Gastbeitrag: Die Straflosigkeit muss ein Ende finden

Nr. 36 –

Bei der Zerschlagung der Tamil-Tigers-Bewegung wurden bis zu 170 000 Tamil:innen getötet. Sri Lanka weigert sich, den Völkermord anzuerkennen. Hier könnte die Schweiz ein Signal setzen.

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Die Erde im tamilischen Nordosten Sri Lankas ist berühmt für ihre rote Farbe, doch in Chemmani, einem Dorf nahe der Stadt Jaffna, offenbart sie eine lange verdrängte Wahrheit.

Während Bauarbeiten fand man im Februar menschliche Überreste, die seit Mai von einem forensischen Team unter den wachsamen Augen von tamilischen Journalist:innen und Anwält:innen exhumiert werden. Bislang hat dieses Team 222 Skelette gefunden, die Spuren von Folter, Fesselung und gewaltsamer Tötung aufweisen. Auch Kinder waren darunter, zum Teil noch mit Spielzeug oder Schultaschen am Körper. Die tamilischen Forderungen ­– aus der Zivilgesellschaft, von politischen Parteien und Opfergemeinschaften – sind klar: Damit das Massengrab und andere mögliche Verbrechen von sri-lankischen Sicherheitskräften endlich aufgearbeitet werden, braucht es konsequenten internationalen Druck. In diesem Punkt steht auch die Schweiz in der Verantwortung.

Die Entdeckung des Massengrabs sorgt sogar in der singhalesischen Mehrheitsgesellschaft für Schlagzeilen. Die Probleme der tamilischen Bevölkerung im Nordosten Sri Lankas finden im Rest der Insel sonst nur wenig Beachtung. Für viele Tamil:innen war der Fund hingegen keine Überraschung, denn Chemmani war bereits ein geläufiger Begriff.

Fehlender Wille für politische Lösung

1996 wurde Krishanthi Kumaraswamy, eine junge Tamilin, von singhalesischen Soldaten auf dem Schulweg in Kaithady, dem Nachbardorf von Chemmani, vergewaltigt und ermordet. Als sich Familienmitglieder auf die Suche begaben, wurden auch sie getötet und verscharrt. Solche Gewalt durch staatliche Sicherheitskräfte in den tamilischen Gebieten war während des bewaffneten Konflikts zwischen der sri-lankischen Regierung und den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) von 1983 bis 2009 weitverbreitet.

Doch Kumaraswamys Fall sorgte erstmals landesweit für Aufsehen und zwang die Regierung zu einer Untersuchung. Im Gerichtsprozess sagte ein Soldat 1999 aus, dass sich in Chemmani noch Hunderte Leichen in Massengräbern befänden. Damals wurden nur fünfzehn weitere Leichen exhumiert, bevor die Regierung die Ermittlungen wieder abbrach. Während des Prozesses wurden Zeug:innen bedroht oder Hinweise vertuscht. Das ist kein Einzelfall: Mehrere frühere Untersuchungen von Massengräbern in Sri Lanka haben zu keinen Resultaten geführt, weshalb die tamilische Gemeinschaft ein internationales Monitoring durch forensische Expert:innen fordert.

Chemmani steht exemplarisch für die Straflosigkeit in Sri Lanka. Während der brutalen Militäroffensive Anfang 2009, mit der die Regierung die LTTE zerschlug, wurden laut Schätzungen der Uno sowie von Menschenrechtsorganisationen zwischen 70 000 und 170 000 Tamil:innen getötet. Die Armee bombardierte Spitäler und sogenannte «No Fire»-Zonen. Gefangene wurden vergewaltigt und exekutiert.

Beharrliche Arbeit von Aktivist:innen

Bis heute fordern Tamil:innen eine Aufarbeitung dieser Verbrechen sowie eine Anerkennung des Völkermords durch den sri-lankischen Staat. Die dortige Regierung verweigert jedoch seit Jahren jede unabhängige Untersuchung und begeht gemäss Uno-Berichten und NGO-Recherchen weiterhin Menschenrechtsverletzungen. Besonders im tamilischen Nordosten protestieren viele gegen die andauernde Militarisierung und die willkürliche Anwendung des international stark kritisierten, seit 1979 bestehenden Antiterrorgesetzes, das etwa eine Aussageverweigerung unter Strafe stellt und eine achtzehnmonatige Untersuchungshaft ohne reguläres Verfahren erlaubt.

Obwohl der Krieg bereits sechzehn Jahre zurückliegt, fehlt der Regierung weiterhin der Wille für eine politische Lösung des weiterhin schwelenden ethnischen Konflikts. Lösungsvorschläge für die Wurzeln des Konflikts wie eine Abschaffung des zentralistischen Einheitsstaats oder die Anerkennung einer tamilischen Nation werden von den singhalesisch-buddhistischen Mehrheits­­vertreter:innen pauschal als «Separatismus» diffamiert. Es überrascht deshalb kaum, dass die tamilische Bevölkerung im Nordosten, 76 Jahre nach der Unabhängigkeit Sri Lankas von der britischen Kolonialmacht, eine vereinheitlichte «sri-lankische» Identität ablehnt und etwa den Unabhängigkeitstag mit schwarzen Flaggen boykottiert.

Leider glauben immer noch viele politische Entscheidungsträger:innen, auch in der Schweiz, dass eine «Versöhnungspolitik» ohne strafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen der Weg zum Frieden sei. Die tamilischen Opfer fordern aber deutlich, dass für einen nachhaltigen Frieden zunächst eine Anerkennung der Verbrechen wie auch eine Rechenschaftspflicht nötig sind. Allzu oft haben sie die Erfahrung gemacht, dass der Staat das Schlagwort «Versöhnung» verwendet, um sich internationale Legitimität zu verschaffen, ohne auch nur ein Versprechen nachhaltig umzusetzen.

Immerhin führte die jahrelange Arbeit tamilischer Aktivist:innen und anderer Menschenrechtsverteidiger:innen dazu, dass die internationale Gemeinschaft zunehmend Druck auf die sri-lankische Regierung ausübt. Zurzeit darf das Büro des Uno-Hochkommissars für Menschenrechte aktiv Beweismittel für allfällige Gerichtsverfahren zu Vergehen gegen das Völkerrecht in Sri Lanka sammeln. Damit das wichtige Mandat aber greift, braucht es endlich strafrechtliche Verfahren gegen Kriegsverbrecher und den sri-lankischen Staat.

Die Möglichkeiten der Schweiz

Denkbar wäre ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, das jedoch den Mut und den politischen Willen eines anderen Vertragsstaats benötigt, wie im Fall des Antrags Gambias gegen Myanmar wegen der Verfolgung der muslimischen Rohingya. Ebenso denkbar wäre ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC), wo es nicht um Staaten, sondern um einzelne Personen geht. Das dürfte allerdings nur schwer realisierbar sein. Da Sri Lanka das Römer Statut nicht ratifiziert hat, kann der ICC nur auf Zuweisung des Uno-Sicherheitsrats, der aktuell komplett blockiert ist, Ermittlungen einleiten.

Aber es gibt Wege für Staaten, dennoch aktiv zu werden. Das Weltrechtsprinzip erlaubt es, Vergehen gegen das Völkerrecht strafrechtlich zu verfolgen – auch ohne direkten Bezug zum entsprechenden Land. So verurteilte das Bundesstrafgericht in Bellinzona 2021 einen liberianischen Militärkommandanten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Auch politisch könnte die Schweiz, wo die tamilische Diaspora längst Teil der Gesellschaft ist, stärkere Zeichen gegen die Straflosigkeit setzen. In Kanada hat das Parlament den Völkermord an den Tamil:innen politisch anerkannt. Dass so etwas auch in der Schweiz möglich ist, zeigte die Anerkennung des Völkermords an den Jesid:innen durch den Nationalrat im letzten Jahr. Bilateral könnte die Schweiz ihr Engagement in Sri Lanka an Bedingungen knüpfen, zum Beispiel die Ratifizierung des Römer Statuts oder die Abschaffung des drakonischen Antiterrorgesetzes. Und auch in Genf, wo kommenden Montag im Uno-Menschenrechtsrat der neuste Bericht zu Sri Lanka besprochen wird, kann die Schweiz ihre gewichtige Stimme nutzen, um die systematische Straflosigkeit klar zu benennen.

Dies wäre auch ein deutliches Signal an andere Staaten, die heute mit ähnlichen Methoden operieren wie Sri Lanka und sich erhoffen, dass ihre Verbrechen irgendwann in Vergessenheit geraten.

Sahithyan Thilipkumar (29) ist Mitglied der NGO People for Equality and Relief in Lanka (Pearl), die sich für die Rechte der tamilischen Bevölkerung im Nordosten Sri Lankas einsetzt. Er berät regelmässig diplomatische Vertreter:innen und Uno-Institutionen und reist regelmässig nach Sri Lanka. Hauptberuflich arbeitet er als Jurist in Zürich.