Film: Die Wüste bebt

Zu Beginn Handgriffe. Für einen illegalen Rave in der marokkanischen Wüste wird eine Boxenwand aufgebaut, kurz darauf hämmern Technobeats über die Ebene. Mittendrin: Luis (Sergi López) und sein zwölfjähriger Sohn Esteban (Bruno Núñez), die mit Flugblättern nach der verschwundenen Tochter suchen. Als das Militär die Party auflöst, hängen sich Vater und Sohn an eine Gruppe von Raver:innen mit alten Trucks und machen sich mit ihnen auf den Weg durch die Wüste und das Atlasgebirge zum nächsten Rave.
Viel mehr darf man eigentlich nicht verraten über den vierten Spielfilm von Óliver Laxe. Der französische Regisseur verbindet in «Sirāt» Familiendrama mit Roadmovie und pflanzt seine Geschichte in eine präapokalyptisch anmutende Welt, als hätte ein Werner Herzog «Mad Max» neu verfilmt. In Cannes wurde Laxe dafür mit dem Jurypreis ausgezeichnet, gemeinsam mit Mascha Schilinski für «In die Sonne schauen». Die Kritik diskutierte den Film dort kontrovers – ein gutes Zeichen für ein Kino, das, wie «Sirāt», selbstbewusst seine assoziative Offenheit zelebriert.
Umgeben von Militärs und begleitet von Radionachrichten, die einen dritten Weltkrieg andeuten, schieben sie sich durch die Wüste: Vater und Sohn und die von Lai:innen gespielten Raver:innen, deren tätowierte Körper mit teils fehlenden Gliedmassen eigene Geschichten erzählen. Je weiter sie vorankommen, desto mehr wird aus dem Road- ein existenzialistischer Trip, auf dem sich das Konkrete und das Abstrakte berühren. Ein weiterer Protagonist ist der mal stampfend-dräuende, mal sphärische Sound von Kangding Ray.
Mit radikaler Konsequenz und audiovisueller Wucht erzählt Laxe von Empathie und Liebe, von Hedonismus und Verlust im Angesicht des Abgrunds. «Sirāt» bedeutet im Arabischen «Weg» oder «Pfad» und bezeichnet im islamischen Glauben, wie dem Film vorangestellt ist, eine Brücke, «dünn wie ein Haar und scharf wie ein Messer», über die Verstorbene auf dem Weg ins Paradies müssen. Zwischen Humanismus und Tod lässt Laxe es krachen, buchstäblich und erbarmungslos.