bezahlte das. Solche Sachen schätze ich an YB. Mit diesen Shirts liefen wir dann auf den Platz. Die Spielerinnen des FC Luzern machten auch mit. Ich malte zudem ein Transparent, das wir vor dem Anpfiff in die Höhe hielten.

WOZ: Was stand drauf?

Noa Schärz: «Gleichberechtigung. Jetzt!»

Noa Schärz (24) ist gelernte Köchin – und zeigte einst vor der SRF-Kamera, wie Kochen ohne Foodwaste geht: www.srf.ch.

Nachtrag vom 7. August 2025: YB verpasste Noa Schärz einen Maulkorb

Die Fussball-Europameisterschaft ist vorbei, ein paar Nachwehen punkto Frauenfussball bleiben: So sagte Noa Schärz kürzlich gegenüber der «taz», dass sie ihre Profikarriere bei Meister YB beendet habe, weil sie das Gefühl habe, «im Spitzensport nicht mehr am richtigen Ort zu sein» – aber auch wegen des Umgangs ihres Vereins mit einer Interviewreihe in der WOZ.

In vier Gesprächen hatte die 25-Jährige aus ihrem Leben als Fussballspielerin erzählt und Arbeitsbedingungen geschildert, die denjenigen der überwiegenden Mehrheit der Profifussballerinnen in der Schweiz ähneln dürften: etwa, dass das Frauenteam in der Platzzuteilung vereinsintern nach den Juniorenteams rangiere oder dass es mit Sammelaktionen selber für einen eigenen Kraftraum aufgekommen sei. Schärz nannte auch ihren Lohn: 2500 Franken brutto pro Monat – innerhalb der Liga einer der wohl besten Löhne. Es mache sie wütend, dass ein Mann auf ihrer Position mit ähnlichen Qualitäten und gleich vielen Trainings das Zehnfache verdiene.

Man weiss um das eklatante Lohngefälle im Fussball – Schärz bezifferte es bloss. Das hatte Folgen: Einige Spielerinnen seien ihr dankbar gewesen, diese Zahl mal gehört zu haben, sagte sie gegenüber der «taz». YB aber reagierte pimpelig. In einem Gespräch legte der Klub Schärz nahe, sich «nicht öffentlich politisch zu äussern». Das habe sie sehr wütend gemacht, sagte Schärz, auch wenn sie YB ein Stück weit verstehen könne – der Verein sei auch nur Teil dieses Systems. Dieses System, das heisst: abhängig von Aufmerksamkeit, Sponsoring, Geld.

Sie wünsche sich, sagte Schärz, dass der Frauenfussball in Richtung gleiche Löhne und gleiche Bedingungen für alle gehe, gleichzeitig sei es eine unschöne Vorstellung, dass er so kommerzialisiert werde wie bei den Männern. Es ist schade: Der professionelle Frauenfussball hat eine Spielerin verloren, die sich politisch und klug mit ihrem Metier auseinandersetzt. Dabei kann er kritische Köpfe besser brauchen als mutlose Maulkörbe, gerade wenn er in den nächsten Jahren – hoffentlich – wächst.