Wichtig zu wissen: Nicht nur der Mist ist geführt
Ruedi Widmer über Stadtrund- und Sprachuntergänge

Leute, die mit Chat GPT schreiben, brauchen enorm viel Strom. Weil sie aber ihr Hirn nur noch ansatzweise benutzen, sollten sie aus Klimagründen dafür weniger essen.
Wenn diejenigen SVPler:innen, die finden, mit ihren 335 Franken Radio- und TV-Gebühren bezahlten sie «für die anderen», wüssten, wie viel mehr Steuern sie zahlen, weil viele noch reichere Parteigänger:innen gar keine entrichten! Das SRF wäre doch auch für sie wichtig, damit sie etwas über die Schweiz lernen, wo sie doch lieber in Dubai oder Florida hocken.
Viel lernen kann man auch, wenn man im Alltag einfach die Augen und Ohren spitzt (statt im Internet «endlich erwacht»). In den letzten Jahren wurden Stadtführungen wieder chic. So gibt es in den Städten allerlei thematische Führungen, zu feministischen Themen, zu architektonischen, migrantischen, industriellen, kulturellen, auf Personen bezogene. Schaffhauser:innen bieten eine Altstadtführung sogar «ohne Munot» an; es gibt Führungen für Geh- wie auch für Sehbeeinträchtigte, für Kinder wie für Grosseltern. Kürzlich war ich an der Führung «Magisches Stein am Rhein» – über den Drachentöter oder die Art, wie sich die Menschen im Mittelalter vor Ungemach geschützt haben. Die Personen, die solche Führungen durchführen, sind – weil man das Wort ja nicht so gerne sagt – weniger Führer als eher Vermittler. (Dummerweise reimt sich auch das auf Hitler.)
Der Erfolg solcher analoger Führungen ist wohl auch eine Reaktion auf die durch und durch elektronische Arbeits- und Freizeitwelt. Mittlerweile sind schon gut 65 Prozent der in unseren Altstadtgassen wandelnden Menschen Bestandteil irgendeiner Führung. Denn für Einkäufe werden die Innenstädte wegen Temu und Zalando immer weniger gebraucht, und es gibt auch fängs nur noch überall die gleichen Ladenketten. Fängs (oder afängs, efang, afäche, afe) ist auch ein vergessenes Wort – wie auch ämel, amel, emel, emu – «ich tuen amel no sälber schriibe und nid mit Chat GPT» («jedenfalls», «sicherlich», aber eigentlich gibt es kein deutsches Pendant). Solche Worte sagen schon meine Kinder nicht mehr.
Diese Grosselterndialektworte stimmen mich heimatlich, ganz im Gegensatz zu den «patriotischen» Demonstrationszügen kürzlich durch unsere postkonsumistische Altstadt (Winterthur). Man kann auch auf Tiktok in den Threads der wütenden ländlichen Eidgenossenschaft, in denen gerne «Mundart» geschrieben wird, lange suchen, bis man solche schweizerdeutschen Wörter liest. Auch in der SVP-Schwiiz «chauft mer ii» oder «betrachtet das als Herusforderig …». Immerhin kommt da noch «Tracht» darin vor, aber das Schweizerdeutsch wird rasant durch Schweizerdeutsch ausgesprochenes Hochdeutsch verdrängt. Sprache lebt, einverstanden, aber sie könnte manchmal etwas gesünder leben.
Im Zürichdeutschen kenne ich aus meiner Schulzeit in den Achtzigern noch ein verschwundenes Wort, das ich bis heute nicht ganz begreife, «Ich han ebe s’schnällere Töffli, hesch».
Die Gemütlichkeit der Schweizer Politik harmoniert nicht mit der knallharten US-amerikanischen Rüstungspolitik, hesch. Da werden selbst die bauernschlausten Schweizer:innen über den Tisch gezogen. Unsere Volksvertreter:innen gönnen sich nach dem politischen F-35-Kampf im Gegensatz zu den Amis aber wenigstens noch ein, zwei, drei Bier mit dem politischen Gegenpol. Und mit dem Volk auch mal Weisswein und Bratwurst. Gesund ist das zwar nicht, aber wer als volksverbundene:r Parlamentarier:in deswegen genug fest in die Breite geht, macht im Rat möglicherweise einen zusätzlichen Sitzgewinn.
Bald wird man wegen der grossen Nachfrage bei den Stadtführungen die teils sehr schmalen Altstadtgassen verbreitern und deshalb die schönen Hausfassaden abreissen müssen.
Ruedi Widmer führt ein Zeichnungsatelier in Winterthur.