Limmattal: Tram in die Zukunft

Nr. 9 –

Zwischen Zürich und Baden wird emsig geplant, gebaut und entwickelt. Doch was bewegt das Limmattal abseits von Standortmarketing und Richtplänen? Unterwegs auf der kürzlich eröffneten Tramstrecke zwischen Altstetten und Spreitenbach.

Bild der Limmattalbahn an einer Haltestelle

Mitten in Schlieren stand einst eine riesige Rotbuche. Etwa achtzig Jahre lang, doch dann war der Baum plötzlich im Weg. Das Verkehrsnetz sollte weiter ausgebaut werden, mit der Limmattalbahn, einer Tramlinie von Zürich Altstetten bis in den Aargau. Im Quartier machte die geplante Fällung viele wütig, plötzlich outeten sich zahlreiche Baumfans, Rentner:innen erinnerten sich, wie sie damals, als Schlieren noch ein Dorf war, unter der Krone der Buche ihren ersten Kuss erlebt hatten. 4600 Leute unterschrieben eine Petition zur Rettung des Baums.

Vielleicht hatte die Stadtregierung ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Bevölkerung, immerhin wollte sie die Ortsmitte innerhalb weniger Jahre komplett umpflügen. Jedenfalls entschied man sich für einen Rettungsversuch. Im Winter 2018 versammelte sich viel Volk, um der grössten Baumverpflanzung in der Schweizer Geschichte beizuwohnen. Mit riesigen Kränen wurde der gegen hundert Tonnen schwere Baum aus der Erde gehoben und auf einem riesigen Lastwagen im Schleichtempo an einen neuen Platz 150 Meter entfernt gebracht. Der darauffolgende Hitzesommer setzte dem Baum stark zu, im Jahr darauf wurde er gefällt.

Eine kleine Tragödie – doch ist die Geschichte auch eine Allegorie auf die unsanfte Entwicklung im Limmattal, wo lokale Lebenswelten von Verkehrsinfrastruktur und Überbauungen überrollt werden? Prägend für das Tal ist seit jeher der Durchgangsverkehr: in vormoderner Zeit auf der Limmat, ab 1847 auf der ersten Schweizer Bahnlinie, der Spanisch-Brötli-Bahn zwischen Zürich und Baden, ab 1971 auf der A1 mit dem ikonischen «Fressbalken» bei Würenlos. Viele kennen das Limmattal nur von der Autobahn oder vom Zugfenster aus, ein kürzlich im Verlag Hier und Jetzt erschienenes Buch über das Tal trägt den Titel: «Hinschauen statt durchfahren».

Seit einem guten Jahrzehnt erlebt vor allem der Zürcher Teil des Limmattals den zweiten Wachstumsschub und Bauboom nach dem Zweiten Weltkrieg. In den fünfziger und sechziger Jahren schwappte das von der Hochkonjunktur getriebene Bevölkerungswachstum von den Kernstädten auf die Agglomerationen über. Die einstigen Bauerndörfer Schlieren und Dietikon wuchsen der Grösse nach zu Kleinstädten heran. Hier trug auch die an der Limmat angesiedelte Industrie dazu bei, die Fabrik der Firma Rapid etwa, die in Dietikon Landmaschinen herstellte.

Nach der teilweise brutalen Deindustrialisierung – unter der Schliessung der Schweizerischen Wagons- und Aufzügefabrik litt Schlieren noch lange – brummen heute neue Wirtschaftszweige. Wo einst die Fabriken der «Wagi» standen, beschäftigt eine Wirtschaftszone für Firmen aus dem Biotechnologiebereich heute mehr als doppelt so viele Menschen wie der einstige Industriebetrieb. Schlieren und Dietikon wachsen wieder stark, seit 2000 nahm ihre Bevölkerung um je über dreissig Prozent zu – in Schlieren auf 20 000 Einwohner:innen, in Dietikon auf 28 000. Im ganzen Limmattal, von den äusseren Kreisen der Stadt Zürich bis zum Wasserschloss bei Brugg, leben heute rund 300 000 Menschen, 2050 könnten es gegen 400 000 sein.

Ein Zufall ist das nicht. Um die Zersiedelung aufzuhalten, hat der Kanton Zürich die an seine Hauptstadt angrenzenden und bereits gut erschlossenen Gebiete Limmattal und Glatttal als Wachstumszonen definiert. Nicht zuletzt ziehen auch Leute hierher, die in Zürich keine bezahlbare Wohnung mehr finden. Auch kein Zufall ist, dass diese beiden Täler heute mit Tramlinien an die Stadt angeschlossen sind. Die erste Etappe der Glatttalbahn wurde bereits 2006 eröffnet, die Limmattalbahn fährt seit 2019 bis Schlieren, seit letztem Dezember bis zum Bahnhof Killwangen-Spreitenbach.

Auf einer Tramreise durch den urbaneren Teil des Tals südlich der Limmat fallen die Zeichen des Wandels ins Auge: vor kurzem von null auf erbaute Stadtteile, historische und stilistische Bruchlinien, von Bauprofilen umzingelte Brachen und Bruchbuden. Wenn im scheinbaren Irgendwo der Agglo ein Tram mit der Aufschrift «Bahnhof Altstetten» auftaucht, behauptet es keck etwas Städtisches – aber fühlt sich auch das Leben hier so an?

Blick aus einem Tram der Limmattalbahn

Spricht man mit Menschen entlang der Strecke, stellt sich heraus: Im Gegensatz zur Entwicklung der Infrastruktur verläuft die gesellschaftliche nicht linear. Das Bewusstsein etwa, dass staatliche Kulturförderung das Zusammenleben bereichert, scheint in den vergangenen Jahren erst langsam erwacht. Anders betrachtet, weist die Agglomeration mit ihrer sehr diversen Gesellschaft – in Schlieren besitzen 45, in Dietikon 47 Prozent der Einwohner:innen keinen Schweizer Pass – in mancher Hinsicht auch in die Zukunft (ein erstaunlich raffinierter Städteslogan hat das längst begriffen: «Schlieren – wo Zürich Zukunft hat»).

Hier nur ein Beispiel: Während des ersten Booms in den sechziger Jahren wanderten 1300 Menschen aus dem kalabrischen Dorf San Pietro a Maida nach Dietikon ein, um in den Fabriken zu arbeiten. Weil die Gemeinschaft bis heute nicht viel kleiner ist, reist der Bürgermeister jeweils für den Wahlkampf nach Dietikon. Kürzlich verstarb er, was eine kleine Völkerwanderung südwärts auslöste.

Vermehrung der Codes

Steigt man in Schlieren aus dem Tram, ist der fehlende Baum schnell vergessen. Wo noch vor sechs Jahren eine Unterführung mit verwahrlosten Schaufenstern und blau beleuchteten WCs unter der übermächtigen vierspurigen Kantonsstrasse verschwand, ist jetzt ein offener Platz, ein schwebendes rotes Dach spannt sich über die Tramhaltestelle. Dahinter gehts hoch zum Restaurant Salmen, in dessen Saal schon unzählige Feste stiegen und Debatten geführt wurden. Hier wartet Yvonne Apiyo Brändle-Amolo, die vielleicht interessanteste Lokalpolitikerin der Schweiz.

Brändle-Amolo zog einst von Kenia in die Ostschweiz und von dort nach Weinigen, in den ländlichsten Teil des Limmattals. Seit sechs Jahren lebt sie in Schlieren. Wieso ist sie in der Region geblieben? «Wissen Sie, ich bin ein Landei», sagt sie. «Ich liebe es, wenn alle sich kennen und sich auf der Strasse spontan Zeit füreinander nehmen.» In Schlieren politisiert Brändle-Amolo für die SP im Gemeinderat, aber lokal ist an ihrem Leben und Wirken eigentlich gar nichts. Gerade plant sie einen afrofuturistischen Workshop für Schüler:innen in Schlieren und Zürich, doktoriert aus der Ferne in Maastricht über die Repräsentation Schwarzer Frauen, ist beratend für ein Minderheitenprogramm der Uno tätig.

«Sie fragen sich bestimmt, wie ich so viele Dinge gleichzeitig machen kann. Aber für mich ist alles verbunden.» Brändle-Amolo erzählt, wie sie kürzlich als Pflegerin in den Zivilschutz eingetreten ist, auch als Experiment: «Es ist interessant, diese traditionelle Schweizer Funktion hat mir sofort neue Netzwerke und Jobangebote eröffnet. Im Care-Bereich arbeiten sehr viele Migrant:innen, aber fast nur auf der untersten Stufe.» Solche Widerstände beschäftigen Brändle-Amolo, auch in der Politik. Sie kommt auf Sarah Akanji und Ezgi Akyol zu sprechen, die aus dem Zürcher Kantonsrat beziehungsweise Gemeinderat zurücktraten, weil sie die ständigen rassistischen Anfeindungen zermürbten. Ihr schwebt eine Organisation vor, die Menschen mit Migrationsgeschichte sowie andere Minderheiten für politische Tätigkeiten motiviert, schult und nachher auch dabei begleitet.

Auch für Schlieren hat sie noch eine Idee: eine Art Spielgruppe mit viel Bewegung, die sich an migrantische und einkommensschwache Familien richtet, die viel arbeiten, sich aber keine Kita leisten können. Die nächste Generation werde die hiesige Gesellschaft nochmals auf eine ganz andere Art zusammenbringen: «Ein Kind, das in mehreren Kulturen aufwächst, muss alles in verschiedene Codes übersetzen. Es ist vielleicht langsamer, aber das ist kein Nachteil, sondern eine Fähigkeit.»

Zurück im Zentrum von Schlieren fällt ein im besten Sinn irritierender Fleck auf: ein stillgelegtes Stück der für die Limmattalbahn umgeleiteten Kantonsstrasse, noch mit sämtlichen Markierungen für den Verkehr. Es löst dieses befreiende Gefühl aus, wenn Autos aus ihrem Territorium zurückgedrängt werden. Drei Sommer lang konnte die Bevölkerung das Strassenstück mit Ideen beleben, bald soll der nahe gelegene Stadtpark zum Zentrum hin vergrössert werden. Fürs Ortsbild wirkt das geradezu heilend: 1970 riss die neu gebaute Strasse einen Graben zwischen dem Bahnhof auf der einen Seite und dem alten Dorfkern mit dem Park auf der anderen. Ähnliches geschieht an der heute begradigten Limmat unten, eine Infotafel kündigt eine umfassende Renaturierung des Ufers bis 2029 an, auch Badestrände soll es geben.

Tramfahrer in der Limmattalbahn

Zurück im Tram, aus dem Zentrum und der Badenerstrasse entlang. Am Ortsende biegt das Tram links ab, durch einen eigens gebauten Tunnel nach Urdorf, vorbei an zwei Fixpunkten der Strecke: Neubauten des Regionalspitals, dann die Kantonsschule Limmattal. Auch hier wird gebaut: Man erwartet, dass die Schüler:innenzahl von heute 800 in den nächsten sieben Jahren auf 1100 steigt.

Börek und Bratwurst

So ein Bauboom ist dem Ortsbild nicht in jedem Fall zuträglich. Offensichtlich ist das im Zentrum von Dietikon, das von klobigen Multifunktionskomplexen dominiert wird, einer davon ein Shoppingcenter. Der in Dietikon aufgewachsene Roland Huber hat darüber 1989 einen grossartigen Film fürs Schweizer Fernsehen gedreht: «900 Jahre Dietikon: Requiem auf mein Dorf». Huber erzählt darin, wie die Bodenpreise rasant steigen, die Dietiker Grossgrundbesitzer in den achtziger Jahren die Parzellen in Bahnhofsnähe der Reihe nach aufkaufen, um sie zu verhökern oder mit Ladenflächen zu Geld zu machen. In einer Szene steht der damalige Stadtpräsident Hans Frei, ein SPler, inmitten der Neubauten und redet den Schaden klein: «Wenn du hier stehst, siehst du doch den Himmel noch.»

Auch heute denkt man beim Planen nicht immer an die Bevölkerung. Im Limmatfeld jenseits der Gleise gibt die einstige Fabrik jetzt einem Platz fast so gross wie ein Fussballfeld seinen Namen: Rapidplatz. Bei der Planung hat die Stadt hier das Schulhaus vergessen, jetzt steht ein Provisorium. Das neue Quartier mit Achtzigmeterhochhaus wurde vom renommierten Berliner Architekten Hans Kollhoff geplant. In dem Platz, der auch nach zehn Jahren noch unwirtlich und unbelebt wirkt, scheint auch etwas Grössenwahn zu stecken. Oder kommt erst eine Zeit, wenn das Limmattal noch urbaner geworden ist, in der sich dieser Stadtplatz mit Blockrandbauten einfügen wird?

Immer wieder ist im Limmattal die Rede von Identität, hier, wo laut einer Befragung von GfS Bern 35 Prozent der Bevölkerung erst kürzlich zugezogen sind. Sowieso ist die Region im Grunde nur eine geografische Schicksalsgemeinschaft: Mehr Menschen identifizieren sich hier mit Europa als mit dem Limmattal – die Fragen wurden notabene nur auf Deutsch gestellt.

eine Siedlung im Limmattal, welche durch eine Scheibe einer Tramhaltestelle fotografiert wurde

Anruf bei Roger Bachmann, Stadtpräsident von Dietikon. Identität ist für ihn mehr als ein hübscher Begriff des Standortmarketings. «Viele, die aus anderen Ländern zugewandert sind, fühlen sich weder in der Schweiz noch in ihrem Herkunftsland wirklich zugehörig. Darum ist die lokale Identität umso wichtiger.» Um diese zu pflegen, brauche es Räume, wo sich Menschen aus den verschiedenen Kulturen begegnen könnten, sagt Bachmann. Begeistert erzählt er vom dreitätigen Sommerfest, da gebe es Essensstände von Börek bis Bratwurst, für die Jugendlichen trete am Abend der Rapper Xen auf, der albanischer Herkunft ist und in Dietikon lebt und aufgewachsen ist. Auch Bachmanns Partei, die SVP, habe das Fest im Gemeinderat ausdrücklich unterstützt, betont er.

Es klingt nicht immer so, als wäre Bachmann Mitglied der SVP, etwa wenn er von bezahlbarem Wohnraum, der Förderung des ÖV oder der Bedeutung von Kultur und Grünflächen spricht. «Man muss kein Fundamentalgrüner sein, um es wichtig zu finden, dass da und dort mal ein Baum gepflanzt wird.» Als Stadtpräsident in der Agglomeration weiche er bei manchen Themen von der Mehrheit seiner Partei ab, etwa wenn es um den Finanzausgleich, um Sozialausgaben oder den Stadt-Land-Graben gehe. In Dietikon würden sich viele Fragen anders stellen als etwa in einer reichen Gemeinde am Zürichsee. «Klar, die haben gute Steuerzahler, aber viele davon sind Expats, die sich nicht in der Gemeinde einbringen. Ich lebe hundertmal lieber hier, wo etwas läuft.»

Was läuft, ist zum Beispiel das 2019 eröffnete Kulturzentrum Gleis 21 direkt am Bahnhof. Es gibt eine Bühne für Musik und Kleinkunst, dazu ein paar Kunstateliers. Im Bistro treffen wir Kerstin Camenisch, die diesen Ort zusammen mit einem Verein aufgebaut hat. Camenisch lebt seit siebzehn Jahren in Dietikon und sitzt für die SP im Gemeinderat, sie leitet administrativ die Fotostiftung in Winterthur. «Uns Agglogemeinden sehe ich als Zukunftslabore», sagt sie. «Vieles von dem, was die Gegenwart ausmacht, kennen wir schon lange: ständiger Wandel, Kommen und Gehen, das Aufeinandertreffen von Kulturen.» Trotz aller Dynamik müsse es möglich sein, dass man sich an einem Ort wie Dietikon verwurzelt fühle. «Das hat mit kleinen Dingen im Alltag zu tun, ob man die Nachbarn kennt, sich einbringen kann, welche Räume für Begegnung es gibt.»

Dass ein Ort wie das «Gleis 21» von der bürgerlich geprägten Politik in Dietikon finanziell und ideologisch getragen werde, wäre lange Zeit nicht möglich gewesen, sagt Camenisch. «Wir sind hier nicht auf Rosen gebettet, der Steuerfuss und die Ausgaben für Soziales und Bildung sind hoch.» Das habe auch damit zu tun, dass Orte wie Dietikon in Sachen Integration unglaublich viel leisteten. Doch trotz der finanziellen Verhältnisse habe sich die Mentalität verändert, seit sechs Jahren hat die Stadt etwa eine Kulturbeauftragte. Und seit einem Jahr die einzige denkmalgeschützte Minigolfanlage der Schweiz! Auch hier war Camenisch beteiligt, ein engagierter Verein erreichte, dass die Stadt das Grundstück von einer Immobilienfirma zurückkaufte. Die Anlage wurde noch nach den Plänen des Westschweizer Erfinders Paul Bongni erbaut.

Der heimliche Austausch

In Dietikon wurde die Limmattalbahn nicht nur freudig aufgenommen. Der Abstimmung von 2015 gingen heftige Diskussionen über Linienführungen und Grundsatzfragen voraus, ein Komitee ergriff im Kanton Zürich das Referendum, der Bezirk Dietikon lehnte die Bahn als einziger Bezirk mit 54 Prozent ab. Handfest werden die Ängste vor Veränderung, die sich am Tram aufhängten, in der Wohnungspolitik.

In letzter Zeit wird in der Dietiker Politik vermehrt über das Thema debattiert, die SP hat etwa eine Initiative für mehr bezahlbaren Wohnraum eingereicht. Im vergangenen Herbst gab es eine Abstimmung über einen Gestaltungsplan, der nötig wurde, weil das Unternehmen Swiss Life das Areal an der Badenerstrasse gleich neben der Haltestelle Oetwilerstrasse sogenannt entwickeln, also die jetzige Siedlung abreissen und das Grundstück dichter bebauen will. Vergleichbare Wohnhäuser aus den fünfziger und sechziger Jahren, die saniert werden müssten, gibt es in Dietikon besonders viele – also grosses Potenzial zur Aufwertung: Das Tram steigert die Attraktivität zusätzlich.

Ernst Joss, der einzige Gemeinderat der Alternativen Liste  (AL), hat gegen den Gestaltungsplan das Referendum ergriffen und gefordert, dass die Stadt einen höheren Anteil an günstigen Wohnungen aushandelt. «Es ist klar, gewisse Stadträte wollen einen Teil der Stadtbevölkerung gegen Besserverdienende austauschen», sagt er. Finanziell bringe das aber gar nichts, bei höheren Steuereinnahmen würde Dietikon einfach weniger Geld aus dem Finanzausgleich beziehen. Passend dazu sagte eine GLP-Politikerin der «Limmattaler Zeitung», günstige Wohnungen würden auch «eine gewisse Kundschaft» anziehen.

Der Aufruhr um die Limmattalbahn war auch eine Zeit der Wutbürger:innen, die durch die Bahn Kundschaft oder eine Ecke ihres Grundstücks verloren. Hört man sich heute entlang der Badenerstrasse um, klingt es ganz anders. Aziz Erkalaç, der Besitzer des türkischen Supermarkts Maxim Merdan, hat nur Gutes über das Tram zu berichten. Der Autoverkehr sei weniger geworden, und seine Tochter komme nun rechtzeitig zur Schule, weil sie nicht mehr mit dem Bus im Stau stecken bleibe.

Ein paar Hundert Meter weiter ist Dietikon vorerst zu Ende, zur Kantonsgrenze hin liegt das Niederfeld, wo bald ein weiterer Stadtteil gebaut wird. Hinter einem unscheinbaren Eingang befindet sich das Vereinslokal Dostlar. Die einen schliessen hier Sportwetten ab, andere jassen. An einem Tisch sitzen Murat Sözer und Rexhep Shahini. Gleich um die Ecke führten die beiden bis vor eineinhalb Jahren das Restaurant Steinmürli, wegen der Pandemie und auch der Baustelle der Limmattalbahn mussten sie es schliessen. Trotzdem keine Spur von Wut auf das Tram. «Das ist das Leben», sagt Sözer. Im Moment arbeitet er bei der Post und baut wieder einen kleinen Kiosk auf, das komme schon gut. Am Tram gefällt ihm auch, dass Dietikon damit moderner aussehe.

Ein Bahnübergang im Limmattal

Shahini lebt schon 33 Jahre in Dietikon, einen anderen Wohnort könne er sich nicht mehr vorstellen. «Ich würde mir aber wünschen, dass die Leute und die Politik etwas offener sind.» Seine Tochter konnte erst mit achtzehn einen Pass beantragen, obwohl sie hier geboren wurde. Shahini selber sieht sich als Kosovare – dass Sözer noch für die Einbürgerung lerne, habe nur damit zu tun, dass der noch kleine Kinder habe. Gelächter.

Zurück auf der Badenerstrasse. Ein Mann mit langem Bart, die Tochter an der Hand, bietet Orientierungshilfe an. Er erzählt vom Einbürgerungsgespräch, das er mit dem Stadtpräsidenten geführt hat. «Reden wir über Integration», habe dieser gesagt, worauf er entgegnet habe, zuerst wolle er über den Müll reden, der ständig vor seinem Haus auf der Strasse herumliege. Der Stadtpräsident hatte darauf keine weiteren Fragen: «Sie sind integriert.»