Antifaschist:innen vor Gericht: «Ich ertrage diese Situation nicht mehr»

Nr. 27 –

Der deutsche Generalbundesanwalt hat sechs Antifaschist:innen angeklagt, die 2023 in Budapest Gewalt gegen Rechtsextreme begangen haben sollen. Derweil befindet sich Maja T. in einem ungarischen Haftspital im Hungerstreik.

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Maja T. am 12. Juni beim Verfahren in Budapest
Was tut die deutsche Regierung, um Maja T.s Grundrechte zu schützen?
T. am 12. Juni beim Verfahren in Budapest.
Foto: Daniel Alfoldi, Reuters

Als die WOZ Wolfram Jarosch am Montag dieser Woche telefonisch erreicht, trennen ihn noch zehn Kilometer vom Leipziger Zentrum. An diesem Mittag ist es bereits 27 Grad warm, innert weniger Stunden soll es noch deutlich heisser werden.

Vor zwei Tagen ist Jarosch in Jena losgelaufen. Sein Ziel: das Auswärtige Amt in Berlin. Am kommenden Montag will er dort auf das Schicksal seines Kindes Maja T. aufmerksam machen, eine Petition überreichen und beim deutschen Aussenminister Johann Wadephul Unterstützung einwerben.

«Wie kann es sein», fragt er am Telefon, «dass das Bundesverfassungsgericht die Verletzung von Majas Grundrechten nach Artikel 4 der Charta der Grundrechte der EU feststellt, aber die Bundesregierung so wenig unternimmt, um diese anhaltende Grundrechtsverletzung zu beenden?»

Das Schicksal von Maja T. hat in der deutschen Öffentlichkeit einige Beachtung erhalten. Die 24-jährige nonbinäre Person aus Jena muss sich seit Februar am Budapester Stadtgericht einem Verfahren stellen.

Juristisches Tauziehen

Zwei Jahre zuvor soll T. gemeinsam mit anderen Antifaschist:innen Teilnehmer des «Tags der Ehre» überfallen und zum Teil mit Schlagwerkzeug und Reizgas schwer verletzt haben. Beim «Tag der Ehre» handelt es sich um ein mehrtägiges Grossereignis mit einer der grössten Neonazidemonstrationen Europas (siehe WOZ Nr. 45/24).

Zwei Übergriffe werden Maja T. konkret vorgeworfen. In einem Fall – nach Kenntnis der WOZ handelt es sich um den Angriff auf drei rechte Ultranationalisten aus Polen – soll sich T. laut dem Generalbundesanwalt (GBA) «an der Ausspähung der Opfer» beteiligt sowie «während des Angriffs die Umgebung abgesichert» haben. In einem anderen Fall wird T. vorgeworfen, mit weiteren Angreifern zwei Personen «auf offener Strasse hinterrücks» attackiert zu haben.

Laut dem GBA soll ein Geschädigter «mit einem Schlag gegen den Kopf zu Boden gebracht» worden sein und «multiple Gesichts- und Schädelfrakturen» erlitten haben – auch weil man ihm, nachdem er schon bewusstlos gewesen sei, weiter gegen den Kopf geschlagen habe. Gemäss Recherchen der WOZ handelt es sich bei dem Mann um die ungarische «Blood and Honour»-Szenengrösse László Dudog.

Maja T. schweigt zu den Vorwürfen. Besondere Brisanz erhält dieser Fall, weil nach T.s Festnahme im Dezember 2023 und mehreren Monaten Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Dresden ein juristisches Tauziehen darüber entstand, ob T. überhaupt nach Ungarn ausgeliefert werden könne.

Das Kammergericht Berlin entschied im Juni 2024, dass dies möglich sei – wenige Stunden später wurde T. nach Ungarn überstellt. Selbst eine von der Verteidigung eingeholte Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, die Auslieferung sei vorerst zu stoppen, konnte nichts daran ändern (dasselbe Gericht erklärte diese Auslieferung im Februar 2025 gar für rechtswidrig). Italien und Frankreich untersagten ihrerseits die Auslieferungen von in diesem Fall beschuldigten Staatsbürger:innen nach Ungarn, weil dort eine menschenwürdige Unterbringung in Haft nicht gewährleistet sei.

Seitdem sitzt Maja T. unter teils fragwürdigen hygienischen Zuständen in Budapest in U-Haft. Am meisten mache seinem Kind die fast vollständige Isolation zu schaffen, sagt Wolfram Jarosch.

Weil das Budapester Gericht es bislang ablehnt, die U-Haft in einen Hausarrest umzuwandeln, ist T. seit dem 5. Juni im Hungerstreik. «Da seit elf Monaten eine menschenunwürdige Langzeiteinzelhaft auf meine rechtswidrige Auslieferung nach Ungarn folgt, wähle ich die letzte mir verbliebene Protestform – den Hungerstreik, denn ich ertrage diese Situation nicht mehr», erklärte T. Anfang Juni über eine Sprachnachricht.

Auch daran, dass Maja T. in Budapest ein faires Verfahren erhält, werden immer grössere Zweifel laut. T.s deutscher Anwalt Sven Richwin sagte in einem Interview: «Die ganze Verhandlungsführung des Richters hätte in Deutschland mehrfach zu Befangenheitsanträgen geführt […], weil er relativ wenig ein Geheimnis daraus macht, dass er Maja als schuldig ansieht.»

Weitere Verfahren im Anmarsch

Im Mai hat der Generalbundesanwalt sieben weitere Personen am Oberlandesgericht (OLG) Dresden angeklagt. Sechs von ihnen sollen Mitglieder, jemand Weiteres ein Unterstützer jener «linksextremen kriminellen Vereinigung» sein, der auch jene Personen angehören sollen, die das OLG im Mai 2023 verurteilte, und zu der nach dessen Überzeugung auch die Leipziger Studentin Lina E. gehört (siehe WOZ Nr. 35/21). Ihnen werden gewalttätige Angriffe auf Neonazis und Rechtsextreme an verschiedenen Orten in Deutschland vorgeworfen.

Unter den Beschuldigten ist auch Johann G., der Verlobte von Lina E., dem der Generalbundesanwalt eine «herausgehobene Stellung» innerhalb der Vereinigung zurechnet. Einige der mutmasslichen Taten wertet der GBA gar als «versuchten Mord». Ob die Anklage so Bestand haben wird, prüft derzeit der Staatsschutzsenat.

Am Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Bundesanwaltschaft zudem Anklage gegen sechs Antifaschist:innen erhoben, denen wie Maja T. Angriffe auf Neonazis und Rechtsextreme in Budapest vorgeworfen werden. Am OLG München wird in diesem Komplex seit Februar gegen die Aktivistin Hanna S. verhandelt.

Am Montagnachmittag schickt Wolfram Jarosch eine Nachricht: Maja T. sei aufgrund des schwachen Gesundheitszustands in ein Haftspital verlegt worden – an die rumänische Grenze, rund 200 Kilometer von Budapest entfernt. Jarosch drängt darauf, dass die deutschen Verantwortlichen nun «Druck machen», damit sein Kind sofort in den Hausarrest komme und ein faires Verfahren in Deutschland erhalte: «Jeder Tag in Haft ist ein Risiko für das Leben meines Kindes.»