Emissionshandelssystem statt Co₂-Abgabe: Systemwechsel in der Schweizer Klimapolitik
Mit der «Klimapolitik nach 2030» plant der Bundesrat nichts weniger, als die bestehenden Klimagesetze umzupflügen.
Die Schweizer Klimagesetzgebung ist ein ziemlicher Flickenteppich. Für Emissionen aus Treibstoffen wie Benzin und Diesel gibt es eine Kompensationspflicht: Importeure müssen für einen Teil des CO₂, das sie in Form von Benzin oder Diesel in die Schweiz bringen, Kompensationszertifikate kaufen. Das führt schliesslich auch zu einem Aufpreis an der Zapfsäule. Anders – und nochmals komplizierter – sind die Regeln für fossile Brennstoffe wie Heizöl oder Erdgas: Privathaushalte und kleinere Firmen bezahlen die CO₂-Lenkungsabgabe von 120 Franken pro Tonne CO₂. Mittelgrosse Emittenten wie Ems Chemie, Nestlé oder Bell haben für gewöhnlich eine CO₂-Zielvereinbarung mit dem Bund, die festhält, was für Klimaschutzmassnahmen die Unternehmen umsetzen müssen. Im Gegenzug sind sie von der CO₂-Abgabe befreit. Die ganz grossen Emittenten, vor allem Konzerne aus der Schwerindustrie wie der Baustoffriese Holcim, das Stahlunternehmen Steeltec oder Varo, die letzte Erdölraffinerie der Schweiz, bezahlen weder CO₂-Abgabe, noch haben sie eine CO₂-Zielvereinbarung. Stattdessen machen sie beim Emissionshandelssystem mit, dem sogenannten EHS1.
Dieser Flickenteppich soll ab 2031 weggeräumt werden, das hat der Bundesrat vorletzte Woche mitgeteilt. Kompensationspflicht, CO₂-Abgabe und wohl auch CO₂-Zielvereinbarungen sollen fallen und durch das EHS2 ersetzt werden: ein Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr. Das EHS (vgl. «Ein marktorientiertes Planspiel» im Anschluss an diesen Text) wäre damit das wichtigste Regulierungs- und Bepreisungsinstrument für CO₂ – und die «Klimapolitik nach 2030» nichts Geringeres als ein Systemwechsel in der Schweizer Klimagesetzgebung.
Im besten Fall nicht schlechter
Viel hat der Bundesrat dazu noch nicht verraten. Aber bereits mit den Eckwerten zur Umsetzung lässt sich sagen: Passieren wird wenig – beziehungsweise das Falsche. Für zentrale Emissionen wie die, die wir mit unserem Konsum im Ausland verursachen, bleibt die Klimapolitik blind. Genauso wenig sind Regeln für die Klimaverschmutzung geplant, die durch den Finanzplatz ausgelöst wird. Besonders stossend: Mit dem aktuellen Plan würden die Schrauben, die in der Klimapolitik eigentlich laufend angezogen werden müssten, gelockert werden.
Denn anders als im bereits existierenden Emissionshandelssystem für die Schwerindustrie (EHS1) will der Bundesrat im neu geplanten EHS2 für die Verkehrs- und Heizemissionen einen Maximalpreis festlegen: Der Preis pro Tonne CO₂ aus Heizöl soll auf 120 Franken und bei den Treibstoffen auf 20 Franken begrenzt werden. Diese Beiträge würden der aktuell geltenden CO₂-Abgabe beziehungsweise dem aktuell maximalen Kompensationsaufschlag von fünf Rappen pro Liter Treibstoff entsprechen, schreibt der Bundesrat in der Medienmitteilung zur «Klimapolitik nach 2030». Das stimmt, aber: Heute bezahlen Privathaushalte auf ihre Heizemissionen exakt 120 Franken. Im geplanten EHS2 wären es maximal so viel. Der Preis könnte also auch unterhalb der jetzigen CO₂-Abgabe zu liegen kommen. Anders gesagt: Das neue CO₂-Gesetz würde bei den Gebäudeemissionen im besten Fall gleich streng bleiben. An der Zapfsäule dürfen die Treibstoffimporteure ihrer Kundschaft für das mitgetankte CO₂ heute maximal fünf Rappen pro Liter Benzin verrechnen. Selber hinlegen müssen sie acht Rappen pro Liter. Würde man im neuen EHS den Preis auf fünf Rappen deckeln, käme es für die Treibstofffirmen sogar billiger – weil sie dann die gesamten Kosten auf ihre Kundschaft abwälzen könnten.
Billiger als in der EU
Die Bestrebungen, den CO₂-Preis nicht von heute auf morgen exorbitant ansteigen zu lassen, sind nachvollziehbar. Auch in der EU ist ein zweites EHS für Verkehr und Gebäude geplant. Und auch dort soll der Preis gedeckelt werden. Nur: In der EU sind es nicht 20 Franken, sondern 45 Euro pro CO₂-Tonne, die man den Leuten zwischen Portugal und Rumänien beim Tanken zumutet. In der Schweiz kommt man an der Zapfsäule im Vergleich also recht billig weg.
Klar ist: Einheitlichkeit wäre ein Gewinn. Der heutige Flickenteppich erlaubt es Unternehmen, mit den verschiedenen Instrumenten so zu spielen, dass ihnen nur gerade das Minimum an Ausgaben und Engagement für den Klimaschutz abverlangt wird. Weniger klar ist hingegen, ob das EHS das Instrument der Wahl sein sollte, oder die bereits etablierten geeigneter wären. Eine im April vom Bundesamt für Umwelt veröffentlichte Analyse des EHS1 kommt zum Schluss, dass das System bei der Schwerindustrie praktisch nichts gebracht hat. Denn aus Angst, diese könnte bei zu hohen CO₂-Kosten ihre Produktion ins Ausland verschieben, wurden im Schweizer EHS1 in den letzten Jahren fast alle Emissionsrechte verschenkt anstatt verkauft (siehe WOZ Nr. 38/25). Anders in Deutschland: Eine der grössten CO₂-Quellen ist dort die Herstellung von Strom aus heimischer Kohle, die man direkt vor Ort in riesigen Kohlegruben abbaut. Da die Kohleverstromung deshalb nicht ins Ausland abwandern kann, erhält sie im Vergleich zu anderen Industrien wenig Gratisemissionsrechte und muss den Grossteil der Emissionsbewilligungen selber kaufen. Das führte dazu, dass das CO₂ aus dieser Herstellung teurer – und Solarstrom konkurrenzfähiger wurde. Bei den deutschen Kohlekraftwerken hat das EHS also tatsächlich einen Preis gesetzt. Das Beispiel zeigt: Ein sinnvolles System setzt einen Preis. Das geht auch mit dem EHS, lässt sich aber mit einer CO₂-Abgabe viel direkter tun. Das EHS bleibt ein überdimensioniertes Planspiel.
Emissionshandelssystem EHS: Ein marktorientiertes Planspiel
Die Grundidee des Emissionshandelssystems (EHS) ist simpel: Wer Treibhausgase ausstossen will, braucht dafür Emissionsrechte. Diese sind also eine Art Parallelwährung, mit der man für die Verschmutzung, die man verursacht, bezahlt. Geschöpft werden sie durch den Staat: Dieser bestimmt, wie viel Emissionsrechte pro Jahr neu herausgegeben werden, und verknappt deren Anzahl Jahr für Jahr. Spätestens 2050, wenn das Netto-null-Ziel erreicht werden soll, sollen keine Emissionsrechte mehr herausgegeben werden.
Anders als bei einer Abgabe oder einer Steuer kann der Staat den Preis, den man für eine Tonne CO₂ bezahlen muss, bei einem EHS nicht mehr direkt setzen, sondern lediglich versuchen, den Preis indirekt zu steuern, indem er mehr oder weniger Emissionsrechte schöpft. Den CO₂-Preis bestimmen Angebot und Nachfrage: Je mehr Emissionsrechte auf dem Markt sind, desto tiefer sind die Preise. Werden sie knapp, wird das Emittieren teurer.
Wie viele Emissionsrechte im Umlauf sind, ist aber auch davon abhängig, wie schnell die Emissionen reduziert werden. Gibt der Staat weniger Emissionsrechte heraus oder wird weniger Klimaschutz umgesetzt, werden die Emissionsrechte knapp und das Recht, eine Tonne zu emittieren, verteuert. Gibt er mehr Rechte heraus oder wird viel Klimaschutz umgesetzt, steigt die Menge der Emissionsrechte auf dem Markt, und der Preis pro Emissionstonne sinkt – Klimaverschmutzung wird wieder billiger.
Das heisst im Klartext: Klimaschutz verbilligt Klimaschmutz. Durch diese Rückkopplung sabotiert sich das System zumindest teilweise selber.