Rosa Luxemburg: Endlich erhält sie ihren Platz
Eine lange Posse geht zu Ende: Zürich ehrt seine grösste Revolutionärin.

Durch Zürichs Entwicklungsgebiet im Westen der Stadt verlaufen vielerorts Bahngleise ohne Anfang, ohne Ende und ohne Nutzen. Eine Masche der Stadtplanung, um den neuen Wohn- und Büroquartieren eine industrielle Patina zu verleihen.
Auch an der Hohlstrasse, die raus nach Altstetten führt, gibt es solche Schienen. Sie befinden sich auf einem kleinen Platz, der an den frisch eröffneten, bauchigen Wohnturm Letzibach anschliesst. Aktuell ist der Platz noch von Baugeräten zugestellt, bald aber soll er fertig sein und einen Namen erhalten. Er wird dann stärker an die geschundene Arbeiter:innenschaft erinnern als alle dekorativen Gütergleise zusammen: Zürichs Rosa-Luxemburg-Platz.
Die für die Strassennamen zuständige grüne Sicherheitsdirektorin Karin Rykart bestätigt entsprechende Informationen der WOZ: Sie werde dem Stadtrat in einer der nächsten Sitzungen den Vorschlag unterbreiten, den neuen Platz nach der deutschen Revolutionärin zu benennen. Es ist das überraschend erfreuliche Ende einer langen, bizarren Diskussion, in der sich Rykart nach Kräften bemüht hatte, den Platz zu verhindern.
Lieber Männern gedenken
Angefangen hatte die Debatte 2019, exakt hundert Jahre nach Luxemburgs Tod. «Baut dieser Frau endlich ein Denkmal!», forderte damals die Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji in der «Republik». Und im Stadtparlament reichten David Garcia Nuñez und Ezgi Akyol von der Alternativen Liste (AL) einen Vorstoss ein, in dem sie die rot-grüne Regierung aufforderten, einen Park nach der grossen Marxistin zu benennen.
Denn Luxemburg hatte prägende Jahre in Zürich verbracht. Aus dem russisch besetzten Polen war sie 1889 nach Zürich geflohen, um dort an der Universität Recht und Volkswirtschaftslehre zu studieren und zu doktorieren. Luxemburg bekämpfte nicht nur als linke Jüdin das System, sondern auch als Migrantin: Um nach Deutschland reisen zu können, ging sie eine Scheinehe ein. In Berlin wurde sie schliesslich beim Spartakusaufstand 1919 von rechten Milizen ermordet.
Doch gedacht wird im rot-grünen Zürich vornehmlich konservativen Männern. Besonders wohlgesinnt ist man etwa dem Hexentheoretiker Heinrich Bullinger. Es gibt einen Bullingerplatz, eine Bullingerstrasse, eine Bullingerkirche (wo das Parlament aktuell tagt) und eine Bullingerskulptur am Grossmünster. Viel Ehre für einen Mann mit schändlichem Werk. An Gotthardtunnelplaner Alfred Escher, vermögend geworden auch dank der Sklaverei, denkt Zürich ebenfalls gerne zurück. «Er grüsst einen praktisch von jeder Strassenecke», bemerkt Garcia Nuñez.
Bei Rosa Luxemburg dagegen war der Widerwille spürbar, ihr öffentliche Anerkennung zukommen zu lassen. Zwei Jahre dauerte es allein, bis das Postulat von Garcia Nuñez und Akyol im Rat traktandiert wurde. Dort sprach Garcia Nuñez von der «grossen Ruhestörerin», die sich in Zürich sehr wohlgefühlt habe, und von Rosa-Luxemburg-Momenten in der eigenen politischen Arbeit: «Wenn wir Ängste überwinden, um das zu sagen, was ist.» Das Parlament überwies das Postulat – und die AL jubelte bereits öffentlich über den kommenden Rosa-Luxemburg-Park.
Von den Rändern her politisiert
Doch Rykart hatte anderes im Sinn. Gleich zweimal wollte sie den Vorstoss abschreiben lassen. Dazu braucht es die Zustimmung der Geschäftsprüfungskommission. Einmal argumentierte Rykart, ihre Beamt:innen hätten die vorgeschlagene Grünfläche – einen kleinen, aber zentralen Park im Aussersihlquartier – gar nicht finden können. Das zweite Mal erklärte sie der GPK, der Ort sei zu wenig gross, um der Bedeutung Luxemburgs gerecht zu werden. «Den Männern das Zentrum, den Frauen Zürich Nord», titelte «Tsüri.ch». Beide Male verweigerte die GPK nach Intervention der AL-Fraktion das Abschreiben des Vorstosses.
Rykart führte jeweils Bedenken der sogenannten Strassenbenennungskommission an, eines obskuren Gremiums, das aus verschiedenen leitenden Beamt:innen und Rykart als Präsidentin besteht. Und die etwa bestimmt, dass Strassen grundsätzlich nicht umbenannt werden. «Aber wer würde denn eine Grüngasse oder die Nordstrasse vermissen?», fragt Garcia Nuñez angesichts von angeblich mehreren Hundert Frauen auf der Warteliste der Kommission für eine Ehrung im öffentlichen Raum. Der AL-Politiker spricht mit Blick auf diese Kommission von einer «Dunkelkammer mit wahnsinniger Macht über die kollektive Erinnerung».
Immerhin hat der parlamentarische und öffentliche Druck im Fall von Rosa Luxemburg gewirkt. Garcia Nuñez ist zufrieden mit der neuen Platzwahl: «Ich wollte keine Sackgasse in Leimbach.» Altstetten sei das neue Durchschnittszürich, findet er, mit Genossenschaften, Banker:innen, Alteingesessenen und migrantischen Familien – alle Schichten, alle Milieus. Er malt sich schon allerlei Dinge aus, die auf dem neuen Platz passieren werden: «Leute werden sich dort treffen, sie werden sich küssen, sie werden streiten, sie werden protestieren.» Garcia Nuñez wünscht sich dort ein jährliches Fest seiner Partei. Und dass Demonstrationen künftig vom Rosa-Luxemburg-Platz aus losziehen statt vom Helvetiaplatz und somit Zürich von seinen Rändern her neu politisiert wird: «Der Platz ist jetzt da – und niemand kann ihn uns wieder wegnehmen.»