Sportgeschichte: «De facto gab es ein Fussballverbot für Frauen»
Wie haben Frauen in der Schweiz den Fussball erobert? Historikerin Marianne Meier erzählt vom langen Kampf gegen Abwertung und Diskriminierung – und von widerständigen Frauen, die einfach nur kicken wollten.

WOZ: Frau Meier, gemeinsam mit Monika Hofmann haben Sie ein Buch über die Geschichte des Schweizer Frauenfussballs geschrieben. Der Einstieg ist persönlich, er handelt davon, wie Sie in den neunziger Jahren als junge Frau, die Fussball spielte, oft Dinge hörten wie: «Was? Du spielst Fussball? Aber wieso?» Was lag diesen Fragen zugrunde?
Marianne Meier: Ich denke, sie hatten viel mit dem Idealbild des Frauseins von damals zu tun, in das der Fussball nicht reinpasste.
WOZ: Sie entsprachen nicht der Norm.
Marianne Meier: Das war das eine, aber ich hörte auch Sprüche wie: «Das hätte ich nicht gedacht von dir.» In diesen Bemerkungen steckte etwas sehr Wertendes, ja gar Abwertendes. Ich war keine echte Frau, wenn ich Fussball spielte. Oder wurde als Frau nicht ernst genommen.
Die Sporthistorikerin
Marianne Meier (49) ist promovierte Historikerin und Sportpädagogin am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern. Sie forscht an der Schnittstelle von Geschichte, Sport und Gender Studies.
2004 erschien Meiers Buch «‹Zarte Füsschen am harten Leder …›. Frauenfussball in der Schweiz 1970–1999». Sie spielt Fussball in der Alternativen Liga.

WOZ: Was haben Sie auf die Frage nach dem Wieso jeweils geantwortet?
Marianne Meier: Weil es mir Spass macht! Viele erwarteten, dass ein Kampf dahintersteckte. Dass ich der Welt etwas zeigen wollte. Dabei wollte ich einfach bloss Fussball spielen. Es ist interessant: Damals war völlig klar, wieso jemand diese Fragen stellte, heute muss man es erklären. Das zeigt, dass schon etwas gegangen ist in den letzten Jahren.
WOZ: Trotzdem werden auch heute noch einige Sportarten eher mit einem bestimmten Geschlecht verbunden.
Marianne Meier: Ja. Fussball ist, wie Eishockey oder Boxen, immer noch stark männlich konnotiert. Darauf verweist auch das Vokabular: So wurde ich manchmal gefragt, ob ich Frauenfussballerin sei. Wie absurd ist das? Es würde niemandem einfallen, von einer Frauenskifahrerin oder einer Frauentennisspielerin zu sprechen. Aber Fussball war so klar mit Männlichkeit verbunden, dass die Verdoppelung gar nicht so auffiel. Und bis heute gehen selbst Personen, die sich für Frauenfussball interessieren, oft automatisch davon aus, dass Männerfussball gemeint ist, wenn ich etwa vom Champions-League-Final spreche.
WOZ: Wieso ist das gerade beim Fussball so ausgeprägt?
Marianne Meier: Fussball hat vielerorts einen besonderen Stellenwert, ist auch stark mit Patriotismus und Traditionen verbunden. Ich denke, viele empfinden ihn als eine der letzten Männerbastionen, in die Frauen vordringen. Die Politik hat man hergegeben, das Militär und die Wirtschaft auch, aber der Fussball ist noch fest in Männerhand. Dabei ist dieses Bild historisch überhaupt nicht akkurat, Frauen spielen schon sehr lange Fussball.

WOZ: Ihre Geschichte des Frauenfussballs beginnt in den zwanziger Jahren. Die Frauen, die damals in der Schweiz kickten, gehörten der Oberschicht an.
Marianne Meier: Genau. Während es bei den Männern eher ein Sport der Arbeiterklasse war, waren es unter den Frauen ein paar sehr wohlhabende, die sich dem Fussball widmeten. Frei verfügbare Zeit war ein Privileg, und wirkliche Freizeit hatte eine Frau sowieso kaum. Der Haushalt war ja einerseits nie fertig und wurde gleichzeitig auch nicht als echte Arbeit angesehen, die Freizeit gerechtfertigt hätte. Fussball spielen gehörte sich auch nur für unverheiratete Frauen.
WOZ: Nach einer längeren Zeit mit wenigen historischen Quellen springt Ihr Buch in die sechziger Jahre. Damals gründeten Pionierinnen eigene Teams und organisierten Spiele. Zur selben Zeit galten in verschiedenen Ländern, darunter auch in der Bundesrepublik Deutschland, Fussballverbote für Frauen. Wie erklären Sie sich diese Gleichzeitigkeit?
Marianne Meier: Tatsächlich erliess der Deutsche Fussballverband 1955 ein Verbot. Trotzdem spielten in dieser Zeit auch in Deutschland viele Frauen Fussball, man nennt sie auch die «graue Spielzeit». Es existierten sogar zwei Frauenverbände. Aber insgesamt waren die Aktivitäten selbstorganisiert und zum Teil sehr lokal.
WOZ: Wie wurden die Verbote begründet?
Marianne Meier: Es hiess, man wolle die «liebliche Natur» der Frau bewahren. Und versuchte medizinisch-wissenschaftlich zu begründen, warum der Fussball für Frauen nicht geeignet sei oder ihnen sogar schade. Es kursierten lange zahlreiche Mythen, etwa, dass Frauen unfruchtbar werden, wenn sie einen Ball in den Bauch kriegen.
«Das Recht zu kicken»
Es musste auch erst erkämpft werden, das «Recht zu kicken»: Unter diesem Titel zeichnen die Historikerin Marianne Meier und die Geschlechterforscherin Monika Hofmann die Geschichte des Schweizer Frauenfussballs seit seinen Anfängen nach.
Sie beschäftigen sich dabei auch mit den Entwicklungen seit den neunziger Jahren: Wie sexistische und homophobe Vorurteile die Wahrnehmung des Frauenfussballs prägten, wird genauso beleuchtet wie die Frage, welche Rolle die Medien dabei spielten. Im Buch finden sich zudem zahlreiche Interviews mit den Fussballpionierinnen von einst, aber auch mit Trainerinnen und Spielerinnen von heute.
Marianne Meier und Monika Hofmann: «Das Recht zu kicken. Die Geschichte des Schweizer Frauenfussballs». Hier und Jetzt Verlag. Zürich 2025. 304 Seiten.
WOZ: Trotzdem ging man nicht überall gleich mit der Frauenfrage um.
Marianne Meier: Vor 1970 empfahlen der Weltfussballverband Fifa und der europäische Verband Uefa, den Frauenfussball einzudämmen – und die Nationalverbände bezogen sich vielfach auf diese Richtlinie. Gleichzeitig entstanden die nationalen Verbote jeweils in einem sehr spezifischen Kontext. In England etwa war es so, dass Frauen während des Ersten Weltkriegs die Jobs der Männer übernommen hatten, die an der Front waren. Gleichzeitig übten sie auch das dazugehörige Freizeitprogramm aus, wozu der Fussball gehörte. Als die Männer nach dem Krieg in die Fabriken zurückkehrten, wollten die Frauen weiter Fussball spielen, doch hätten sie dafür Plätze gebraucht, Tore, Infrastruktur. Das war nicht erwünscht: Sie sollten wieder zu Hause bleiben, und der Fussball sollte wieder den Männern gehören. Also erliess der englische Verband ein Verbot.
WOZ: Wie sah es in der Schweiz aus?
Marianne Meier: Es wurde zwar nie explizit ein Verbot ausgesprochen, aber de facto gab es auch hierzulande eines, wie der Fall von Madeleine Boll zeigt.
WOZ: Madeleine Boll erhielt 1965 im Alter von zwölf Jahren eine Fussballlizenz – allerdings nur, weil man sie für einen Jungen hielt.
Marianne Meier: Genau. Nachdem sie bei einem Juniorenspiel des FC Sion gegen Galatasaray Istanbul gespielt und die Medien über das Mädchen berichtet hatten, entzog ihr der Schweizer Fussballverband (SFV) die Lizenz sofort wieder. Man sagte, das sei nicht erlaubt, widerspreche den Statuten. Als sich andere Spielerinnen lizenzieren lassen wollten, bezog sich der SFV bei seinen Ablehnungen stets auf den Präzedenzfall Madeleine Boll. Man bot den Frauen stattdessen an, Schiedsrichterinnen zu werden – da herrschte sowieso ein Mangel.
WOZ: In Schweizer Medien wird Boll jeweils nicht ganz ohne Stolz als erste lizenzierte Fussballerin der Welt bezeichnet.
Marianne Meier: Meines Wissens war sie tatsächlich die erste lizenzierte Spielerin eines nationalen Verbands. Doch die Lizenz galt nur für wenige Tage und wurde irrtümlich erteilt. Aber je nach Framing scheint die Schweiz hier plötzlich sehr fortschrittlich.
WOZ: War sie es denn?
Marianne Meier: Ein Stück weit schon, ja. Die Schweizerische Damen-Fussball-Liga (SDFL) sowie die Frauennati wurden 1970 gegründet. Wenn man das mit anderen Ländern vergleicht: In Österreich etwa hat der Verband das Frauennationalteam erst 1990 anerkannt. Der italienische Fussballverband hat Frauen erst 1986 aufgenommen, obwohl das Land in den Siebzigern das Mekka des Frauenfussballs war. Gleichzeitig ist es so, dass die nationalen Verbände anderer Länder, als sie die Frauen anerkannten, diese dann auch wirklich integrierten.

WOZ: Die Schweiz tat das nicht?
Marianne Meier: Nein. Anfang der siebziger Jahre, als die SDFL gegründet wurde, erlebte der Frauenfussball einen allgemeinen Aufschwung. 1971 etwa fand in Mexiko eine inoffizielle Frauenfussball-WM mit sechs Teams statt, und beim Final waren 112 000 Zuschauer:innen im Stadion. Ich fand im Archiv einen Brief des Uefa-Generalsekretärs, der damals vor dem «Gespenst des Damenfussballs» warnte, das in Europa herumgehe und dem man Einhalt gebieten müsse. Man wollte keine Konkurrenz neben dem Männerfussball. Die Verbände sollten den Frauenfussball integrieren, um ihn zu kontrollieren und in Schach zu halten. Es hiess dann auch beim Schweizer Verband, wer Fussball spielen wolle, müsse als Frauenteam einem SFV-Männerklub angegliedert sein. Danach ist bis 1993 nicht mehr viel passiert – man duldete die Frauen lediglich.
WOZ: Ebenfalls bis 1993 dauerten offizielle Spiele im Frauenfussball nur zweimal 35 Minuten, waren also insgesamt zwanzig Minuten kürzer als die Matches der Männer.
Marianne Meier: Ja, je nach Land und Liga. Das war Teil derselben Strategie: kontrollieren und kleinhalten.
WOZ: Die ehemalige Nationalspielerin und Trainerin Margrit Näf, die in Ihrem Buch zu Wort kommt, äussert sich zur verkürzten Spielzeit für Frauen und meint, das habe ihr überhaupt nichts ausgemacht. Sie wirkt, wie viele Fussballpionierinnen in Ihrem Buch, seltsam unpolitisch.
Marianne Meier: Zum Teil waren die Frauen sogar explizit unpolitisch: Einige Fussballerinnen distanzierten sich von feministischen Forderungen, betonten, sie seien keine «Emanzen», sie wollten bloss Fussball spielen.
WOZ: Das haben Sie am Anfang dieses Gesprächs auch gesagt …
Marianne Meier: Ich habe diese beiden Dinge früher zwar nicht verknüpft, mich aber auch nie vom Politischen distanziert. Das Lustige ist, dass genau diese Argumentation – ich bin einfach ein Mensch wie jeder andere, der Fussball spielen möchte – ja eigentlich sehr politisch war.
WOZ: Wie erklären Sie sich dieses betont Unpolitische – wo diese Frauen ja Vorkämpferinnen waren?
Marianne Meier: Ich weiss nicht, ob es daran lag, dass es für viele Frauen zu viel gewesen wäre, wenn sie sich zusätzlich zum Fussball auch noch politisch engagiert und exponiert hätten. Einigen wäre das Fussballspielen vielleicht von den Eltern verboten worden. Ich habe versucht herauszufinden, ob es einen Zusammenhang zwischen Fussball und Aktivismus für das Frauenstimmrecht gibt, weil das ja in die gleiche Zeit fiel. Die meisten Spielerinnen, die ich dazu befragte, sagten, sie hätten sich nicht engagiert. Gleichzeitig fällt mir bei den Biografien der Fussballpionierinnen immer wieder auf, wie beharrlich sie waren. Und dass sie nie gefrustet wirken, wenn sie von damals erzählen. In Therwil zum Beispiel bekamen die Frauen zum Trainieren zeitweise einen Platz, der eigentlich eine Hundetoilette war. Sie mussten jedes Mal Hundekot zusammensammeln, bevor sie spielen konnten. Darüber lachen sie heute. Deswegen finde ich: stehen lassen und die Spielerinnen an ihren Taten messen.
WOZ: Sollte man sich als Feministin eigentlich für Frauenfussball interessieren – auch wenn man mit dem Sport ansonsten nicht viel anfangen kann?
Marianne Meier: Eine feministische Haltung steht für Geschlechtergerechtigkeit und Menschenwürde. Mit Fussball ist «im Normalfall» nach wie vor Männerfussball gemeint. Sichtbare Fussballerinnen tragen mit jeder Flanke und jedem Dribbling zur Dekonstruktion althergebrachter Geschlechterstereotype bei – also gute Argumente für jede Feministin.